Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das Geld bleibt weiterhin billig
US-Notenbank beschließt, lockere Geldpolitik langsam zu beenden – EZB hält dagegen an ihrem Kurs fest
WASHINGTON (dpa) - Die US-Notenbank will ihre in der CoronaPandemie beschlossenen Krisenhilfen schrittweise zurückfahren. Die US-Wirtschaft hat sich erholt, dafür steigt die Inflationsgefahr und damit der Druck auf die Währungshüter. Vor diesem Hintergrund kündigte die Federal Reserve (Fed) am Mittwoch eine Reduzierung ihrer konjunkturstützenden Wertpapierkäufe im derzeitigen Volumen von 120 Milliarden Dollar pro Monat um 15 Milliarden Dollar an. Mit dem Programm pumpt die Fed zusätzliches Geld in die Finanzmärkte, um die Kreditzinsen niedrig zu halten und die Wirtschaft anzukurbeln.
Am Leitzins, der in der extrem niedrigen Spanne von 0,0 bis 0,25 Prozent liegt, ändert sich aber vorerst nichts. Die geldpolitischen Entscheidungen waren an den Finanzmärkten so erwartet worden, die Fed hatte Anleger bereits entsprechend vorbereitet. Die Drosselung der Anleihekäufe dürfte in den kommenden Monaten schrittweise in gleicher Größenordnung weitergehen, so dass das Programm im Juni 2022 auslaufen würde. Die Währungshüter behalten sich jedoch vor, das Tempo je nach wirtschaftlicher Entwicklung bei Bedarf anzupassen.
Die Leitzinsen dürften indes noch etwas länger an der Nulllinie bleiben. „Wir glauben nicht, dass es an der Zeit ist, die Zinsen anzuheben“, sagte Fed-Chef Jerome Powell nach den geldpolitischen Beschlüssen. Trotz einer erheblich besseren Lage am Arbeitsmarkt gebe es noch Raum für Verbesserungen. An der Börse wird Mitte 2022 – nach dem Ende des Anleihekaufprogramms – mit dem ersten Zinsschritt gerechnet. Damit wäre die Fed wohl schneller als die Europäische Zentralbank (EZB), deren Präsidentin Christine Lagarde Spekulationen auf Zinserhöhungen im kommenden Jahr am Mittwoch in Lissabon dämpfte.
Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Bedingungen für eine Anhebung im kommenden Jahr erfüllt seien, sagte Lagarde. Trotz der derzeit erhöhten Inflation sei der mittelfristige Inflationsausblick gedämpft. Damit bekräftigte Lagarde ihre Äußerungen nach der Zinssitzung der Notenbank in der vergangenen Woche. Hintergrund sind zunehmende Spekulationen auf baldige Zinserhöhungen durch die EZB. Aus speziellen Kontrakten auf dem kurzfristigen Kapitalmarkt konnte zuletzt eine erste Anhebung bereits für Mitte 2022 abgeleitet werden. Dabei hat die EZB noch nicht einmal beschlossen, ihr Corona-Notprogramm Pepp, mit dem sie festverzinsliche Wertpapiere wie Staatsanleihen kauft, zu beenden. Auslöser der Spekulationen ist die erhöhte Inflation, die über dem mittelfristigen Zielwert der EZB von zwei Prozent liegt.
„Es ist nicht verwunderlich, dass die Fed lange vor der EZB mit einer Straffung ihrer Geldpolitik beginnt“, erklärte Experte Friedrich Heinemann vom Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut
ZEW. „Die konjunkturelle Erholung der USA ist weiter fortgeschritten, außerdem ist die Fiskalpolitik noch expansiver als in Europa.“Zudem sei die Lage in der Eurozone wegen der Mitgliedsländer im Währungsraum anders als in den USA. „Es ist unsicher, ob die Finanzierung hoch verschuldeter Euro-Staaten noch funktionieren würde, wenn die EZB diese Anleihekäufe einstellt.“Die Fed sei handlungsfähiger, weil sie nicht die Liquidität von Teilstaaten garantieren müsse.
An den Finanzmärkten kamen Powells Aussagen gut an. Die USBörsen setzten ihre Rekordjagd mit der Aussicht auf eine vorerst anhaltende Billiggeldversorgung fort. Sie schlossen zur Wochenmitte mit neuen Höchstständen. Powell räumte zwar ein, dass die erhöhte Inflation keinesfalls der Fed-Definition
von Preisstabilität entspreche, betonte aber – wie zuvor schon der Rat der Notenbanker in seinem Statement – dass hinter der erhöhten Teuerung in den USA in erster Linie vorübergehende Faktoren stehen dürften. Zudem bekräftigte er, dass die USA das Ziel der Vollbeschäftigung trotz der Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt noch nicht erreicht hätten.
Die Fed hatte auf die Corona-Krise mit einer extremen Lockerung ihrer Geldpolitik reagiert. Doch inzwischen ist die Notenbank unter Druck, einen Gang herunterzuschalten. Die US-Inflationsrate legte im September auf 5,4 Prozent zu und erreichte damit – wie schon im Juni und Juli – das höchste Niveau seit 2008. Die Teuerung liegt damit deutlich über dem Fed-Zielwert von zwei Prozent. Angesichts hoher Energiepreise und anhaltender Lieferprobleme
im Welthandel wird immer deutlicher, dass die erhöhte Inflation kein – wie von der Fed zunächst angenommen – relativ rasch vorübergehendes Phänomen ist.
Unterdessen hat sich die USWirtschaft weitgehend von der Krise erholt. In den Sommermonaten verlor das Wachstum zwar wegen Lieferengpässen in der Industrie und steigender Corona-Fallzahlen wieder deutlich an Schwung. Doch kritisch scheint die Lage nicht mehr. So beschleunigte sich etwa der Stellenaufbau in der Privatwirtschaft laut Daten des Arbeitsmarktdienstleisters ADP im Oktober unerwartet. Mit Spannung wird der breiter gefasste Arbeitsmarktbericht der US-Regierung am Freitag erwartet. Im September war die Arbeitslosenquote in den USA auf 4,8 Prozent gefallen. Vor der Pandemie lag sie allerdings bei nur 3,5 Prozent.