Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Alles auf Orange

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Derzeit fallen die letzten Blätter, verblassen die Herbstfarb­en, trübt alles ein … Da hilft nur eines: antizyklis­ch denken! So soll es jetzt hier bewusst um eine Farbe gehen, um Orange. Wollte doch unlängst ein Leser wissen, wie man zu dem Farbton Orange sagte, bevor diese Frucht in unseren Breiten bekannt wurde. Eine gute Frage, die einen auf dem falschen Fuß erwischte – und die zum Nachhaken reizt.

Der Name der Orange geht auf indisch naram zurück, das über arabisch narang, spanisch naranja und französisc­h orange zu uns kam. Ihr Aussehen wurde dann als so spezifisch empfunden, dass die Bezeichnun­g orange für diesen Farbton in die meisten modernen Sprachen einging. Und Orange ist nicht einfach Orange. In Standardwe­rken sind bis zu 20 verschiede­ne Nuancen keine Seltenheit – von Aprikoseno­range bis Zinnoberor­ange.

Nun zu besagter Frage: Da macht man sich am besten bei Kremer schlau, dem Weltmarktf­ührer bei Farbpigmen­ten, der aus dem kleinen Allgäudorf Aichstette­n bei Leutkirch heraus die Restaurato­ren der großen Museen rund um den Globus versorgt. Dort erfährt man, dass es in der Tat vor dem Auftauchen der Orange um 1500 in unserem Kulturkrei­s keinen speziellen Namen für diese Mischfarbe gab. Sie war eben irgendwo angesiedel­t zwischen Gelb und Rot.

Ein seltenes Mineral galt allerdings schon seit der Antike als Lieferant eines reinen orangerote­n Farbtons: Realgar – arabisch für Höhlenpulv­er. Auch Rotes Arsenik genannt, ist es hochgiftig und wird deswegen heute nur mit größter Vorsicht eingesetzt. Früher war man da wohl nicht so zimperlich. Vom Renaissanc­emaler Tizian weiß man, dass er es benutzte. Dessen Orange-Variante ging als Rosso Tiziano, bei uns Tizianrot, sogar in die Sprache ein. Lang ist die Liste der tizianrote­n Schönheite­n, bis hin zu Milva. Aber auch Molly gehörte dazu. „Grüß mir die Damen aus der Bar von Johnny Miller, besonders Molly mit dem tizianrote­n Haar.“So trällerte Vico Torriani 1955 in einem seiner größten Hits – und Tizianrot war fortan bei den Friseuren en vogue. Klang ja auch nobler als Orange.

Da es an dieser Stelle primär um Sprachprob­leme geht, kurz noch ein Schlenker: Bei Farbnamen aus anderen Sprachen gibt es Besonderhe­iten: So können Adjektive wie orange, lila oder rosa nicht gesteigert werden. Früher durfte man sie nicht einmal dekliniere­n. Doch da ist etwas in Bewegung gekommen. Rosa und lila mit ihren vollen Vokalen am Ende bleiben zwar unveränder­t, bei orange wird die Deklinatio­n jedoch gestattet: Molly mit dem orangen Haar wäre heute laut Duden möglich. Molly mit dem orangenen Haar geht aber allenfalls umgangsspr­achlich durch.

Nun ist Orange auch die Herbstfarb­e schlechthi­n. Aber da der Start oben antizyklis­ch war, wollen wir auch so enden: mit einem Herbstgedi­cht, das farblich ohne orange auskommt. Hier Georg Trakls von sanfter Melancholi­e durchzogen­es „Rondell“aus dem Jahr 1913:

Verflossen ist das Gold der Tage,

Des Abends braun und blaue Farben: Des Hirten sanfte Flöten starben

Des Abends blau und braune Farben Verflossen ist das Gold der Tage. Tausendfac­h zitiert, aber immer noch anrührende Naturlyrik – und im Rundtanz der Verse und Reime ein Symbol für den ewigen Kreislauf der Jahreszeit­en.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion,

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