Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bündnis erinnert an Opfer rechter Gewalt
Vor 30 Jahren wurde Agostinho Comboio in Friedrichshafen von einem Neonazi erstochen
FRIEDRICHSHAFEN - Vor 30 Jahren ist Agostinho Comboio in Friedrichshafen von einem Neonazi umgebracht worden. Es ist eine Tat, die heute in der Häfler Bevölkerung kaum präsent ist. Der Tod des aus Angola stammenden Comboio jährte sich am 15. Juni zum 30. Mal. Aus diesem Anlass sind am Dienstag Vertreter des Bündnisses für Toleranz und Demokratie zusammengekommen, um des Opfers rassistischer Gewalt zu gedenken.
Der tödliche Angriff geschieht an einem Samstag kurz vor Mitternacht im Jahr 1991. Der 34-jährige Agostinho Comboio, der in Wangen im Allgäu wohnt, besucht an diesem Abend die Gaststätte „Bleibtreu“in der Möttelistraße. Es kommt zu einer Rempelei mit einem Skinhead, ein Streit, der sich schließlich vor das Lokal verlagert. Dort sticht der damals 19jährige Täter mit einem ButterflyMesser dreimal zu. Einer der Stiche trifft die Herzkammer – Agostinho Comboio stirbt noch vor einer Einlieferung ins Krankenhaus. Er ist das erste Todesopfer rechter Gewalt in Baden-Württemberg seit der Wiedervereinigung.
„Es ist ein Mensch umgebracht worden – und an den wollen wir erinnern“, sagt Barbara Wagner von den Häfler Grünen. Es ist ein Anliegen, hinter dem sämtliche Fraktionen
des Häfler Gemeinderats stehen – sie alle sind im Bündnis aktiv. An diesem Dienstag haben sich neben Wagner auch Gaby Lamparsky (FDP), Matthias Eckmann (SPD) und Sander Frank (Die Linke) versammelt, um über die Tat zu sprechen. Das Bündnis für Toleranz und Demokratie wolle Sorge dafür tragen, dass Agostinho Comboio nicht vergessen wird, so Wagner. Deshalb solle in der Nähe des damaligen Tatorts eine Gedenktafel aufgestellt werden. Die Gaststätte in der Möttelistraße gibt es nicht mehr – heute befindet in dem Gebäude ein Spielkasino.
Neben dem Gedenken an den Getöteten möchten die Bündnis-Vertreter aber noch mehr erreichen: Sie wollen weitere Informationen von damals offenlegen und zusammentragen. Dabei seien sie auch auf Hilfe aus der Bevölkerung angewiesen, sagt Wagner. „Wir wollen Leute hören, die etwas zu damals zu sagen haben.“Es habe bereits Recherchen gegeben – etwa zur Person Agostinho Comboio. Er war mit einer Deutschen aus Wangen verheiratet. Die Witwe aufzuspüren, um mit ihr zu sprechen, sei bisher aber nicht gelungen. „Wir wissen nicht einmal, ob sie noch in Wangen wohnt oder weg gezogen ist“, sagt Wagner.
Klarer ist, wie die Bevölkerung 1991 auf die Tat reagierte. Laut Bündnis hätten die Bürger damals ihre Betroffenheit mit einem Trauerzug durch Friedrichshafen zum Ausdruck gebracht, an dem rund 300 Menschen teilnahmen. Eine Gruppe Rechtsextreme hatte die Gedenkveranstaltung damals gestört. Bei der Gerichtsverhandlung, die 1992 stattfand, verurteilte das Landgericht Ravensburg den Täter zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren. Das Jugendstrafrecht kam zur Anwendung, weil das Gericht dem Täter „deutliche Reifeverzögerungen“
Barbara Wagner, Grüne
bescheinigte.
Den Fall begleitet damals auch die „Schwäbische Zeitung“. Ein Blick ins Archiv zeigt, wie sehr die rechtsextreme Szene in den 1990er-Jahren auch in Oberschwaben und am Bodensee präsent war. In einem Bericht etwa ist die Rede von regelmäßigen Treffen der „militanten Skindheads“beim sogenannten „Komasaufen“. Infolge einer solchen Zusammenkunft waren Neonazis 1989 nach Ravensburg gefahren, um das dortige Jugendhaus zu überfallen. Wie der
Reporter der „Schwäbischen Zeitung“berichtet, kursierten nach der Tat an Agostinho Comboio in Friedrichshafen und Ravensburg zudem Flugblätter, die gegen das Opfer hetzten und den Täter als „Helden von Friedrichshafen“stilisierten. Dieser war damals offenbar schon als Schläger polizeibekannt und stand unter anderem der Nazi-Gruppierung „Nationalistische Front“nahe.
Heute sei die rechtsextreme Szene in Friedrichshafen deutlich weniger präsent, finden die Vertreter des Bündnisses für Toleranz und Demokratie. „Es gibt Streetwork und andere Angebote. Dadurch ist die Stadt ein Umfeld, in dem solche Szenen nicht die besten Voraussetzungen haben“, sagt Sander Frank. „Die Tendenzen sind aber noch vorhanden“, fügt Matthias Eckmann an und nennt als Beispiel die Querdenken-Bewegung, in der sich auch Menschen mit rechtsradikalen Positionen engagierten.
Zudem habe in Friedrichshafen auch schon die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“Sticker geklebt. Mit Blick auf derartige Gesinnungen sei eine lebendige Erinnerungskultur umso wichtiger. Sobald das Bündnis für Toleranz und Demokratie weiteres Material zu dem Fall gesammelt hat, wollen die Vertreter deshalb im Gemeinderat einen entsprechenden Antrag für die Gedenktafel einbringen.
„Es ist ein Mensch umgebracht worden – und an den wollen wir erinnern.“