Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Millionenbetrug mit Corona-Testzentren
Zahl der Verdachtsfälle im Land ist dreistellig – Junger Mann rechnet fast sechs Millionen Euro ab
RAVENSBURG - In hunderten Fällen ermitteln Behörden bundesweit wegen mutmaßlichen Betrugs in Corona-Teststationen. Ein spektakulärer Fall in Freiburg wirft jetzt erneut Fragen nach wirksamen Kontrollen und der Teststrategie des Bundesgesundheitsministeriums auf.
5,7 Millionen Euro hat ein 20-jähriger Mann in Freiburg mit einem erfundenen Testzentrum kassiert. Das Amtsgericht sprach ihn des Betrugs schuldig. Nach der Bewährungszeit von einem Jahr entscheide das Gericht, ob es eine Jugendstrafe verhängen werde, sagte ein Sprecher der dpa. Zudem muss der Mann 1500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hatte dem Mann den Betrag von fast sechs Millionen Euro für angebliche Tests im Zeitraum von März bis Juni 2021 überwiesen, ohne den Sachverhalt zu prüfen. Aufgeflogen war der Betrug, nachdem eine Bank Verdacht wegen Geldwäsche geäußert hatte und das Geld zurücküberwies.
Der Fall aus Freiburg ist nicht der einzige in Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg würden derzeit „eine niedrige dreistellige Anzahl von Ermittlungsvorgängen polizeilich bearbeitet“, so teilt das Landeskriminalamt auf Anfrage mit. Bisher seien Schäden im „unteren zweistelligen Millionenbereich polizeilich bekannt geworden“.
Die Verantwortung für wiederholte Fälle weisen die Beteiligten jeweils von sich.
Ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg erklärte der „Schwäbischen Zeitung“, zu konkreten Fällen könne man sich nicht äußern. Die Teststrategie des Bundes sei von Anfang an darauf ausgelegt gewesen, dass möglichst schnell möglichst viele Teststellen eröffnet werden.
„Daher waren die Zugangsvoraussetzungen entsprechend gering. Auch das gesamte Abrechnungsverfahren war so ausgelegt, dass die Teststellenbetreiber schnell, unkompliziert und ohne großen Aufwand ihre Vergütung erhalten“, teilt der Sprecher mit. Die Kassenärztliche Vereinigung hätte bis Mitte 2021 gar keinen Auftrag und damit auch keine Berechtigung gehabt, die Abrechnungen überhaupt zu prüfen.
Ab Juli 2021 wurden die Vorgaben zwar verschärft. Doch: „Auch wenn seitdem die Voraussetzungen für die Teststellenbetreiber erhöht wurden, hat die Politik ihre Strategie nicht grundsätzlich verändert. Das widerspricht aber intensiven Prüfmechanismen“, erklärt der KV-Sprecher.
Das Bundesgesundheitsministerium teilt dazu mit: „Die Teststellen werden im Auftrag der Länder, Städte und Gemeinden betrieben. Die Teststellen rechnen über die Testverordnung mit dem Bund ab. Da diese Zentren im Auftrag der Länder,
Städte und Gemeinden agieren, können auch nur die dortigen Stellen Auskunft über konkrete Vorgaben zum Betrieb geben.“Die bundesweite Coronavirus-Testverordnung verfolge das Ziel, Abrechnungsbetrug aufzudecken und zu Unrecht gewährte Vergütungen zurückzuerstatten. Mit der Prüfung sei die jeweilige KV beauftragt.
Zurückhaltend äußert sich das Landessozialministerium. Die Einrichtung der Teststellen sei Sache der Kommunen. Grundlage sei die Bundestestverordnung des Bundesgesundheitsministeriums. „Auch uns ist bekannt, dass es zwielichtige Anbieter gibt“, sagt ein Ministeriumssprecher. Dennoch habe das Land einen externen Dienstleister beauftragt, um die Testzentren zu kontrollieren. Das sei eine „rein freiwillige Aktion“des Landes gewesen, weil das Ministerium „zunehmend“Beschwerden erhalten habe. 212 solcher Zentren seien überprüft worden. Das Ministerium plädiere dafür, Testungen in „professionelle Hände“zu übergeben und nicht „fachfremden Anbietern“zu überlassen
Auf die vom Robert-Koch-Institut erfassten Infektionszahlen dürften die Betrugsfälle wenig Auswirkungen haben. Positive Antigen-Tests, die nicht mit einem PCR-Test bestätigt wurden, müssen zwar an die Gesundheitsämter gemeldet werden, fließen jedoch nicht in die InzidenzDaten mit ein.