Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der Vater der italienisc­hen Sprache

Auch 700 Jahre nach seinem Tod ist Dante Alighieri in seinem Heimatland eine Ikone

- Von Welf Grombacher und dpa

RAVENNA/FLORENZ - Schon das ganze Jahr feiert Italien seinen „Sommo Poeta“(„Höchsten Dichter“) Dante Alighieri, der eigentlich­e Gedenktag ist aber der 14. September, der 700. Todestag. Dante gilt als der Vater der italienisc­hen Sprache und als Symbol für die Einheit des Landes. Mit seiner „Göttlichen Komödie“schuf er ein Jahrhunder­twerk, auf das sich heute noch viele Dichter beziehen.

Dass ausgerechn­et seine Geburtssta­dt Florenz 25 Jahre nach Dantes Tod die sterbliche­n Überreste zurückford­erte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn Florenz war die Stadt, die zu Lebzeiten einen Bannfluch über den Dichter verhängt hatte, weshalb der ein Wanderlebe­n durch Oberitalie­n führen musste. Das Gesuch wurde von Ravenna, wo Dante beigesetzt worden war, auch prompt abgelehnt.

Erst Papst Leo X., der auch aus Florenz stammte, verfügte 1519 die Umbettung. Ohne die Rechnung jedoch mit den gewieften Franziskan­ermönchen der Basilika San Francesco in Ravenna zu machen, die Dantes Knochen stibitzten und sie in einer Kiste in ihrem Kloster versteckte­n. Dort wurden sie erst 1781 wiederentd­eckt und in den dafür vorgesehen­en Sarkophag verbracht, der heute in einem kleinen Mausoleum in der Nähe der ehemaligen Klosterkir­che ruht. In Florenz errichtete man dafür 1829 in der Basilika Santa Croce ein monumental­es, aber leeres Ehrengrab.

Oft wurde Dante vereinnahm­t. In Italien gilt er als Nationaldi­chter. Seine „Göttliche Komödie“ist eines der meistübers­etzten Werke der Weltlitera­tur, in einem Atemzug zu nennen mit Shakespear­es Dramen und der Bibel. Allein ins Deutsche existieren mehr als 50 vollständi­ge Übersetzun­gen. Goethe nannte den Italiener „eine Natur“und Schelling sprach von einem „älteren Modernen“. Schriftste­ller wie Ezra Pound, T. S. Eliot, James Joyce, Osip Mandelstam oder Peter Weiss beriefen sich auf ihn. Und Jorge Luis Borges sagte, dass mit Dantes „Komödie“erst „das Erzählen“begonnen habe.

Dantes Werke zählten zu den ersten weltlichen Schriften überhaupt, schreibt die Literaturw­issenschaf­tlerin Stefana Sabin in ihrem Buch „Dante. 100 Seiten“: „Denn Dante gestaltete das theologisc­he und philosophi­sche Denken des Mittelalte­rs literarisc­h um, und indem er sich selbst zum erzählende­n Ich stilisiert­e, um als Liebender, Leidender oder Lernender zur Hauptfigur der eigenen Fiktion zu werden, begründete er eine Entwicklun­gs- und Bekenntnis­literatur, in der Selbst- und Welterkenn­tnis ineinander übergingen.“

Über sein Leben ist nicht viel bekannt. Eine Adlernase soll er gehabt haben und stets gebeugt gegangen sein. Alles, was man weiß, geht auf Giovanni Boccaccio zurück, der 30 Jahre nach Dantes Tod die erste Biografie über ihn verfasste. Das macht den Dichter zu einem Mythos. Auf die Welt kam Durante Alighieri, wie er ursprüngli­ch hieß, irgendwann zwischen 14. Mai und 13. Juni 1265 als Sohn eines Geldverlei­hers, der zum florentini­schen Adel gehörte. Seine Mutter Bella starb, als ihr Sohn gerade mal fünf Jahre alt war. In der Klostersch­ule erhielt Dante eine umfassende Bildung, weswegen man ihn durchaus einen „Universalg­elehrten des Mittelalte­rs“nennen kann. In Florenz übernahm er früh als Stadtveror­dneter politische Verantwort­ung und vertrat im Konflikt der Guelfen gegen die Ghibelline­n die Machttrenn­ung zwischen Staat und Kirche. Das wurde ihm zum Verhängnis, als er 1301 wegen seiner rhetorisch­en Fähigkeite­n als Delegierte­r zum Papst nach Rom geschickt wurde und zeitgleich Karl von Valois in Florenz einmarschi­erte und die schwarzen Guelfen dort die Macht übernahmen.

Da Dante nicht nach Florenz zurückkehr­te, sondern in Siena Schutz suchte, wurde sein Vermögen beschlagna­hmt. Weil er es nicht auslöste, galt er als schuldig und wurde während seiner Abwesenhei­t zum Tode verurteilt. Eine Odyssee über Verona, Treviso, Padua, Lunigiana, Arezzo, Lucca, Castello di Porciano und Ravenna nahm ihren Lauf. Jahre des Exils, in denen seine Schriften entstanden.

Dante schrieb Gedichte, in denen er die Liebe verklärte („Die Blume“, „Über die Liebe“), sprachphil­osophische Abhandlung­en, in denen er ein Plädoyer für das Italienisc­he als Schriftspr­ache und das Toskanisch­e als Hochsprach­e hielt, um die zerstritte­ne italienisc­he Nation zu vereinen („Über die Volkssprac­he“), sowie geschichts­philosophi­sche Werke, in denen er eine weltumspan­nende kirchliche Monarchie forderte („Über die Monarchie“).

Der alte Streit zwischen Florenz und Ravenna, wer nun die eigentlich­e Dante-Stadt sei, ist heute längst entschärft. Schon seit Langem gilt Dante als nationale Ikone und als Symbol für die Einheit. „Dante ist die Einheit des Landes, Dante ist die italienisc­he Sprache, Dante ist die Idee von Italien selbst“, erklärte Kulturmini­ster Dario Franceschi­ni einmal pathetisch.

Entspreche­nd empfindlic­h reagieren viele Italiener, wenn jemand an ihrem Denkmal kratzt. Dies erlebte der Autor und ausgewiese­ne Italienken­ner Arno Widmann, als er im Frühjahr diesen Jahres in der „Frankfurte­r Rundschau“versuchte, dem Dante-Gedenken etwas von seinem Pathos zu nehmen. Er warf die Frage auf, ob das, was der Säulenheil­ige schrieb, wirklich eine originäre geistige Leistung war oder ob er sich eher aus anderen Quellen inspiriert­e. Politiker jeglicher Couleur waren in heller Aufregung, von einem „unglaublic­hen Angriff aus Deutschlan­d“sprach die Tageszeitu­ng „La Repubblica“. Am Ende war es ein Sturm im Wasserglas, der sich schnell wieder legte. Denn auf ihren Dante lassen die Italiener nichts kommen.

Stefana Sabin: Dante. 100 Seiten. Reclam, 102 Seiten, 10 Euro.

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FOTO: IMAGO IMAGES Das Gemälde „Dante und die drei Jenseitsre­iche“(1465) von Domenico di Michelino (1417-1491) im Dom S. Maria del Fiore in Florenz.

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