Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lindauer rufen den Bus vielleicht bald per App

Beim Ridepoolin­g kommt der Bus auf Bestellung, ein Algorithmu­s bündelt die Fahrten

- Von Ronja Straub

LINDAU - App öffnen, Bus bestellen und ein paar Minuten später mitfahren. Im On-Demand-Verkehr kommt der Bus auf Nachfrage. Ein Algorithmu­s bündelt die Fahrten. Ist das endlich die Alternativ­e zum Auto? Was anderswo schon reibungslo­s funktionie­rt, soll auch nach Lindau kommen – falls die Stadt dafür Förderunge­n auftreiben kann.

Die Murnauer am Staffelsee lieben ihren Ortsbus. Wer in der 12 000Einwohn­er-Stadt im südlichen Bayern Bus fahren will, bestellt ihn sich via App oder per Telefon. „Die Rückmeldun­g war riesig und durchweg positiv“, sagt der Murnauer Umweltund Mobilitäts­beauftragt­e Philipp Zehnder, der das Konzept mit geplant und umgesetzt hat. „Das Ziel ist es, den Menschen der Marktgemei­nde Murnau Mobilität nach ihren Bedürfniss­en anzubieten.“

Die Idee dahinter: keine starren Fahrpläne und keine festen Routen. Die Haltestell­en werden virtuell definiert. Ruft jemand einen Bus, berechnet die App, welche Strecke die beste ist und vergleicht, ob sie auf dem Weg noch wen anders einsammeln kann. Über die App sieht der Nutzer auch, wo sich das Fahrzeug befindet. Ridepoolin­g, also gebündelte­s Fahren, nennt man das Geschäftsm­odell. In großen Städten, wie Stuttgart oder Hamburg erstmals initiiert, ist es mittlerwei­le auch in Kommunen ländlicher Regionen angekommen.

Vor allem ältere Menschen würden den Ortsbus nutzen, sagt der Murnauer Mobilitäts­beauftragt­e. Weil das Seniorenhe­im ab vom Schuss ist, sei der Bus mit den 200 virtuellen Haltestell­en für die Seniorinne­n und Senioren eine Erleichter­ung. „Sie haben sich riesig gefreut, dadurch wieder unabhängig­er zu sein und mobil“, sagt Zehnder. Auch

Jugendlich­e würden das Angebot nutzen, um beispielsw­eise ins Fußballtra­ining zu fahren oder auch Pendler, um zur Arbeit zu kommen. Besonders überrascht­e in Murnau aber eine andere Nutzergrup­pe.

Auch Geschäftsl­eute, zum Beispiel, die klassisch nicht den ÖPNV nutzen und davor Auto gefahren sind, würden sich in den Ortsbus setzen, sagt Zehnder. Vor allem morgens könne man die Fahrten gut bündeln.

In Lindau will man sich vieles von dem Konzept am Staffelsee abschauen. Zwei Sprinter sollen zu Beginn im nördlichen Lindauer Stadtrandg­ebiet und in einzelnen Ortsteilen und Weilern fahren. Zwei weitere Sprinter sollen nach einem Jahr dazukommen. Nach und nach will man das Konzept außerdem auf den Landkreis ausweiten, sagt Jaime Valdés Valverde, Mobilitäts­beauftragt­er der Stadt, der das Konzept zum Ridepoolin­g-Angebot

in Lindau plant. Wie in Murnau soll es eine App geben. Aber auch telefonisc­h müssen die Busse gerufen werden können, sagt Valdés Valverde. „Gerade in Lindau werden auch viele alte Leute den Bus nutzen.“

Der Unterschie­d zum Murnauer Konzept: Am Staffelsee ersetzt das Ridepoolin­g den Stadtbus schon fast und fährt zu den Kernzeiten von sechs Uhr morgens bis acht Uhr am Abend. Mit dem normalen Linienbus sind auch schon vorher nur wenige gefahren, sagt Zehnder aus Murnau. Zum Vergleich: Während mit dem Staffelsee­bus des Kreises – der noch vor dem Ridepoolin­g-Angebot abgeschaff­t wurde – im Schnitt gerade einmal 17 Leute mitgefahre­n sind, sind es bei den Ridepoolin­g-Bussen 95.

In Lindau soll das Ridepoolin­g den Stadtbus ergänzen und früh morgens und später am Abend fahren.

Starten soll das Pilotproje­kt frühestens im Juli nächsten Jahres – eher später. Dann soll es für drei Jahre laufen.

Denn noch ist das Konzept der On-Demand-Busse nicht vom Lindauer Stadtrat abgesegnet. Der zweifelt an der finanziell­en Umsetzung. Denn Ridepoolin­g einzuführe­n ist teuer. 45 000 Euro kosten die zwei Sprinter inklusive Rollstuhlr­ampe und Software, wie die App. Die Betriebsko­sten würden sich auf 12 500 Euro im Monat belaufen.

Die Stadt wartet noch auf die Bewilligun­g für eine Förderung von der Regierung von Schwaben. Der Freistaat Bayern gibt bei dem Förderprog­ramm „Mobilität im ländlichen Raum“Geld für die ersten drei Jahre. Beginnend mit 65 Prozent, werden es in jedem Betriebsja­hr zehn Prozent weniger. Die Investitio­nskosten sind dabei aber nicht förderfähi­g.

Deutlich attraktive­r wäre das Bundes-Förderprog­ramm für Modellproj­ekte „zur Stärkung des öffentlich­en Personenna­hverkehrs“gewesen, weil das 80 Prozent bezuschuss­t hätte. Dafür bekam Lindau eine Absage. Jetzt hofft man auf die zweite Förderung – zwar weniger attraktiv, aber mit Blick auf den Haushalt der Stadt dennoch notwendig. „Die Umsetzung hängt noch von den Zuschüssen ab“, sagt Valdés Valverde.

Auch in Murnau hat man den Zuschuss vom Land bekommen. Umgesetzt hat das Projekt das dort ansässigen Unternehme­n Omobi. Die Firma hat es sich vor ein paar Jahren zur Aufgabe gemacht, Kommunen im ländlichen Raum zu nachhaltig­en Mobilitäts­konzepte zu beraten.

Zwei Sprinter, für jeweils sieben Menschen, fahren dort durch die Straßen – noch mit Verbrennun­gsmotoren betrieben. Im Mai fand eine zweiwöchig­e Testphase mit Elektroaut­os statt. Um das ganz durchzuset­zen, würden laut Omobi noch Ladesäulen fehlen.

Für Jaime Valdés Valverde ist klar, dass es neue Angebote braucht, um die Verkehrswe­nde zu schaffen. Ridepoolin­g ist da eine Stellschra­ube. Denn die Ansätze seien: „Vermeiden, Verlagern oder Verbessern“. Ersteres sei durch das Arbeiten von zu Hause mit der Pandemie eingetrete­n. Weil viele Menschen im Homeoffice sind, bewegen sie sich weniger und vermeiden das Autofahren. „Verlagerun­g“würde mit dem Ridepoolin­g stattfinde­n. „Verbesseru­ng“sei dann der nächste Schritt. Denn wie in Murnau sollen auch in Lindau zunächst Sprinter mit Verbrennun­gsmotoren eingesetzt werden. „Verbessern würde man das mit einer elektrisch­en Antriebsfo­rm“, sagt Valdés Valverde. Und er glaubt, irgendwann noch ein Schritt weiter gehen zu können: „Irgendwann könnten die Busse dann autonom fahren.“

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FOTO: OMOBI Den Bus rufen per App: Mit einer intelligen­ten Software wissen die Nutzerinne­n und Nutzer dann auch immer, wo sich der Bus, den sie gebucht haben, gerade befindet. Warten müssen sie nicht länger als ein paar Minuten.

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