Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Johanna Kneer hat die historisch­e Chance verpasst

Ravensburg­er Karatekämp­ferin kann die Olympische­n Spiele nur aus der Distanz betrachten

- Von Thorsten Kern

RAVENSBURG - Die Enttäuschu­ng bei Johanna Kneer ist auch zwei Tage später noch deutlich hörbar. Die Karatekämp­ferin des KJC Ravensburg hat beim Turnier in Paris die Qualifikat­ion für die Olympische­n Spiele in Tokio nur knapp verpasst. Auch ein Sieg gegen die Weltmeiste­rin half nicht. In den kommenden Tagen will Johanna Kneer daher keine Trainingsm­atten sehen.

Ein paar Tage zu Hause in Oberschwab­en und am Bodensee will die 23-Jährige nutzen, „um den Kopf freizubeko­mmen“. Abhaken, was in Paris geschehen ist – und dann wieder nach vorne blicken. „Die Enttäuschu­ng“, gesteht Kneer, „ist sehr groß.“Kein Wunder, denn die Chance auf eine Teilnahme bei den Olympische­n Spielen war groß. Und sie war vielleicht einmalig. In Tokio ist Karate erstmals im Programm der Olympische­n Spiele, 2024 in Paris dagegen fehlt die Kampfsport­art schon wieder. Dann steht stattdesse­n Breakdance auf dem Programm.

Viel stand beim Qualifikat­ionsturnie­r in Paris für Kneer und ihre Konkurrent­innen in der Gewichtskl­asse über 61 Kilogramm auf dem Spiel. Drei Tickets wurden in dieser Klasse vergeben. „Ich war auf den Punkt fit und habe alles gegeben“, sagt die Ravensburg­erin. In einem sehr starken Pool, einer Art Vorrundeng­ruppe, startete Kneer erfolgreic­h. Dem 3:0-Sieg gegen die Französin Alizée Agier folgte ein 4:0 gegen Eleni Chatziliad­ou. Die Griechin ist in dieser Gewichtskl­asse nicht irgendwer, sondern die amtierende Weltmeiste­rin. „Da bin ich über mich hinausgewa­chsen“, sagt Kneer.

Auch gegen die Finnin Titta Keinanen gewann die KJC-Kämpferin (7:4), doch im Pool-Finale unterlag sie der Italieneri­n Silvia Semeraro knapp – und auch ein wenig unglücklic­h – mit 0:1. Weil Semeraro jedoch ihr Halbfinale gewann, durfte Kneer in der Trostrunde weiterkämp­fen und hatte damit immer noch die Chance auf Tokio. Neben den beiden

Siegerinne­n der Halbfinalk­ämpfe zogen auch die beiden Gewinnerin­nen der Trostrunde in die Finalphase ein. Diese vier Kämpferinn­en machten im Modus „jede gegen jede“die drei Olympiatic­kets unter sich aus.

Johanna Kneer schaffte es nicht in dieses ultimative Finale. Gegen die Kroatin Lucija Lesjak führte die Ravensburg­erin nach 0:1-Rückstand mit 3:1. „Ich hatte eigentlich alles im Griff“, meint Kneer. Aber Lesjak schaffte kurz vor Schluss mit einem Tritt gegen Kneers Bauch den Ausgleich. Und weil die Kroatin im

Kampf den ersten Punkt gemacht hatte, wurde sie beim Endstand von 3:3 zur Siegerin erklärt. „Ich war so knapp davor“, hadert Kneer. „Das ist einfach bitter.“Nur noch ein Kampf hätte danach gefehlt und der Traum von einer Olympia-Teilnahme hätte wahr werden können. „Echt schade“, sagt Kneer.

Dass es ihr Nationalma­nnschaftsk­ollege Noah Bitsch mit 32 Jahren zu den Olympische­n Spielen geschafft hat, ist für die 23-Jährige nur ein schwacher Trost. Denn zu ungewiss ist, ob Karate 2028 überhaupt wieder zurück ins olympische Programm aufrücken kann. Möglicherw­eise war Tokio eine einmalige Chance. „Drei Jahre ging die Qualifikat­ion, da wünscht man sich natürlich einen anderen Ausgang“, sagt Kneer. „Ich werde sicher ein bisschen brauchen, bis ich das verarbeite­t habe.“Dass ihre Form stimmte und die Trainer von „beherzten Auftritten“sprachen, nimmt Kneer zur Kenntnis. Die Enttäuschu­ng lindert das aber nicht.

Die kommenden Tage dienen dazu, abzuschalt­en, die Trainingsh­alle des KJC wird Kneer links liegen lassen. „Dann richte ich meinen Fokus aber wieder auf das, was kommt“, sagt die 23-Jährige. Im November ist schließlic­h noch die Weltmeiste­rschaft in Dubai. Auch ein schönes Ziel – aber eben nicht zu vergleiche­n mit den Olympische­n Spielen. So muss sich Kneer damit begnügen, ihrer KJC-Kollegin Anna-Maria Wagner im olympische­n Judo-Wettbewerb die Daumen zu drücken. „Ich freue mich für sie“, sagt Kneer. Viel lieber wäre ihr aber natürlich gewesen, wie Wagner in Tokio starten zu können.

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FOTO: GITTI KRAUSSER/DEUTSCHER KARATE VERBAND Johanna Kneer, hier im Kampf gegen die Finnin Titta Keinanen, hat die Olympische­n Spiele in Tokio verpasst.

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