Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Dürre hält an
Spaniens Passmaschine leidet an Torarmut – Nur unentschieden gegen Schweden
SEVILLA (SID/dpa) - Als Luis Enriques schwer enttäuschte Spanier weit nach Mitternacht in ihr Teamquartier in Las Rozas zurückkehrten, hatten die Medien das Urteil zum torlosen EM-Auftakt längst gefällt. „Die Dürre Spaniens geht weiter“, titelte die Marca am Morgen nach dem 0:0 gegen Schweden, es war eine „Ohrfeige“, die beim dreimaligen Europameister spürbar und hörbar auf die Stimmung schlug.
Im Zentrum der Kritik: Stürmer Alvaro Morata, der die klarste Gelegenheit kurz vor der Halbzeitpause freistehend neben das Tor setzte. Der Angreifer von Juventus Turin ist seit vier Länderspielen „trocken“, wie die spanischen Medien erfolglose Stürmer gerne nennen. Die Auswechslung des Offensivspielers quittierten die Fans mit lauten Pfiffen.
Enrique verteidigte die Reizfigur Morata standhaft. Die erneuten Pfiffe im eigenen Land gegen den glückund wieder torlosen Angreifer gefallen dem 51 Jahre alten Nationaltrainer ganz und gar nicht. „Wir alle wünschen uns, dass die Fans ihn unterstützen“, betonte Enrique. Morata wurde am Montagabend aber zu so etwas wie dem Sinnbild eines Fußballspiels mit nahezu grotesken Pass- und Ballbesitzwerten, das mit einer Nullnummer gegen Schweden endete und Spanien im Duell der Enttäuschten am kommenden Samstag (21 Uhr/ARD und MagentaTV) mit Polen schon gehörig unter Druck setzt.
Mit der skandinavischen Interpretation des Catenaccios zwangen die Schweden Spanien immer wieder, den Ball quer zu spielen. 852 angekommene Pässe zählten die Statistiker der UEFA bei den Spaniern. Die Schweden kamen auf 103. 17 Torabschlussversuche notierte Spanien, vier schafften die Schweden. Die beste Gelegenheit versemmelte der ehemalige HSV-Spieler Marcus Berg vor dem nahezu leeren Tor.
Das spanische Team, das Deutschland im November noch an selber Stelle mit 6:0 abgeschossen hatte, kämpft aber auch mit einem Sturmproblem. Schon beim EM-Test gegen Portugal war die „Rote Furie“nicht über ein 0:0 hinausgekommen. Nun ließ der Mitfavorit erneut teils beste Chancen liegen. „Was falsch gelaufen ist? Es ist ziemlich klar, jeder hat das gesehen“, motzte Enrique angesichts der unglaublichen, teils sogar absurden Dominanz des früheren Weltmeisters. Doch auch 78 Prozent Ballbesitz und 954 Pässe führten nicht zu einem Treffer. „Da muss noch einiges kommen, wenn sie die Gruppenphase überstehen wollen“, befand der deutsche Ex-Weltmeister Per Mertesacker als ZDF-Experte.
„Heute hatte er kein Glück, aber er wird noch treffen“, sagte Enrique und stellte sich hinter Morata. Auch die Mitspieler stellten sich schützend vor den 45-Millionen-Angreifer. „Ich verstehe nicht, wieso über ihn diskutiert wird. Man muss Spielern Mut zusprechen“, sagte Leipzigs Dani Olmo, der zugleich „Vertrauen und Geduld“vom eigenen Anhang forderte. Dabei haben die Fans schon einen Plan, wie das Sturmproblem zu lösen ist. Gerard Moreno, spanischer Torschützenkönig von Europa-League-Sieger FC Villarreal, saß gegen die destruktiven Schweden 74 Minuten auf der Bank. Als er schließlich aufs Feld durfte, brachen die 10 559 Anhänger auf den Rängen in großen Jubel aus.
Doch auch dem 29-Jährigen gelang nicht der ersehnte Siegtreffer. In der Schlussphase scheiterte er per Kopf am starken schwedischen Schlussmann Robin Olsen. Dennoch: Die Stürmerdebatte kommt vor dem Duell mit Polen in Fahrt.