Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Heimatgeschichte ab der Haustür
Marc Fischer und Michael Masuch bewahren Meckenbeurer Kleinode vor dem Verschwinden
MECKENBEUREN - „Wohin mit dem alten Mist?“Wenn Marc Fischer und Michael Masuch diesen Satz aufschnappen, spitzen sie die Ohren. Die beiden Brochenzeller sammeln seit Jahrzehnten zwar nicht alles, aber doch vieles, was beim Abbruch alter Häuser sonst zu Bauschutt wird. Das Beste daran: Sie erhalten es, indem sie es innerhalb der eigenen vier Wände und Zäune einbauen – in einer Weise, die das Herz jedes Lokalhistorikers und Heimatverbundenen höher schlagen lässt.
Jene Stücke, die am meisten erzählen könnten, bekommt freilich kaum einer zu Gesicht: Vier Türen aus dem alten Gefängnis von Meckenbeuren befinden sich im Keller eingebaut. Auf sie und die Arrestzelle, die sich einst im Nebengebäude zum alten Rathaus in Meckenbeuren befand, geht die SZ gesondert ein.
Auch ohne die Türen würden die „Geschichten um Geschichte“ein Buch füllen. Diesen Untertitel trägt bekanntlich das Museum im Humpisschloss, für das sich der ehemalige „Schloss“-Wirt Michael Masuch als bekennender Brochenzeller seit vielen Jahren einsetzt.
Bei der privaten Sammelleidenschaft ist Masuch und seinem Schwiegersohn Marc Fischer ein Abriss besonders in Erinnerung: jener vom Hof Schiele in der Andreas-Hofer-Straße. Mit einem Notstromaggregat ausgerüstet waren die beiden nächtens angerückt – vom beleuchteten und daher sauberen Aus- und Wiedereinbau zeugen Tür und Türstock. Das Glanzstück aber ist die große Brezel, die kundtat, dass sich nahe der heutigen Bäckerei auch schon früher eine solche befand. „Die kriegt ihr nie aus dem Putz raus“: Die Überzeugung in Michael Masuchs Worten sollte weichen, als Fischer und seine Freunde vom Fanfarenzug all ihren Ehrgeiz hier hineinlegten. Heute wundert sich so mancher Besucher, was denn die wohlgeformte Brezel an dem privaten Hauseingang macht.
Zum Hof König – dort, wo sich heute das Café „Heimatliebe“großer Beliebtheit erfreut – hat Michael Masuch
eine besondere Beziehung. Aus der Heimstätte seiner Frau in der Bahnhofstraße hat er unter anderem die Schnapsbrennerei (natürlich stillgelegt), den Zaun und eine steile Treppe gerettet, die heute bei Marc Fischer das Gartenhaus ziert und hinaufführt zu einem einzigartigen Kinderbett – wurde hierzu doch eine Original-Kutsche umgestaltet.
Auf der Bühne des Schwiegervaters fand Masuch zudem ein Rechnungsbuch, in das er sich dieser Tage vertieft hat. Enthalten: eine Abbildung vom „Rauchklub Schussenthal“, den es anno 1908 in Meckenbeuren gab. 34 Liter Bier wurden damals an einem Abend von dessen Mitgliedern getrunken – was acht Reichsmark kostete. Vermerkt ist, dass das Trinkgeld den Preis überstieg – spendable Zeiten.
In denen sich die Bakelit-Steckdosen und -Schalter durchzusetzen begannen. Dahinter verbirgt sich der Markenname des ersten vollständig synthetisch hergestellten Kunststoffs (anno 1907), der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts große Beliebtheit erlangte. Da die Verbindung aus Phenolen und Formaldehyd elektrischen Strom nicht leitete, kam Bakelit vor allem bei Isolierungen zur Anwendung.
Warum dieser Exkurs? Über all die Jahre haben Masuch und Fischer Hunderte der heutzutage altmodischen schwarzen Drehschalter und Steckdosen gesammelt – und vor wenigen Jahren das gesamte Wohnhaus des Letzteren damit ausgestattet.
Lang ist die Liste dessen, was sie gerettet haben oder auch vermittelt bekamen – darunter eine Wetterfahne aus München, ein Waschtisch aus einem Patrizierhaus in Ravensburgs Gartenstraße oder konische Steine, die heute die Gartenecke bei Marc Fischer abrunden. Dass sie einst Bestandteil des Kamins der Holzindustrie waren, ist eine eigene Geschichte.
Wie überhaupt die Industriebrache, die vor mehr als zehn Jahren zum Kim-Center und Wohnareal am Karl-Fränkel-Ring umgewandelt wurde, eine Rolle spielt: Ein riesiger Gabelschlüssel hängt im Schuppen an einer Wand. „Der ist von der
Dampfmaschine der Holzindustrie“, lösen die beiden das Rätsel auf. Das vier Meter hohe Ungetüm (die Maschine, nicht der Schlüssel) sei mit dem Grundstücksverkauf an Zeppelin übergegangen, ist beider Stand. Zu gerne wüssten sie, was aus der Dampfmaschine wurde. „Da müsste sich doch was draus machen lassen“, dringt auch in dieser Hinsicht das Herzblut deren durch, die ein Gespür für die Geschichte hinter der Geschichte haben.
Wie es auch den Förderverein Humpisschloss prägt: Der buk über viele Jahre zum Bahnhofsfest und Weihnachtsmarkt zig Tausende Dinnete im gusseisernen Weber-Patentofen, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts in ein Bauernhaus in Liebenau eingebaut worden war. Bis zu dessen Abriss: „Acht Mann“hat Michael Masuch, als die Nachricht davon durchdrang, in einer Nacht-undNebel-Aktion aus der Andreas-Hofer-Stube rekrutiert, um den mehrere Hundert Kilo schweren Ofen abtransportieren zu können.
Zu zweit waren Fischer und Masuch im Vorjahr, als sie im Gasthaus Hirsch in Lochbrücke fündig wurden. Komplett eingemauert war der große Ofen beim „Baptist“, der heute als Sitzplatz in Fischers Garten dient. „Wenn man denkt, dass hier ein halbes Jahrhundert lang für bis zu 200 Personen gekocht wurde“– genau diese Reminiszenzen sind es, die Geschichten zu Geschichte werden lassen. Und der größte Wunsch? „Eine Lagerhalle“, so die beiden. Denn noch viel mehr ließe sich bewahren, aber es müsste halt auch gelagert werden können.
Wer vor dem Abriss eines geschichtsträchtigen Hauses steht und Interesse hat, dass dies oder jenes erhalten bleibt, darf sich gerne an Michael Masuch wenden, Telefon 0171 / 211 54 49.