Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Dampfentsafter für alle
Verein will in Ravensburg gemeinsam ein Haus bauen und darin so viel wie möglich teilen
RAVENSBURG - Wenn in den Ravensburger Neubaugebieten die Bagger anrollen, werden nicht nur Einfamilienhäuser gebaut. Die Stadt Ravensburg hat auch für Baugemeinschaften ein paar Grundstücke reserviert – dort können sich also mehrere Menschen gemeinsam ihren Traum vom neuen Wohnhaus erfüllen. Der Verein „Klebun“– eine Abkürzung für „klein und bunt“– will so ein Grundstück haben. Die Mitglieder möchten in Gemeinschaft leben und mehr teilen als das in einem gewöhnlichen Mehrfamilienhaus der Fall ist.
Der Dampfentsafter fällt Mirjam Merk als erstes ein: „Das braucht nicht jeder“, sagt sie. Dieses und andere Geräte oder Werkzeuge will sie künftig mit anderen teilen. Ihre jetzige Wohnung ist bald zu groß, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Außerdem wünscht sich die selbständige Schreinerin für ihre künftige Art zu wohnen eine Balance aus Gemeinschaft und Rückzugsmöglichkeit.
Aus ihrer ersten Idee einer TinyHouse-Siedlung wurde nichts, doch die 44-Jährige suchte weiter, ihre Idee zog Kreise: Merk fand andere Menschen aus der Region mit ähnlichen Wünschen. Inzwischen hat sie mit neun Gleichgesinnten den Verein Klebun gegründet. Ziel: Als Gruppe einen Bauplatz in Schmalegg zu ergattern und dort den Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen zu realisieren.
So was hat vor allem im ländlichen Raum Seltenheitswert. Im Kreis Ravensburg gab es Ende 2020 nach Angaben des Statistischen Landesamtes gut 67 000 Wohngebäude. Der Anteil der Einfamilienhäuser lag bei 65,1 Prozent und somit über dem Landesschnitt von 61,2 Prozent.
Der Verein Klebun in Ravensburg wird bei seinem Vorhaben vom VierHäuser-Projekt in Tübingen beraten. Insbesondere in Universitätsstädten gibt es bereits eine größere Vielfalt an Wohnformen. Die Klebun-Mitglieder haben mit Martina Lehn aus Ravensburg eine Architektin beauftragt, die mit der Gruppe über ein konkretes Bauvorhaben nachgedacht, Kompromisse gesucht und schließlich Pläne gezeichnet hat. Neun Wohneinheiten und ein Gemeinschaftsbereich in zwei Holzhäusern, die miteinander verbunden sind – so lässt sich grob umreißen, was der Verein bauen will. „Für mich ist das ein Herzensprojekt, diese Idee finde ich zukunftsweisend“, sagt Lehn. Im Februar wird der Verein bei der Stadt die Bewerbung für das Baugrundstück in Schmalegg einreichen. Im Herbst rechnet die Gruppe mit einer Entscheidung.
In den vier Ravensburger Neubaugebieten, die nach dem beschleunigten Verfahren gemäß Paragraf 13b des Baugesetzbuches ausgewiesen wurden, werden nach Einschätzung der Stadt rund 40 Grundstücke an Baugemeinschaften vergeben. Baugemeinschaften mit bis zu drei Beteiligten müssen möglichst viele Punkte in einem Bewertungskatalog sammeln, unter anderem durch Engagement in Ravensburg, um zum Zug zu kommen. Baugruppen ab vier Mitgliedern müssen ihre Pläne vorlegen und ausführen, was sie vorhaben – nach gewissen Kriterien wie „Qualität der Planung insgesamt“und „innovative Mietwohnform“wird das beste Konzept für einen Bauplatz von einem Auswahlgremium gewählt und kommt zum Zug. Wer mehr Geld für den Quadratmeter bietet, kann sich einen Vorteil verschaffen.
Wenn klar ist, ob der Verein zum Zug kommt, geht es um die konkrete Finanzierung. Klebun will zunächst 400 000 Euro über Kleinkredite einsammeln. Andreas Piesch, der sich um die Finanzen kümmert, sagt: „Vor der Bank ist das unser Eigenkapital.“Weiteres Geld muss aufgenommen werden, die Schulden werden später zurückgezahlt. „Wenn die Bank ihr Geld wiederhat, kommt es zur Rückzahlung der Kleinkredite“, so Piesch. Wer Geld beisteuert, sollte also bereit sein, es eher langfristig im Projekt zu belassen. „Die Umschuldung ist aber möglich, wenn jemand sein Geld dringend braucht“, ergänzt er.
Piesch ist 69 Jahre alt, arbeitet seit vier Jahren nicht mehr in seinem Beruf als Psychologe und hat sich dem Verein Klebun angeschlossen, weil er und seine Frau nicht „vergreisen“, sondern weiterhin „Anregungen um uns rum haben“wollen, wie er sagt. Sie seien auch noch so fit, dass sie einer Gemeinschaft etwas geben können, sagt er. Die Gruppe hat vor, sich mit ihrem späteren Gebäude dem Mietshäusersyndikat anzuschließen. Dadurch wird es dauerhaft als Wohnprojekt gesichert, ein Verkauf ist dann ausgeschlossen. „Wir sind nicht Eigentümer, aber wir gestalten das Projekt“, so erklärt es Piesch. Durch Freunde, die schon in solchen Gemeinschaften leben, kennt Roswitha Schäfer, 39, Lehrerin und Mutter eines Kindes, dieses Lebensmodell. Zu ihrer Motivation sagt sie: „Wenn ich alleine mit meinem Kind in einem Haus leben würde, wäre das Ressourcenverschwendung – auch Verschwendung meiner eigenen Energie.“
Nur wenn man Dinge teilt, reichen 30 Quadratmeter zum Leben. Werkstatt und Waschküche, Gästezimmer und eine große Küche können gemeinsam genutzt werden. Jetzt sucht der Verein Menschen, die künftig mit in der Gemeinschaft in Schmalegg leben wollen – vorausgesetzt, sie gewinnen den Bauplatz und bringen genug Geld zusammen. Ideologische Hürden gibt es nicht. Konfliktfähigkeit, Verlässlichkeit und den Willen seinen Besitz zu reduzieren, nennen Merk und Schäfer als Voraussetzungen. „Man muss die Bereitschaft mitbringen, sich für die Gemeinschaft zu engagieren, deshalb wollen wir so früh wie möglich, weitere Interessenten kennenlernen“, sagt Piesch. „Dann würde man bis zum Bau merken, ob es passt oder nicht.“
Ein Video über Schwierigkeiten und Chancen des Projektes