Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Windräder über Oberschwaben
Forstministerium weist größte Fläche für Anlagen im Altdorfer Wald aus
STUTTGART - Auf der Suche nach Standorten für neue Windräder im Land nimmt Forstminister Peter Hauk (CDU) einen besonders umstrittenen Wald in den Blick: den Altdorfer Wald in Oberschwaben. Bis zu 1000 Windräder sollen in den kommenden Jahren im baden-württembergischen Staatswald entstehen. So haben es Grüne und CDU beschlossen, als sie im Frühjahr die Neuauflage ihrer Koalition geschmiedet haben. Erste Standorte hat Forstminister Peter Hauk (CDU) nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“an diesem Dienstag dem grünschwarzen Kabinett präsentiert.
Mit einer Fläche von 1370 Hektar ist der Altdorfer Wald im Kreis Ravensburg das größte Gebiet, auf dem neue Windkraftanlagen errichtet werden sollen. Es ist nicht der einzige Standort im Kreis: Auch bei Bad Waldsee sollen sich nach Hauks Plänen auf 70 Hektar Windräder drehen. Neben diesen Standorten hat Hauk drei weitere identifiziert: auf der Schwäbischen Alb bei Lichtenstein im Kreis Reutlingen (120 Hektar), bei Sulz im Kreis Rottweil (110 Hektar) sowie auf dem Blauen im Südschwarzwald bei Malsburg-Marzell im Kreis Lörrach (200 Hektar).
Auf den fünf Flächen könnten insgesamt 90 Windräder von den geplanten 1000 errichtet werden, erklärt Hauks Sprecherin auf Nachfrage. Er selbst sagt: „Ich nehme die Herausforderung der Energiewende sehr ernst, deshalb haben wir zügig einen ersten Aufschlag gemacht. Der nächste folgt Anfang 2022.“Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) betont derweil, dass weitere Flächen in anderen Landesteilen noch in diesem Jahr hinzukommen werden. Sie begrüße, dass der Forst damit begonnen habe, Flächen im Staatswald für neue Windkraftanlagen auszuweisen, erklärt eine Sprecherin.
Besonders im Fokus steht für Hauk der Altdorfer Wald, wie er sagt. „Der Altdorfer Wald ist mit 1370 Hektar die größte zusammenhängende Fläche dieser Tranche. Wir wollen vermeiden, dass mal hier mal da ein Windrad steht, uns geht es darum, die Windkraftstandorte zu konzentrieren und der Altdorfer Wald bietet sich hier an.“Gerade dieses größte zusammenhängende Waldgebiet Oberschwabens hat zuletzt für Zank gesorgt. Auslöser war der Regionalplan für den Bereich Bodensee-Oberschwaben, der die Kreise Ravensburg, Sigmaringen und Bodensee umfasst. Umweltschützer hatten sich gegen die Fortschreibung zur Wehr gesetzt, Aktivisten bewohnen seit Februar ein Protestcamp in den Bäumen im Wald. Sie wenden sich dabei vor allem gegen die Möglichkeit, bei Vogt einen Teil des Waldes dem Abbau von Kies zu opfern. Die Regionalversammlung hat den Regionalplan im Juni dennoch verabschiedet.
Samuel Bosch, einer der Baumbesetzer, spricht mit Blick auf die Pläne im Altdorfer Wald von einer Abwägungsfrage. „Das ist nicht wie beim Kies ein klimaschädliches Projekt, da muss man schauen, wie ökologisch der Wald an dieser Stelle wirklich ist.“Vorsichtig äußert sich auch Alexander Knor, Sprecher des Vereins Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald, der den Schutz des Waldes zum Ziel hat. „Man muss jeden Standort einzeln sehen und bewerten. Der Wald ist ja riesig“, sagt Knor. Laut
Plänen des Ministeriums sollen die Windräder vor allem auf dem Waldburger Rücken entstehen. „Der Waldburger Rücken ist der größte Höhenzug im Altdorfer Wald, insofern ist das schon logisch, dass der in den Blick geraten ist“, so Knor. Am Dienstagabend trifft sich der Vereinsvorstand zur Sitzung, dann sollen laut Knor die neuen Windkraftpläne besprochen und bewertet werden.
Im Vergleich mit anderen Bundesländern hat Baden-Württemberg bei der Windkraft Nachholbedarf. Wie das Umweltministerium der „Schwäbischen Zeitung“sagt, hatte der Wind im vergangenen Jahr einen Anteil am Strommix von 6,6 Prozent. Insgesamt 750 Windräder erzeugten demnach aktuell Strom im Südwesten – 16 mehr als zum Jahresende 2020. Zum Vergleich: In Niedersachsen
sind es fast zehnmal so viele. Im ersten Halbjahr 2021 seien zwar 24 Windräder im Land dazugekommen, doch es wurden auch einige stillgelegt. „Dabei handelt es sich aber stets um ältere, kleinere und leistungsschwächere Anlagen“, so Walker.
Dass die Windkraft noch so ausbaufähig ist trotz grüner Landesregierung seit zehn Jahren, liegt vor allem an drei Gründen: Zum einen hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz den Süden Deutschlands bislang beim Windkraftausbau benachteiligt, da die wirtschaftlichsten Standorte beim Ausbau zum Zuge kamen – also die mit dem meisten Wind und den günstigsten Bedingungen beim Anlagenbau. Und diese liegen in der Regel im Norden der Republik. Eine SüdQuote soll hier ab kommendem Jahr Abhilfe schaffen. Zum anderen sorgen Bürgerproteste und Bedenken bezüglich Artenschutz immer wieder für Blockaden und Verzögerung, sobald Pläne zu einem konkreten Anlagenbau bekannt werden.
Den letzten Punkt nennt Minister Hauk als einen Grund für seinen Fokus auf den Altdorfer Wald. „Im Altdorfer Wald haben wir natur- und artenschutzrechtlich die verhältnismäßig irrelevantesten Flächen, gerade dort, wo nur Fichten stehen.“Klar sei auch, dass sich die angestrebte Energiewende, der sich die Landesregierung verschrieben hat, nicht unbemerkt realisieren lasse. „Es wird nicht so sein, dass wir eine Energiewende erreichen, die keiner sieht. Die Energiewende wird auf den Dächern, in den Wäldern und auf den Feldern sichtbar werden.“Wer morgen noch verlässlich Strom aus dem Land wolle, müsse Kompromisse eingehen, so Hauk. Das Ziel der Landesregierung ist es, Baden-Württemberg bis 2040 klimaneutral zu machen. Das heißt, dass nur so viel Treibhausgase ausgestoßen werden sollen, wie auch gebunden werden.
Das Staatsunternehmen ForstBW wird laut Hauks Sprecherin die Ausschreibungen für die fünf neuen Windkraftstandorte vorbereiten – erst dann werde klar, wie hoch die einzelnen Anlagen werden. Wie das Unternehmen dabei vorgeht, ist seit Juli in einem Eckpunktepapier zur Vermarktungsoffensive Windkraft festgelegt. Umweltministerin Walker hat sich zudem zum Ziel gesetzt, die Genehmigungsverfahren von aktuell vier bis fünf Jahren deutlich zu verringern. „Klar ist, dass es dazu höchstwahrscheinlich rechtlicher Änderungen bedarf “, erklärt eine Sprecherin. Eine Taskforce Windkraft, die bald gegründet werden soll, soll sich darum kümmern.