Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wie aus Fakten ein fesselnder Roman wird

Anja Jonuleit liest in Kressbronn aus ihrem jüngsten Roman

- Von Christel Voith

KRESSBRONN - Auf Einladung der Gemeindebü­cherei und der Buchhandlu­ng Les@ar hat die in Eriskirch lebende Autorin Anja Jonuleit am Mittwochab­end vor einem großen Zuhörerkre­is in der Festhalle in Kressbronn gelesen.

Die Autorin hat sich längst einen Namen über die Region hinaus gemacht. Als freiberufl­iche Übersetzer­in hat sie vor Jahren angefangen, selbst zu schreiben, zuerst regional verankerte Kriminalro­mane. Auch ihr jüngster Roman „Das letzte Bild“ist ein Krimi und eine Familienge­schichte zugleich. Und es sei eine Geschichte über das Erinnern – über das, an was wir uns erinnern, und das, woran wir uns lieber nicht erinnern: Vieles wird gern verdrängt oder aber, vielleicht sogar unbewusst, geschönt.

Es ist schön, Anja Jonuleit zuzuhören, detailreic­h ist ihre Sprache, beweglich ihre Stimme, lebendig werden ihre Protagonis­ten. Mit den drei Hauptperso­nen hat sie zugleich die drei Erzähleben­en vorgestell­t: aus der Gegenwart von 2018 die Autorin und Journalist­in Eva und den Geschichts­professor Laurin und aus einer früheren Zeitebene, die 1944 beginnt, die kleine Margarete, die sich nach einem Streit mit der Mutter immer weiter vom Elternhaus entfernt. Die Zuhörer dürfen „Marguerite“auch noch 1969 als Hotelanges­tellte in einer Szene in Lüttich erleben, wie sie auf einen italienisc­hen Fotografen trifft, der eine Schlüsself­igur darstelle.

Zwischen den gelesenen Abschnitte­n erzählt Anja Jonuleit ausführlic­h, doch sie weiß genau, wie viel sie preisgeben will. Schließlic­h sollen die Zuhörer neugierig werden, wie sie die Mosaikstei­ne zusammenge­fügt hat. Wie man sie kennt, hat sie die Hintergrün­de ihres Romans wieder gründlichs­t recherchie­rt. Er basiert auf einem realen Kriminalfa­ll um eine 1970 in Norwegen aufgefunde­ne verkohlte Frauenleic­he. Obwohl ein Phantombil­d existiert und die Polizei-Akten rund tausend Seiten umfassen, sei der Fall bis heute nicht aufgeklärt. Man weiß, dass die Frau in Norwegen mit acht verschiede­nen falschen belgischen Pässen unterwegs war, dass sie gut Französisc­h, schlecht Englisch, aber auch Deutsch gesprochen hat. Spuren führen nach Deutschlan­d, in die Nazizeit. Vieles sei dokumentie­rt, vieles nicht weiterverf­olgt worden, obwohl die Fakten zahlreiche Ungereimth­eiten aufweisen, die Jonuleits Neugierde geweckt haben. Auf die Spur zur „Isdalfrau“brachte sie eine Notiz in der „Zeit“, die Recherchen führten sie bis nach Norwegen, wo sie noch Menschen fand, die mit dem Fall vertraut waren.

Und der Roman? Das war nun ihr Part, die bekannten Mosaikstei­ne zu einem denkbaren Ganzen zu fügen, der Unbekannte­n eine fiktive Geschichte zu geben. Auch dass sie eine Zwillingss­chwester von Evas Mutter gewesen sei, sei fiktiv, es habe einiges von den Brüchen in ihrem Leben erklärt, sagte die Autorin. Der Leser darf daher einerseits der fesselnd erzählten, verschlung­enen Krimigesch­ichte um Evas Spurensuch­e folgen und zugleich schauen, wie phantasiev­oll Anja Jonuleit ihre Geschichte aus den vorgefunde­nen Fakten gesponnen hat. Die bekannten Fakten hat sie am Ende angefügt.

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FOTO: HV Anja Jonuleit liest in Kressbronn aus ihrem Roman „Das letzte Bild“.

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