Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein wichtiger Erfolg der EU
Es war schon erstaunlich, die gewaltige Einigkeit Europas zu erleben, nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte. Quasi diskussionslos schnürten die 27 EUStaaten Sanktionspaket auf Sanktionspaket und setzten den Kreml damit massiv unter Druck. Doch eines war klar: Je tiefer die Sanktionen sich in das Leben eines Landes schneiden, umso mehr Diskussionen würde es geben. Das war in Deutschland mit seiner Abhängigkeit von russischer Energie so, und auch zwischen den EU-Ländern wird die Debatte ausgetragen, weshalb es auf Antrag Ungarns nun Import-Ausnahmen für russisches Pipeline-Öl gibt. Die EU wäre nicht die EU, wenn sie die Nöte eines Mitglieds ignorieren würde.
Damit ist der Nimbus der geeinten Durchschlagskraft dahin. Dieser Verlust geht auch auf das Konto der EU-Kommission, die ein Öl-Embargo als Ziel ausgab, ohne die Auswirkungen für einzelne Mitglieder zu prüfen. Jedoch macht die Möglichkeit einer solchen Debatte eben den Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen klar. 27 Staaten mit 27 Regierungen können per se nicht immerzu einer Meinung sein. Auch wenn die prestigeträchtige vollständige Abkopplung vom russischen Öl auf sich warten lässt, ist eine Reduzierung um zunächst zwei Drittel und um 90 Prozent bis Ende des Jahres ein wichtiger Erfolg der EU, denn auch die wird Russlands Kriegskasse erst mal wehtun – zumindest solange der Kreml keinen anderen Abnehmer für sein Öl findet.
Natürlich darf man nicht übersehen, dass gleichzeitig in der EU auch ein anderes Spiel läuft: der Wettbewerb, wer mit den Sanktionen gegen Russland am besten fährt. Wer die fehlenden Energielieferungen am besten ausgleichen kann, dessen Wirtschaft wird sich in den bevorstehenden Jahren besser schlagen – und die Sanktionen länger durchhalten. Insofern duckt sich der eine oder andere ganz gern hinter Ungarns Rücken und nimmt die ausgehandelten Ausnahmen gern mit. Wie einig die europäische Front gegen Russland ist, bemisst sich nicht allein daran, wie dick die Mauer Richtung Osten ist. Sondern, ob sie dauerhaft hält.