Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Meckenbeurer Pfarrer zwischen zwei Kulturen
Würdigung für beispielhaften Gottesmann, der dazu erst als Auswanderer werden konnte
MECKENBEUREN/MARSHFIELD Wenn sich Josef Friedel einem Thema annimmt, dann ist er hartnäckig. Vor 13 Jahren hat sich der Meckenbeurer Lokalhistoriker erstmals mit Hermann Joseph Untraut (1854-1941) beschäftigt, und dieser Tage liegen nun seine Erkenntnisse vor. Heft 18 der „Materialien zur Ortsgeschichte Meckenbeuren“ist daraus geworden. Erhältlich sind sie nurmehr in arg begrenzter Anzahl, da Friedel diese für die Heimatgeschichte so wichtigen Werke ja inzwischen selbst auflegt.
Dabei taugt der in Kammersteig (Pfarrei Bodnegg) geborene, im Alter von sechs Monaten mit der Mutter nach Meckenbeuren umgezogene und schließlich in Wisconsin zu Ehren gekommene Untraut durchaus als Beispiel. Zum einen seiner wohltätigen Werke wegen (zu finden auf beiden Seiten des „großen Teichs“), zum anderen aufgrund eines Werdegangs, der keinen Einzelfall darstellt. Als Priesteramtskandidat war Untraut von seiner Heimatdiözese Rottenburg abgelehnt worden – was in der seinerzeitigen „Priesterschwemme“und einer unehelichen Herkunft begründet sein dürfte. Wie er letztlich zum Entschluss kam, nach Amerika auszuwandern, um seiner gefühlten Berufung gerecht werden zu können, „konnte nicht eruiert werden“, ist Friedel im Vorwort gewohnt offen.
Stellvertretend kann Untraut gesehen werden für Idealisten, die zur Kulturkampfzeit um 1880 den Beruf als Geistlicher anstrebten und ihn im Ausland in einer wachsenden deutschen Einwanderergemeinde verwirklichten. Im Meckenbeurer Ortsteil Brand (heutige Tettnanger Straße) aufgewachsen und wohl in Reute die Dorfschule Untermeckenbeuren absolvierend, besuchte Untraut Gymnasium und Stift des Klosters Mehrerau nahe Bregenz und studierte Theologie in Eichstätt. „Nach dem Studium traf ihn ein Einreiseverbot nach Württemberg“, nimmt Friedel
Bezug aufs Jahr 1881. Zu den Restriktionen zählte auch, dass Untraut gezwungen war, auf sein Bürgerrecht in Meckenbeuren zu verzichten. Für die Gemeinde war dies von Bedeutung, damit er ihr nicht späterhin zur Last fallen konnte (falls bedürftig).
Woher aber rührte die Stellenknappheit für Geistliche in dieser Zeit, die Friedel mit einer Angabe verdeutlicht – nämlich dass es in der Diözese rund 35 Interessenten für die 20 jährlich frei werdenden Stellen gab?
Zweierlei mag dabei zusammengekommen sein: Die harte Linie des Reichskanzlers Bismarck, zu der beispielsweise gehörte, alle Klöster aufzulösen, die nicht krankenpflegerisch ausgerichtet waren. Und: In Württemberg existierte keine Altersgrenze für Pfarrer, sodass freie Stellen Mangelware waren.
Was sich beispielsweise in Brochenzell so auswirkte, dass die damalige „160 Seelen“-Pfarrgemeinde von einem Pfarrer und einem Vikar betreut wurde.
Nur: Frisch gebackene Geistliche hatten es schwer, in der Diözese durften pro Jahr nur 30 geweiht werden – so schreibt es der Staat vor. Bei Hermann Untraut mag hinzugekommen sein, dass er „beigebracht war in die Ehe“. Ein Meckenbeurer Wagnermeister hatte ihn adoptiert und ein solch gutes Verhältnis bewahrt, dass der Vater ihn in Amerika besuchte und dort 1901 verstarb.
Dorthin war der Sohn wohl im Sommer 1882 ausgewandert. Die Priesterweihe feierte Untraut am 23. September desselben Jahres in Milwaukee, die Primiz in Chippewa Falls, und als Vikar wirkte er ab 1883 in Edson. Fünf Jahre später wurde Untraut Pfarrer in Arcadia.
Weitere Stationen sind ein Heimaturlaub 1893, der Wechsel nach La Crosse im gleichen Jahr und 1908 nach Eau Clair, wo der für seine Marienfrömmigkeit bekannte Hermann Joseph Untraut bis 1920 wirkte. Bis er 1932 in den Ruhestand versetzt wurde, sollte er als Kaplan und Krankenhausseelsorger in Marshfield tätig sein. „Überall baute er Schulen und Kirchen und war stets ein überaus seeleneifriger, hochangesehener und viel geliebter Geistlicher.“So steht es in einem Brief seines Neffen, des Stadtpfarrers Anton König aus Ellwangen.
Ein Wirken, das seinen Tod 1941 überdauerte. So hatte er in der heutigen 19 000-Einwohner-Stadt Marshfield ein Krankenhaus gestiftet – und in Meckenbeuren bereicherte er mit seinen Stiftungen die noch junge Pfarrkirche St. Maria (erbaut 1913). Das Gnadenbild der „Immerwährenden Hilfe Mariens“, das jahrelang den Hochaltar der Kirche zierte, geht ebenso auf seine Spenden zurück wie die Kreuzwegstationen und liturgische Geräte. „Seine beträchtlichen Geldbeträge zum Kirchenbau von 1913 wünschte er ungenannt anzunehmen“, so Friedel.
Wer Heft 18 der Materialien zur Ortsgeschichte einsehen will, findet es in der Gemeindebücherei im Meckenbeurer Rathaus oder auch in der Bodensee-Bibliothek in Friedrichshafen.