Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Und plötzlich ist der Wald weiß
Klimawandel und Luftverschmutzung setzen der Natur zu – Jetzt handelt der Mensch
VOGT - Der Mensch hat dem Wald in der Vergangenheit ordentlich zugesetzt. Und jetzt ist es auch wieder der Mensch, der den Wald retten will. Ein Indiz dafür ist die Waldkalkung im Altdorfer Wald, die am Mittwoch gestartet ist und für Aufsehen bei Wanderern und Fahrradfahrern sorgt, denn die Spuren der Aktion sind deutlich zu sehen. Was steckt dahinter?
An einer Waldgabelung in der Nähe von Vogt türmt sich ein Haufen Kalk. Es sieht so aus wie ein großer Sandhaufen. Das Material ist fein wie Mehl. „Es wäre nicht das erste Mal, dass wir Kinder damit spielen sehen“, berichtet Timo Schardon vom Unternehmen Silvatec aus Neuenstein im Landkreis Künzelsau. Die Firma wurde von Forst BW engagiert, den Wald zu kalken. Dafür fährt Timo Schardon mit einem Unimog und einem riesigen Gebläse durch den Wald, das den grauweißen Kalk 40 Meter weit auf den Waldboden strahlt. Eine riesige Staubwolke zieht der Unimog hinter sich her.
„Wir wollen damit die Wälder stärken und sozusagen das Immunsystem des Waldes wieder fit machen. Denn wir haben noch immer mit Bodenversauerung zu kämpfen“, sagt Hans Steinhauser, Förster im Revier Vogt. In den vergangenen 70 Jahren haben viele Waldböden durch die Luftschadstoffe ordentlich gelitten. Stickstoffe haben den Waldboden saurer gemacht, als er sein sollte.
„Ein Wald ist wie ein Elefant: Er ist sehr schwerfällig und vergisst nicht“, so Steinhauser. Die Industrie blies Abgase in die Umwelt, die sich letztlich in den Böden der Wälder ansammelten.
Mittlerweile ist die Technik weiter als noch vor Jahrzehnten und Gesetze sorgen dafür, dass die Industrie Filter nutzen muss. Doch die Probleme existieren noch immer. Saurer Waldboden verhindert vielerorts, dass die Bäume tief wurzeln können, und deswegen anfälliger für Krankheiten und für einen weiteren menschengemachten Stressfaktor sind: den Klimawandel.
Genau dort setzt die sogenannte Bodenschutzkalkung an. „Dadurch werden Bodenorganismen gefördert und der Wald kann sich selber wieder regenerieren. Wenn wir nichts machen würden, würde der Wald schätzungsweise 250 Jahre für die Regenerierung benötigen – mit der Kalkung sind, es vielleicht nur Jahrzehnte“, erklärt Förster Steinhauser. Der Kalk sorgt dafür, dass der pHWert der Waldböden wieder ansteigt.
Wie sehr der Wald durch den Klimawandel auch in der Region Bodensee-Oberschwaben leidet, zeigen nüchterne Zahlen, die Förster Steinhauser
aus seinem Revier präsentiert: Sturmholz und Käferholz hätten extrem zugenommen. „Das ist mittlerweile so viel, wie wenn man über drei Jahre hinweg jeden Tag zwei Lkw-Ladungen Holz aus dem Wald fährt“, sagt er. Das würde zeigen, wie wichtig die Kalkung sei. Auch weitere Stressfaktoren wie die extrem trockenen Sommer in den vergangenen Jahren setzen dem Wald zu.
Wichtig ist den Waldexperten, dass es sich hierbei nicht um eine Düngung handelt. „Das ist auch kein Gift, wie manche meinen“, sagt Steinhauser. Bei dem Stoff, den die
Firma Silvatec in den Wald pustet, handelt es sich um Magnesiumkalk mit Holzasche. „Alles ist zertifiziert und kommt aus dem Schwarzwald“, erklärt Schadron. Für Mensch und Tier ist das also nicht schädlich.
Etwa ein halbes Kilo pro Quadratmeter bringt er jeden Tag im Forstrevier Vogt aus. Weitere Reviere werden folgen: In diesem Jahr sind es neben Vogt auch die Reviere Erbisreute und Baindt bis hin zur Bundesstraße 30. Insgesamt hat man sich für dieses Jahr 1045 Hektar vorgenommen. Das macht mehr als 500 Tonnen Kalk. Kostenpunkt: schätzungsweise eine halbe Million Euro.
Gekalkt wird im gesamten Altdorfer Wald, zumindest im Staatswald. Ausgenommen sind die privaten Flächen, die Wasserschutzgebietszonen I und II sowie Bannwälder oder Moorgebiete wie das Füramoos bei Vogt, erklärt Annika Bidlingmeier, die bei Forst BW zuständig für die Bodenschutzkalkung ist. „Man überprüft den Boden, um zu sehen, ob man noch mal kalken muss“, sagt sie. In der Regel wird einmal in zehn Jahren gekalkt. Schadron kann aber berichten, wie es um den Zustand mancher Flächen im Schwarzwald ist: „Dort waren wir teilweise schon viermal.“
Von einem guten Waldboden profitiere der Mensch nicht nur indirekt, sondern auch direkt, meint Förster Steinhauser. Denn der Waldboden ist wie ein Filter für das Grundwasser. Und ein guter Waldboden filtert besser als ein saurer.