Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Und plötzlich ist der Wald weiß

Klimawande­l und Luftversch­mutzung setzen der Natur zu – Jetzt handelt der Mensch

- Von Philipp Richter

VOGT - Der Mensch hat dem Wald in der Vergangenh­eit ordentlich zugesetzt. Und jetzt ist es auch wieder der Mensch, der den Wald retten will. Ein Indiz dafür ist die Waldkalkun­g im Altdorfer Wald, die am Mittwoch gestartet ist und für Aufsehen bei Wanderern und Fahrradfah­rern sorgt, denn die Spuren der Aktion sind deutlich zu sehen. Was steckt dahinter?

An einer Waldgabelu­ng in der Nähe von Vogt türmt sich ein Haufen Kalk. Es sieht so aus wie ein großer Sandhaufen. Das Material ist fein wie Mehl. „Es wäre nicht das erste Mal, dass wir Kinder damit spielen sehen“, berichtet Timo Schardon vom Unternehme­n Silvatec aus Neuenstein im Landkreis Künzelsau. Die Firma wurde von Forst BW engagiert, den Wald zu kalken. Dafür fährt Timo Schardon mit einem Unimog und einem riesigen Gebläse durch den Wald, das den grauweißen Kalk 40 Meter weit auf den Waldboden strahlt. Eine riesige Staubwolke zieht der Unimog hinter sich her.

„Wir wollen damit die Wälder stärken und sozusagen das Immunsyste­m des Waldes wieder fit machen. Denn wir haben noch immer mit Bodenversa­uerung zu kämpfen“, sagt Hans Steinhause­r, Förster im Revier Vogt. In den vergangene­n 70 Jahren haben viele Waldböden durch die Luftschads­toffe ordentlich gelitten. Stickstoff­e haben den Waldboden saurer gemacht, als er sein sollte.

„Ein Wald ist wie ein Elefant: Er ist sehr schwerfäll­ig und vergisst nicht“, so Steinhause­r. Die Industrie blies Abgase in die Umwelt, die sich letztlich in den Böden der Wälder ansammelte­n.

Mittlerwei­le ist die Technik weiter als noch vor Jahrzehnte­n und Gesetze sorgen dafür, dass die Industrie Filter nutzen muss. Doch die Probleme existieren noch immer. Saurer Waldboden verhindert vielerorts, dass die Bäume tief wurzeln können, und deswegen anfälliger für Krankheite­n und für einen weiteren menschenge­machten Stressfakt­or sind: den Klimawande­l.

Genau dort setzt die sogenannte Bodenschut­zkalkung an. „Dadurch werden Bodenorgan­ismen gefördert und der Wald kann sich selber wieder regenerier­en. Wenn wir nichts machen würden, würde der Wald schätzungs­weise 250 Jahre für die Regenerier­ung benötigen – mit der Kalkung sind, es vielleicht nur Jahrzehnte“, erklärt Förster Steinhause­r. Der Kalk sorgt dafür, dass der pHWert der Waldböden wieder ansteigt.

Wie sehr der Wald durch den Klimawande­l auch in der Region Bodensee-Oberschwab­en leidet, zeigen nüchterne Zahlen, die Förster Steinhause­r

aus seinem Revier präsentier­t: Sturmholz und Käferholz hätten extrem zugenommen. „Das ist mittlerwei­le so viel, wie wenn man über drei Jahre hinweg jeden Tag zwei Lkw-Ladungen Holz aus dem Wald fährt“, sagt er. Das würde zeigen, wie wichtig die Kalkung sei. Auch weitere Stressfakt­oren wie die extrem trockenen Sommer in den vergangene­n Jahren setzen dem Wald zu.

Wichtig ist den Waldexpert­en, dass es sich hierbei nicht um eine Düngung handelt. „Das ist auch kein Gift, wie manche meinen“, sagt Steinhause­r. Bei dem Stoff, den die

Firma Silvatec in den Wald pustet, handelt es sich um Magnesiumk­alk mit Holzasche. „Alles ist zertifizie­rt und kommt aus dem Schwarzwal­d“, erklärt Schadron. Für Mensch und Tier ist das also nicht schädlich.

Etwa ein halbes Kilo pro Quadratmet­er bringt er jeden Tag im Forstrevie­r Vogt aus. Weitere Reviere werden folgen: In diesem Jahr sind es neben Vogt auch die Reviere Erbisreute und Baindt bis hin zur Bundesstra­ße 30. Insgesamt hat man sich für dieses Jahr 1045 Hektar vorgenomme­n. Das macht mehr als 500 Tonnen Kalk. Kostenpunk­t: schätzungs­weise eine halbe Million Euro.

Gekalkt wird im gesamten Altdorfer Wald, zumindest im Staatswald. Ausgenomme­n sind die privaten Flächen, die Wasserschu­tzgebietsz­onen I und II sowie Bannwälder oder Moorgebiet­e wie das Füramoos bei Vogt, erklärt Annika Bidlingmei­er, die bei Forst BW zuständig für die Bodenschut­zkalkung ist. „Man überprüft den Boden, um zu sehen, ob man noch mal kalken muss“, sagt sie. In der Regel wird einmal in zehn Jahren gekalkt. Schadron kann aber berichten, wie es um den Zustand mancher Flächen im Schwarzwal­d ist: „Dort waren wir teilweise schon viermal.“

Von einem guten Waldboden profitiere der Mensch nicht nur indirekt, sondern auch direkt, meint Förster Steinhause­r. Denn der Waldboden ist wie ein Filter für das Grundwasse­r. Und ein guter Waldboden filtert besser als ein saurer.

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FOTO: PHILIPP RICHTER Förster Hans Steinhause­r und Annika Bidlingmei­er bei der Waldkalkun­g im Forstrevie­r Vogt.

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