Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Renaissance eines Pop-Phänomens
Die schwedische Band Abba veröffentlicht mit „Voyage“ihr erstes neues Studioalbum seit 40 Jahren
FREIBURG - Abba sind wieder da – aber waren sie jemals wirklich weg? So schrieb etwa die britische Zeitung „The Guardian“überrascht im September: „Wer hätte gedacht, dass die in Seide gekleideten Schweden jemals wieder dem Zeitgeist entsprechen würden? Und jetzt sieht es wieder so aus, als ob sie ein Nummer-1-Album landen werden!“Was man dabei ergänzen sollte: Der Artikel datiert vom September 1992.
Bei dem seinerzeit angekündigten Album handelte es sich um „Abba Gold“, eine Sammlung ihrer allergrößten Hits – beileibe nicht die erste, dennoch wurden seitdem stolze 30 Millionen Exemplare davon abgesetzt. Was nun ansteht, ist aus Sicht der Fans allerdings eine noch größere Sensation: „Voyage“, ihr neuntes Studioalbum, das tatsächlich zehn komplett neue Songs enthält. Gut, die ganz hartgesottenen Fans sind bereits auf Pop-archäologische Spurensuche gegangen und haben ein bisschen Vertrautes entdeckt: Die vorab veröffentlichte Single „Just A Notion“klingt nicht nur wie ein fröhlicher Abba-Stampfer aus dem Jahre 1978, sie wurde auch seinerzeit komponiert, dann aber verworfen und tauchte bislang nur als Schnipsel auf einem Boxset aus dem Jahr 1994 auf. Das Songwriter-Gespann der Band, bestehend aus Benny Andersson und Björn Ulvaeus, ist allerdings nicht nur absolut perfektionistisch, sondern auch auf effiziente Ressourcenverwertung getrimmt, und so läuft nun eine neu aufgenommene Version in allen Radios, die wie zu den Hochzeiten vor gut 40 Jahren klingt, aber dennoch nicht altbacken.
Das gilt ebenfalls für die beiden anderen vorab veröffentlichten Songs: „I still have Faith in You“ist eine klassische Große-Gefühle-Ballade und „Don’t Shut Me Down“ein Popsong voller positiver Energie. Beide Nummern spielen textlich zudem auf die lange für unmöglich gehaltene Rückkehr des Popquartetts an.
Wenn Abba jemals wirklich so etwas wie aus der Mode waren, dann in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Nachdem die privaten Beziehungen der beiden Komponisten zu den beiden Sängerinnen Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad bereits zuvor in die Brüche gegangen waren, löste sich die Band 1982 de facto auf – eine offizielle Bekanntgabe der Trennung gab es nie. Zwar feierte man weiter gewisse Erfolge – die Frauen mit ihren Soloplatten, die Männer mit dem Musical „Chess“(„One Night in Bangkok“) – von der Hauptband schienen viele allerdings erst einmal genug zu haben. Das kann auch als Gegenreaktion auf die Allgegenwärtigkeit der Schweden im Jahrzehnt zuvor gesehen werden: Mit fast 50 Hitsingles seit dem Eurovisions-Gewinn mit „Waterloo“lief eigentlich fast immer ein neuer Abba-Song, der dramatische Liebesreigen innerhalb der Band dominierte die Schlagzeilen. Und über die bunten Hippieklamotten der vier rümpfte man in den coolen 1980ern ebenso die Nase.
Vor allem die Briten hatten ein höchst ambivalentes Verhältnis zu Abba.
Als Muttersprachler mokierte man sich über die holprig-banalen englischen Texte: „Geld, Geld, Geld, das muss viel Spaß machen in einer Welt der Reichen“(deutsche Übersetzung des Refrains von Abbas Welthit „Money, Money Money“). Im anderssprachigen Teil der Welt dürften dagegen gerade die simplen, zunächst nach Reimwörterbuch klingenden Zeilen zum Erfolg beigetragen haben. Ganz fair war die Kritik ohnehin nicht, denn mit der Zeit wurden die Songs auch gehaltvoller: „One of Us“und „The Winner Takes It All“setzen sich etwa mit den zerbrochenen Abba-Beziehungen auseinander.
Und „The Day Before You Came”, die vorletzte Single vor der langen Pause, ist sogar ein kleines Meisterwerk, das über die Jahre zu erhitzten Debatten geführt hat: Die Sängerin beschreibt einen absolut durchschnittlichen Tagesablauf, aber was kommt dann: ein Verbrechen? Die große Liebe? Den Reiz der musikalisch ungewöhnlichen Nummer erkannte auch die britische Synthiepop-Band Blancmange und landete bereits zwei Jahre später mit ihrer Coverversion einen Hit. Für das ganz große Revival sorgten ebenfalls Briten: 1992 nahmen Erasure unter dem Titel „Abba-esque“eine EP (so hieß früher ein Zwischending zwischen Single und Album) auf und interpretierten vier Hits der Band wie „Take A Chance on Me“neu für die Tanzflächen der 1990er. Sänger Andy Bell war zuvor ein begeisterter Besucher der Abba-Nächte in den Londoner Schwulenclubs gewesen, in denen auch Björn Again für Begeisterung sorgte. Die Band feiert mit ihrer Mischung aus Parodie und Tribut bis heute weltweit Erfolge und stammt aus Australien. Der Kontinent gilt als absolute Hochburg der „Abbamania“
– ein 1976er-Fernsehspecial der Schweden erreichte „down under“mehr Zuschauer als die Mondlandung.
Es waren dann auch zwei australische Filme, die Abba in den 1990ern selbst beim etwas elitäreren Publikum wieder zu akzeptiertem Ohrwurmfutter machten: In „Muriels Hochzeit“findet eine Außenseiterin Trost bei der Musik der Schweden, in „Priscilla – Königin der Wüste“reisen Abba-begeisterte Draqqueens durch das australische Outback. Die Szene hielt den Königinnen von Abba somit immer die Treue, und allerspätestens seit dem Musical „Mamma Mia“und seinen Verfilmungen stürmt auch das ganz breite Publikum aller Altersschichten wieder auf die Tanzfläche, wenn „Dancing Queen“ertönt.
Diese anhaltende Begeisterung dürfte „Voyage“sicherlich an die Spitze unzähliger Charts katapultieren, und Ende Mai nächsten Jahres geht das Comeback weiter: Von da an treten die vier als Hologramme in einem eigens erbauten Theater in London auf. Nach „Abbamania“muss dann also wohl „Abbatare“(Abba + Avatare) dem allgemeinen Sprachgebrauch hinzugefügt werden.