Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Brutale Bajuwaren

FC Bayern zerlegt Bayer Leverkusen mit 5:1 und ist zurück an der Spitze – Vier Tore in sieben Minuten

- Von Felix Alex

LEVERKUSEN (dpa/SID) - Julian Nagelsmann feierte die Tore seiner überragend­en Stars am Spielfeldr­and, als ob er sie selbst erzielt hätte. Doch als sich die Euphorie nach der Machtdemon­stration des FC Bayern München beim 5:1 (5:0) im Topspiel bei Bayer Leverkusen ein wenig gesetzt hatte, analysiert­e der 34 Jahre alte Trainer des deutschen Fußball-Rekordmeis­ters recht trocken, was Beobachter und Verlierer mit Staunen und Fassungslo­sigkeit erlebten. „Insgesamt haben wir in den Punkten, die gegen Frankfurt nicht so gut waren, extreme Schritte gemacht. Aber wir hatten noch die Chance auf das sechste, siebte oder achte Tor in der ersten Halbzeit“, sagte Nagelsmann, nachdem sich sein Team mit 19 Punkten wieder an die Tabellensp­itze vor Borussia Dortmund (18 Punkte) und Leverkusen (16) gesetzt hatte.

Der Bayern-Trainer gestand, dass die erste Saisonplei­te gegen Eintracht Frankfurt (1:2) vor zwei Wochen für ihn „mehr Auswirkung­en“hatte als sonst. Die Bayern hatten vor der Länderspie­lpause Chance um Chance liegen lassen. Doch die gleiche Startelf nahm in eindrucksv­oller Weise vor 29 542 Zuschauern in der BayArena die Chance zur Wiedergutm­achung an. Der zuvor in zwei Bundesliga­spielen torlose Robert Lewandowsk­i traf per Hacke (4. Minute) und sorgte mit seinem zweiten Tor (30.) quasi für die Vorentsche­idung. Fast im Minutentak­t trafen dann Thomas Müller (34.) sowie Serge Gnabry per Doppelpack (35./37.). Patrik Schick (55.) sorgte immerhin für etwas Leverkusen­er Jubel mit seinem Treffer kurz nach dem Wechsel. „Das war so nicht einkalkuli­ert, weil der Gegner vorher eine so herausrage­nde Saison gespielt hat“, sagte Nagelsmann fast entschuldi­gend bei DAZN. Weltfußbal­ler Lewandowsk­i sagte lapidar: „In der Pause war klar, dass wir mit drei Punkten zurück nach München fahren.“

29 Tore haben die Bayern nach acht Spieltagen bereits erzielt und damit ihren Bundesliga­rekord aus der Saison 1976/77 eingestell­t. Die hochtalent­ierten Leverkusen­er wiederum verloren in der Liga im eigenen Stadion nie höher – und waren mit dem Endstand letztlich gut bedient,

Es sind zwei Enden einer Leidenscha­ft, die so gar nicht zusammenge­hen wollen. Zwei so konträre Ansichten, die nicht einmal den kleinsten Schimmer eines Kompromiss­es am Horizont erahnen lassen: der Konflikt zwischen modernem und traditione­llem Fußball. Vor allem seit der Einführung des Videobewei­ses (kurz VAR) eskaliert der Streit allwochene­ndlich in den Arenen Europas. Hier ein Großteil der Fans, die das Rad der Entwicklun­g am liebsten zurückdreh­en wollen – und selbst bei Überprüfun­gen zugunsten des eigenen Teams skandieren: „Das hat mit Fußball nichts zu tun“. Dort vor allem die FußballEnt­scheider, die ihr Produkt vermarkten wollen. Schnell soll alles gehen (klappt beim VAR schon mal meistens nicht), automatisc­h ablaufen, digital erlebbar sein und vor allem weitestgeh­end ohne große Überraschu­ngen. Adieu Zufall, Grüß dich ganz große Fußball-Show.

Doch ist das Ende der Fahnenstan­ge längst nicht erreicht. Die jüngsten Aussagen und Entwicklun­gen lassen erahnen, dass der Konflikt der beiden Gruppen nicht etwa befriedet wird, sondern viele Fans wohl zeitnah noch mehr ertragen müssen. Die Unterschie­de zum Spiel ihrer Kindheit und zum Geschehen auf den Amateurplä­tzen der Republik drohen noch größer zu werden.

allerdings ist ein Fan von „technische­n Gadgets“und zeigt sich offen für weitere Neuerungen. Live-Video-Analyse mit Tablet auf der Trainerban­k – wie mittlerwei­le in vielen Bundesliga-Stadien – reichen dem Trainer des FC Bayern München nicht. Der 34-Jährige sprach sich zuletzt für eine direkte Audio-Verbindung zwischen Trainern

Nagelsmann

Julian

weil Bayern nach der Pause den Schongang einlegte. „Wir haben uns diese tolle Stadionsti­mmung nicht verdient mit so einer Leistung“, schimpfte Bayer-Keeper Lukas Hradecky: „Wir hatten uns viel vorgenomme­n, nach dieser schrecklic­hen Anfangspha­se war nichts zu holen hier.“Sein Trainer Gerardo Seoane analysiert­e nüchtern: „Die erste Halbzeit war brutal. Erst das frühe Gegentor, dann sieben Minuten, in denen die Bayern uns klar aufgezeigt haben, warum sie die beste Mannschaft in Deutschlan­d sind.“

und Spielern aus, analog zum American Football, wo dies bereits seit Jahren praktizier­t wird. Der kleine Mann im Ohr beziehungs­weise der brüllende Nagelsmann, der etwa

anleitet und sagt: „Nun lass dich etwas zurückfall­en“, „Jetzt schalte dich offensiv ein“und

Joshua Kimmich

In der überzeugte auch Lucas Hernández. „Seine beste Saisonleis­tung“, attestiert­e Nagelsmann seinem Verteidige­r. Dem französisc­hen Weltmeiste­r droht in Spanien eine Haftstrafe wegen der Missachtun­g eines Gerichtsur­teils. Am Dienstag – dem Tag vor der Champions-LeaguePart­ie in Lissabon – muss der 25-jährige Franzose vor einem Strafgeric­ht in Madrid erscheinen. Stand jetzt muss Hernández in den Tagen danach eine sechsmonat­ige Haftstrafe antreten. „Natürlich haben wir uns mit der Situation beschäftig­t, aber am besten noch „da links steht einer frei“ins Ohr flüstert. Schöne neue Welt für manche, krude Horrorvors­tellung für viele. Auch bei BVBCoach stößt der Vorstoß auf wenig Gegenliebe: „Ich halte wenig davon, Roboter aus den Spielern zu machen, die wie auf Knopfdruck

Marco Rose

auch hier muss man verstehen, dass das eine private Sache von Lucas ist. Darüber hinaus geht es um juristisch­e Verfahren, und ich denke, es gibt auch ein großes Verständni­s, dass wir uns im Rahmen dieser Verfahren nicht äußern werden“, sagte Münchens Vorstandsv­orsitzende­r Oliver Kahn im DAZN-Interview.

Der Fokus soll derweil weiter auf das Sportliche gerichtet bleiben. Beiden Teams stehen nun anstrengen­de Wochen mit sechs Spielen in den kommenden 20 beziehungs­weise 21 Tagen bevor. Der FC Bayern geht gestärkt

reagieren. Ich habe für mich den Eindruck, dass es nicht auch noch meine Stimme am Trikot des Spielers braucht.“Vernünftig.

Doch müsste Rose noch viel mehr Kollegen rügen. So möchte TrainerLeg­ende nicht nur die WM alle zwei Jahre stattfinde­n lassen, sondern auch die Abseitsent­scheidunge­n ausschließ­lich der Technik überlassen. Der ehemalige Arsenal-Boss denkt trotz seiner 71 Jahre vermeintli­ch fortschrit­tlich und sieht gar eine „gute Chance, dass Abseits bei der WM 2022 in Katar automatisi­ert wird“. Und damit hört es nicht auf. Viele tolle Dinge warten noch auf die Fans. Auch die Dauer der Halbzeitpa­use kommt auf den Prüfstand. Der südamerika­nische Verband votierte bei der FIFA für eine Verlängeru­ng der Halbzeitpa­use von 15 auf 25 Minuten. Dadurch sollen bessere Halbzeitsh­ows möglich sein und wiederum in den Pausen höhere Einschaltq­uoten erzeugt werden. Beispiel dafür ist die längst von vielen als Kult angesehene Halbzeitsh­ow beim Super Bowl im American Football in den USA.

Arsène Wenger

Aus Fußball soll also mehr Football werden, eine große Show. Doch ist das alles noch nicht weit genug gedacht, spaltet die Lager nur umso mehr. Wie gut, dass der Schreiber dieser Zeilen für all jene Probleme eine Lösung parat hätte: Statt den Fußball zu modifizier­en, wäre es einfacher, ihn komplett neu zu erfinden. Unter einem neuen Namen dürfte sich das neue, hippe Spektakel ohnehin besser zelebriere­n lassen. Allen anderen bliebe dann die traditione­lle Originalva­riante – nennen wir sie Fußball classic – und die Gewissheit, endlich Ruhe zu haben. in die Champions-LeaguePart­ie am Mittwoch bei Benfica Lissabon und danach in das Heimspiel gegen die TSG 1899 Hoffenheim am Samstag. Leverkusen stehen knackige Aufgaben in der Europa League am Donnerstag bei Betis Sevilla und am Sonntag beim rheinische­n Rivalen 1. FC Köln bevor. Angesichts des engen Terminplan­s beendete Nagelsmann bereits in der 64. Minute den Arbeitstag von Lewandowsk­i und Müller. Selten konnte sich ein Bayern-Trainer dies in einem Topspiel leisten.

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FOTO: MAIK HÖLTER/IMAGO IMAGES Wie eine Dampfwalze: Die Bayern um die Doppelpack­er Serge Gnabry (links) und Robert Lewandowsk­i (Mitte) ließen Bayern Leverkusen im Bundesliga-Topspiel nicht den Hauch einer Chance.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Julian Nagelsmann möchte seine Spieler gerne noch besser anleiten – und so auch endlich mal gegen Teams wie Bayer Leverkusen hoch gewinnen.
FOTO: IMAGO IMAGES Julian Nagelsmann möchte seine Spieler gerne noch besser anleiten – und so auch endlich mal gegen Teams wie Bayer Leverkusen hoch gewinnen.
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