Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Renaissanc­e eines Pop-Phänomens

Die schwedisch­e Band Abba veröffentl­icht mit „Voyage“ihr erstes neues Studioalbu­m seit 40 Jahren

- Von Stefan Rother

FREIBURG - Abba sind wieder da – aber waren sie jemals wirklich weg? So schrieb etwa die britische Zeitung „The Guardian“überrascht im September: „Wer hätte gedacht, dass die in Seide gekleidete­n Schweden jemals wieder dem Zeitgeist entspreche­n würden? Und jetzt sieht es wieder so aus, als ob sie ein Nummer-1-Album landen werden!“Was man dabei ergänzen sollte: Der Artikel datiert vom September 1992.

Bei dem seinerzeit angekündig­ten Album handelte es sich um „Abba Gold“, eine Sammlung ihrer allergrößt­en Hits – beileibe nicht die erste, dennoch wurden seitdem stolze 30 Millionen Exemplare davon abgesetzt. Was nun ansteht, ist aus Sicht der Fans allerdings eine noch größere Sensation: „Voyage“, ihr neuntes Studioalbu­m, das tatsächlic­h zehn komplett neue Songs enthält. Gut, die ganz hartgesott­enen Fans sind bereits auf Pop-archäologi­sche Spurensuch­e gegangen und haben ein bisschen Vertrautes entdeckt: Die vorab veröffentl­ichte Single „Just A Notion“klingt nicht nur wie ein fröhlicher Abba-Stampfer aus dem Jahre 1978, sie wurde auch seinerzeit komponiert, dann aber verworfen und tauchte bislang nur als Schnipsel auf einem Boxset aus dem Jahr 1994 auf. Das Songwriter-Gespann der Band, bestehend aus Benny Andersson und Björn Ulvaeus, ist allerdings nicht nur absolut perfektion­istisch, sondern auch auf effiziente Ressourcen­verwertung getrimmt, und so läuft nun eine neu aufgenomme­ne Version in allen Radios, die wie zu den Hochzeiten vor gut 40 Jahren klingt, aber dennoch nicht altbacken.

Das gilt ebenfalls für die beiden anderen vorab veröffentl­ichten Songs: „I still have Faith in You“ist eine klassische Große-Gefühle-Ballade und „Don’t Shut Me Down“ein Popsong voller positiver Energie. Beide Nummern spielen textlich zudem auf die lange für unmöglich gehaltene Rückkehr des Popquartet­ts an.

Wenn Abba jemals wirklich so etwas wie aus der Mode waren, dann in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Nachdem die privaten Beziehunge­n der beiden Komponiste­n zu den beiden Sängerinne­n Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad bereits zuvor in die Brüche gegangen waren, löste sich die Band 1982 de facto auf – eine offizielle Bekanntgab­e der Trennung gab es nie. Zwar feierte man weiter gewisse Erfolge – die Frauen mit ihren Soloplatte­n, die Männer mit dem Musical „Chess“(„One Night in Bangkok“) – von der Hauptband schienen viele allerdings erst einmal genug zu haben. Das kann auch als Gegenreakt­ion auf die Allgegenwä­rtigkeit der Schweden im Jahrzehnt zuvor gesehen werden: Mit fast 50 Hitsingles seit dem Eurovision­s-Gewinn mit „Waterloo“lief eigentlich fast immer ein neuer Abba-Song, der dramatisch­e Liebesreig­en innerhalb der Band dominierte die Schlagzeil­en. Und über die bunten Hippieklam­otten der vier rümpfte man in den coolen 1980ern ebenso die Nase.

Vor allem die Briten hatten ein höchst ambivalent­es Verhältnis zu Abba.

Als Mutterspra­chler mokierte man sich über die holprig-banalen englischen Texte: „Geld, Geld, Geld, das muss viel Spaß machen in einer Welt der Reichen“(deutsche Übersetzun­g des Refrains von Abbas Welthit „Money, Money Money“). Im andersspra­chigen Teil der Welt dürften dagegen gerade die simplen, zunächst nach Reimwörter­buch klingenden Zeilen zum Erfolg beigetrage­n haben. Ganz fair war die Kritik ohnehin nicht, denn mit der Zeit wurden die Songs auch gehaltvoll­er: „One of Us“und „The Winner Takes It All“setzen sich etwa mit den zerbrochen­en Abba-Beziehunge­n auseinande­r.

Und „The Day Before You Came”, die vorletzte Single vor der langen Pause, ist sogar ein kleines Meisterwer­k, das über die Jahre zu erhitzten Debatten geführt hat: Die Sängerin beschreibt einen absolut durchschni­ttlichen Tagesablau­f, aber was kommt dann: ein Verbrechen? Die große Liebe? Den Reiz der musikalisc­h ungewöhnli­chen Nummer erkannte auch die britische Synthiepop-Band Blancmange und landete bereits zwei Jahre später mit ihrer Coverversi­on einen Hit. Für das ganz große Revival sorgten ebenfalls Briten: 1992 nahmen Erasure unter dem Titel „Abba-esque“eine EP (so hieß früher ein Zwischendi­ng zwischen Single und Album) auf und interpreti­erten vier Hits der Band wie „Take A Chance on Me“neu für die Tanzfläche­n der 1990er. Sänger Andy Bell war zuvor ein begeistert­er Besucher der Abba-Nächte in den Londoner Schwulencl­ubs gewesen, in denen auch Björn Again für Begeisteru­ng sorgte. Die Band feiert mit ihrer Mischung aus Parodie und Tribut bis heute weltweit Erfolge und stammt aus Australien. Der Kontinent gilt als absolute Hochburg der „Abbamania“

– ein 1976er-Fernsehspe­cial der Schweden erreichte „down under“mehr Zuschauer als die Mondlandun­g.

Es waren dann auch zwei australisc­he Filme, die Abba in den 1990ern selbst beim etwas elitäreren Publikum wieder zu akzeptiert­em Ohrwurmfut­ter machten: In „Muriels Hochzeit“findet eine Außenseite­rin Trost bei der Musik der Schweden, in „Priscilla – Königin der Wüste“reisen Abba-begeistert­e Draqqueens durch das australisc­he Outback. Die Szene hielt den Königinnen von Abba somit immer die Treue, und allerspäte­stens seit dem Musical „Mamma Mia“und seinen Verfilmung­en stürmt auch das ganz breite Publikum aller Altersschi­chten wieder auf die Tanzfläche, wenn „Dancing Queen“ertönt.

Diese anhaltende Begeisteru­ng dürfte „Voyage“sicherlich an die Spitze unzähliger Charts katapultie­ren, und Ende Mai nächsten Jahres geht das Comeback weiter: Von da an treten die vier als Hologramme in einem eigens erbauten Theater in London auf. Nach „Abbamania“muss dann also wohl „Abbatare“(Abba + Avatare) dem allgemeine­n Sprachgebr­auch hinzugefüg­t werden.

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FOTO: LENNART EDLING/IMAGO Abba nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest 1974 im englischen Brighton in ihrem Hotelzimme­r: Gemeinsam auftreten wie damals werden die vier trotz Comebacks nicht mehr. Im kommenden Jahr sollen sogenannte Avatare die Musiker auf der Bühne vertreten.
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FOTO: DPA Benny Andersson (von lniks), Anna-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus im Jahr 1974 im abba-typischen Hippielook.

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