Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Bienen könnten im Glyphosat baden“
Der CDU-Politiker aus Herdwangen-Schönach zieht nach zwölf Jahren im Bundestag Bilanz
BODENSEEKREIS - Zwölf Jahre lang hat Lothar Riebsamen (CDU) den Bodenseewahlkreis als Bundestagsabgeordneter in Berlin vertreten. Im Gespräch mit Alexander Tutschner zieht der Gesundheitspolitiker Bilanz über die Zeit in Berlin und spricht wichtige Themen der Zukunft an.
Herr Riebsamen, schon über Ihre Nominierung als Bundestagskandidat wurde 2009 bundesweit berichtet. Nach einer Schlammschlacht in der Bodensee-CDU haben Sie sich damals gegen den prominenten Oswald Metzger durchgesetzt ...
Der Nominierungswahlkampf hat mir damals großen Spaß gemacht, ich hatte ja kein Risiko. Zudem habe ich ihn nicht als Schlammschlacht wahrgenommen. Wäre ich unterlegen, wäre ich halt Bürgermeister in Herdwangen-Schönach geblieben. Danach hatte ich jedoch einige schwierige Monate, denn einige in der CDU waren unzufrieden mit meiner Nominierung. Schon im Wahlkampf hatte ich aber große Unterstützung. Spätestens nach meiner ersten Rede im Bundestag war das Thema durch.
Können Sie sich an diese Rede noch erinnern?
Ja, sehr genau. Es galt bei einem gesundheitspolitischen Thema einen Antrag der Linken seitens der Regierung und der CDU geradezustellen. Das hat gut geklappt.
Und die letzte Rede?
Die war für mich die Krönung der letzten zwölf Jahre im Parlament. Denn jahrelang habe ich mit anderen das Thema Kurzzeitpflege befördert. Mit dem jetzt verabschiedeten Pflegegesetz kam die Umsetzung auf den letzten Drücker der Legislatur. Es geht darum, dass zusätzliche Kurzzeitpflegeplätze geschaffen werden. Eine separate Vergütung für die Pflegeeinrichtung macht das jetzt möglich. Außerdem hat ein Krankenhauspatient jetzt Anspruch auf zehn Tage Pflege über den Krankenhausaufenthalt hinaus, wenn er pflegebedürftig ist.
Wie sieht Ihre Bilanz für den Wahlkreis aus?
Der Bund ist hier ja vor allem für den Verkehr zuständig. In den letzten zwölf Jahren betraf das bei der Straße hauptsächlich die B31. Die Ortsumfahrungen Friedrichshafen und Überlingen sind fertig geworden. Auch die Elektrifizierung der Südbahn ist im Dezember abgeschlossen. Die Probleme, die gelöst werden konnten, sind gelöst.
Es gibt aber noch viele Baustellen.
Meinem Nachfolger wird einiges bleiben, was die Fortsetzung der B 31 und B 30 betrifft und was die Bodenseegürtelbahn anbelangt. Die Botschaft für den B31-Ausbau zwischen Immenstaad und Meersburg ist klar: die Straße soll vierspurig auf der B1Trasse verlaufen. Auch wenn es an einigen Stellen hapert, mir ging es in meiner Amtszeit nicht ums Verhindern, sondern darum, offensiv nach vorne zu gehen und natürlich eventuell zu korrigieren.
Wie konnte es passieren, dass die Bodenseegürtelbahn im Schienennetz derart abgehängt wird?
Ja, die Strecke ist doppelt abgehängt, weil auf der einen Seite die Südbahn bis Friedrichshafen elektrifiziert ist und auf der anderen Seite die Hochrheinbahn bis Singen etwa ab 2026. Um so notwendiger ist es, dass wir hier vorangehen. Ich habe mich stark dafür eingesetzt, dass die GVFGMittel des Bundes für den Ausbau erhöht werden. Von den Baukosten werden statt 60 jetzt 75 Prozent bezahlt, vom Elektrifizierungsanteil sogar 90 Prozent.
Dennoch sollen vor allem wegen der Planungskosten rund 70 Millionen Euro auf der kommunalen Ebene hängen bleiben, eigentlich ein Skandal ...
Wenn der Bund seine Anstrengungen derart erhöht, kann man auch erwarten, dass das Land, das ja durch die 90-Prozent- Förderung des Bundes bei der Elektrifizierung Geld spart, für die Planung noch etwas drauflegt. Das Land Baden-Württemberg ist hier am Zug!
Sollte man nicht dafür kämpfen, dass die Strecke in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird und damit alle Kosten vom Bund übernommen werden?
Das ist eine Illusion. Die Strecke Basel - Singen wurde mit GVFG-Mitteln finanziert, mir fehlt die Fantasie, warum die Fortsetzung nach Friedrichshafen in den Bundesverkehrswegeplan kommen soll. Außerdem wird wegen der Bodenseegürtelbahn sicher kein Gesetz geändert. Ob neue Bundesregierungen zu neuen Bewertungen kommen, ist nicht abzusehen.
Die Themen Landwirtschaft und Mittelstand lagen ihnen immer Herzen ...
Für den Mittelstand – von der Gastronomie bis zum Handwerk – geht es jetzt um steuerliche Entlastung nach der Corona-Krise. Die Landwirtschaft hat in den letzten Jahren schmerzhafte Einschnitte hinnehmen müssen. Gerade, was die Reduzierung des Pflanzenschutzes angeht. Insbesondere die Sonderkulturen, die wir am Bodensee verstärkt haben, sind dadurch unter Druck geraten. Da hat mir nicht alles gefallen.
Was meinen Sie konkret?
Es wurde aus meiner Sicht zu sehr ideologisch und zu wenig wissenschaftlich argumentiert, vor allem seitens der Grünen, wenn es um Pflanzenschutz geht. „Glyphosat tötet Bienen“war zum Beispiel zu hören, Bienen könnten aber im Glyphosat baden. Es wird eingesetzt, um Unkraut zu vernichten. Indirekt trifft das vielleicht zu. Aber was machen die Landwirte jetzt als Alternative? Das Unkraut wachsen lassen, ist keine Alternative. Mit gigantischen Maschinen wird Unkraut geharkt, nach jedem Regen, die Böden werden verdichtet und Diesel wird verbraucht. Wo ist die wissenschaftliche Betrachtung, was für die Umwelt besser ist?
Hätte man seitens der CDU aber nicht mehr für den Umweltschutz tun müssen?
Ja, es wurde zu wenig getan. Aber meine Partei hatte das Thema Umweltschutz dennoch schon immer ganz oben. Wir haben in den 70-ern schon Kläranlagen am Bodensee gebaut und den See zu einem Trinkwasserspeicher erster Güte entwickelt sowie die Abfallbeseitigung organisiert - das war nichts anderes als Naturschutz. Beim Klimaschutz wurde in Deutschland leider das hintere vor dem vorderen gemacht, ideologisch getriggert seitens der Grünen etwa mit dem Slogan „Atomkraft nein danke!“. Es war falsch, zu erst aus der Atomenergie auszusteigen und dann aus der Kohle. Bei der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens und dem Beschluss zum Ausstieg aus der Kohle hat die CDU regiert.
Während ihrer zwölf Jahre als MdB war Angela Merkel Kanzlerin, was hat Sie besonders beeindruckt?
Neben der Fach- und der Wahlkreispolitik war es für mich immer entscheidend, eine Haltung einzunehmen in Berlin. Die kann nicht heute so und morgen anders sein. In jeder Legislaturperiode hatten wir eine große Krise: Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise. Es ging dabei vor allem darum, Haltung zu zeigen und nicht rumzueiern. Ob man immer alles richtig entschieden hat, lasse ich dahingestellt. Die Bundeskanzlerin hat bei all diesen Krisen Haltung gezeigt, dass macht sie für mich aus und das habe ich stets nach Kräften unterstützt.
Waren wir auf die Corona-Pandemie zu schlecht vorbereitet?
Ja, aber es war doch großartig, dass wir in nicht mal einem Jahr mehrere Impfstoffe entwickelt haben. Bereits nach eineinhalb Jahren können wir sagen, wir stehen vor dem Ende der Pandemie. Wir haben die epidemische Lage nochmal verlängert, es darf nicht nochmal passieren, dass wir im Herbst mit den Infektionen wieder durch die Decke schießen. Ich möchte nicht riskieren, dass wir wieder die Schulen schließen müssen, denn die Schulkinder sind noch nicht geimpft. Dann lieber nochmal Einschränkungen hinnehmen. Ansonsten bin ich gelassen: wir bekommen Corona in den Griff.
Wie geht es mit dem Thema weiter?
In den Griff bekommen heißt nicht besiegen, wir werden mit Corona leben müssen. Durch die Impfstoffe können wir das. Zwangsmaßnahmen wie die Impfpflicht kommen für mich überhaupt nicht infrage. Sie werden aber für bestimmte Berufe notwendig sein, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Viele Veranstalter werden ihr Hausrecht nützen und sagen, ich lasse nur Geimpfte rein. Es wird Einschränkungen im privaten Bereich geben. Wichtig ist, dass wir eine Impfquote von 80 bis 85 Prozent erreichen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.
Welche Lehre ziehen Sie aus der Pandemie?
Bei uns haben die Hausarztpraxen 90 Prozent der Fälle in hervorragender Weise abgefangen. Nur die schweren Fälle sind im Krankenhaus gelandet. In anderen Ländern sind viele ins Krankenhaus gegangen und haben sich das Virus dort geholt oder es verteilt. Der niedergelassene Bereich mit Hausärzten, Kinderärzten, Internisten, ist für eine solche Pandemiesituation entscheidend. Selbstverständlich brauchen wir auch weiter leistungsfähige Krankenhäuser, die Intensivstationen haben und diese beherrschen. In der Pandemie waren wir nur punktuell überlastet, es gab in Deutschland keine Triage.
Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?
Geopolitisch gesehen können wir uns nicht mehr auf die USA als Sicherheitsmacht verlassen, wir müssen in Europa massiv Eigeninitiative entwickeln, auch im Hinblick auf das Auftreten Chinas. Es sind dramatische Veränderungen im Gange, was die Digitalisierung betrifft, ein Ende ist nicht absehbar. Und letztlich geht es um den Klimaschutz. An den drei Stellen brauchen wir einen Neustart. Das wird die Aufgabe meines Nachfolgers sein, diese Dinge so mitzugestalten, dass es auch für den Wahlkreis eine gute Entwicklung gibt.
Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?
Dass die Akzeptanz der repräsentativen Demokratie, der Demokratie überhaupt, nachlässt. Die Leute sehen, dass autoritäre Staaten wie China schneller sind in manchen Dingen und effektiver. Sie fordern entsprechende Änderungen bei uns, da sehe ich eine Gefahr. Bei uns muss zwar alles ausdiskutiert werden, dennoch haben wir das bessere System, das längerfristig überleben wird. Bei uns werden Fehler aufgedeckt, durch eine freie Justiz, auch durch die freie Presse. Wenn Fehler unter den Tisch gekehrt werden, schwächt es ein Regime viel mehr als wenn man mit ihnen offen umgeht. Wir müssen dafür kämpfen, dass es bei uns so bleibt.
Wie stellen Sie sich Ihr Leben im Ruhestand vor?
Über meine Hobbys hinaus werde ich sicher Gelegenheit finden, mich weiter einzubringen. Ich möchte für die CDU weiterarbeiten, aus der zweiten Reihe, wenn das gewünscht wird. In welcher Funktion, das überlasse ich der Partei, ich werde sicher nicht gegen jüngere Kollegen kandidieren. Auch das Thema Pflege wird mich sicher nicht loslassen.