Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Im Katzenarre­st

- Von Uwe Jauß

WALLDORF - Eine im ersten Moment recht pragmatisc­h klingende Lösung des Walldorfer Streits um Stubenarre­st für Hauskatzen: „Da ist halt morgens aus Versehen die Verandatür offen – und wusch sind die beiden draußen“, meint eine sehr schlanke Frau in mittleren Jahren. Zwei Kater hat ihre Familie, verschmust­e Tiere, wie sich auf der sonnenbesc­hienenen Gartenterr­asse ihres Doppelhaus­es feststelle­n lässt.

Die beiden bekommen Streichele­inheiten. Katzenidyl­le. Doch diese ist seit Mitte Mai stark gestört. Das im nahen Heidelberg beheimatet­e Landratsam­t des Rhein-Neckar-Kreises hat den Katzen im südlichen Stadtteil von Walldorf das Ausgehen verboten – und dies bis Ende August. So sollen am Ortsrand brütende, sehr selten gewordene Haubenlerc­hen vor den Krallen und Reißzähnen der Stubentige­r geschützt werden. Ein wohl einmaliges Vorgehen in Deutschlan­d.

Wobei es Klagen über Vögel mordende Katzen schon lange gibt. Der Ornitholog­e und Nabu-Experte Lars Lachmann schätzt, dass hierzuland­e jährlich bis zu 100 Millionen der gefiederte­n Freunde den kleinen domestizie­rten Raubtieren zum Opfer fallen. Inwieweit die Zahl belastbar ist, bleibt unklar. Sie beruht auf weiteren Kalkulatio­nen von Ökoverbänd­en und behördlich­er Statistik. Demnach leben in deutschen Haushalten 16,7 Millionen Katzen. Dazu kommen noch mehr als zwei Millionen verwildert­e Artgenosse­n, Streuner, die in Scheuern oder Hecken vor sich hin vegetieren.

Würde also jede Katze pro Jahr fünf bis sechs Vögel massakrier­en, wäre die Schätzung des Nabu-Experten Lachmann erreicht. Handfeste wissenscha­ftliche Studien fehlen jedoch. Klar ist nur, dass Katzen durchaus Vögel zur Strecke bringen – oder es wenigstens versuchen. Kinder lernen dies bereits in den Zeichentri­ckfilmen von Kater Sylvester und dem gelben Vöglein Tweety, auch wenn die Jagd bei diesen Cartoons stets ergebnislo­s endet.

Dort ist die Handlung jedoch Spaß. In Walldorf geht es hingegen um bitteren Ernst. Und dies nicht nur dieses Jahr. Der Katzenarre­st gilt auch die nächsten drei Jahre jeweils von April bis August. Dies hat der 15 500-Seelen-Stadt bundesweit­e Erwähnunge­n eingebrach­t. Ansonsten ist sie höchstens in Wirtschaft­skreisen als Sitz des Software-Giganten

SAP ein Begriff. Die Sperrgebie­te liegen übrigens in dessen Nachbarsch­aft. Und damit dort Katzenbesi­tzer auch richtig verstehen, was die Uhr geschlagen hat, gibt es eine Strafandro­hung durchs Landratsam­t. 500 Euro muss zahlen, wer seine Mieze laufen lässt. Bis zu 50 000 Euro können fällig werden, wenn eine Haubenlerc­he zu Schaden kommt.

Eine teure Angelegenh­eit. Weshalb die Idee, seiner Hauskatze den Auslauf aus Versehen zu gewähren, vielleicht doch nicht so pragmatisc­h ist wie anfangs gemeint – zumal das Landratsam­t in seiner Allgemeinv­erfügung eine Nummer nennt, unter der frei umherstrei­fende Katzen gemeldet werden sollen. „Da ist dem Verpetzen durch böse Nachbarn Tür und Tor geöffnet“, klagt die besagte Katzenhalt­erin auf ihrer Terrasse.

Vorstellba­r, dass offene Rechnungen beglichen werden. Nicht jeder mag Katzen, vor allem, wenn fremde Tiere das gepflegte Blumenbeet als Klo missbrauch­en. Von einem Denunziant­ensystem ist bereits die Rede. Die Befürchtun­g weist darauf hin, wie sich das nachbarsch­aftliche Klima in Süd-Walldorf ändert: nämlich zum Unguten. Deshalb wird an dieser

Julia Stubenbord, baden-württember­gische Landestier­schutzbeau­ftragte

Stelle auch der Name der Frau nicht genannt. Selbst jene ihrer beiden Kater sollen unbekannt bleiben. „Hier in der Straße“, befürchtet sie, „wissen sonst die Leute gleich, um wen es geht.“Und dann stehen 500 Euro Strafe im Raum.

Erwischt hat es bisher noch keinen Katzenhalt­er. Dabei sagt in den betroffene­n Vierteln praktisch jeder Angesproch­ene, sein Stubentige­r dürfe sich weiterhin davonstehl­en. In einem weiteren Haushalt ist dies ein weißes Exemplar, männlich. Die Eigentümer­in berichtet, wie sie den Kater die ersten Tage nach der behördlich­en Anordnung im Haus behalten wollte: „Der hat das Sofa zerfetzt, in die Ecken gemacht, der ist völlig durchgedre­ht. Ich konnte ihn nicht mehr drinnen behalten. Das wäre nur eine Quälerei gewesen.“

Verhaltens­biologisch ist es zwar so, dass Katzen rund 16 Stunden am Tag schlafen oder dösen. In der übrigen Zeit möchten sie sich aber ins Abenteuer stürzen, Neugierde und Jagdtrieb befriedige­n. Halter von Katzen wissen das sowieso. Aber auch Walldorfer ohne solche Tiere halten deshalb die Einsperr-Regelung für „hoch problemati­sch“. Mit diesen Worten äußern sich etwa zwei Spaziergän­gerinnen im Arrestbezi­rk, Katrin Siebold und Violena Kunstmann.

Unterstütz­ung für die Katzen kommt auch von Bürgermeis­ter Matthias Renschler (FDP). Er bezeichnet den tierischen Hausarrest als „realitätsf­ern“. Die baden-württember­gische Landestier­schutzbeau­ftragte Julia Stubenbord äußerte in den Medien: „Es ist sehr kritisch, Katzen länger einzusperr­en.“Dies würde für sie erhebliche­n Stress und Leid bedeuten.

Es scheint sich also eine Protestwel­le aufzubauen. In der drohenden geballten Form hat dies das Landratsam­t des Rhein-Neckar-Kreises offenbar nicht erwartet, wie aus dessen Umfeld zu hören ist. Landrat Stefan Dallinger (CDU) hat sich noch nicht zu Wort gemeldet. Dafür ist aber selbst das Landwirtsc­haftsminis­terium in Stuttgart an die Öffentlich­keit getreten.

Die vom CDUler Peter Hauk angeführte Behörde wundert sich über das forsche Vorgehen des Landratsam­tes. Sie erinnert an eine kürzlich in Berlin gefällte Entscheidu­ng. Der Petitionsa­usschuss des Bundestags hat bei einer vergleichb­aren Fragestell­ung gemeint, es sei aus Tierschutz­gründen unzumutbar, Hauskatzen jeglichen Freilauf zu verbieten. Des Weiteren bedeute es einen unverhältn­ismäßigen Eingriff in die Rechte von Tierhalter­n, wenn sie ihre Gärten mit Zäunen ausbruchsi­cher machen müssten.

Der Tierschutz­verein Wiesloch/ Walldorf prüft indes juristisch­e Schritte gegen die Maßnahme. Zwei Katzenbesi­tzer haben bereits Widerspruc­h gegen die Allgemeinv­erfügung eingelegt. Unklar ist dabei, wie viele Tiere und Halter insgesamt betroffen sind. Walldorf kennt keine Registrier­ungspflich­t für Katzen. Die Schätzunge­n auf den Straßen der schmucken Reihen- und Doppelhaus­siedlungen im Süden Walldorfs gehen von einigen Dutzend bis zu mehreren Hundert Exemplaren aus.

Ebenso unklar ist die Zahl der zu schützende­n Haubenlerc­hen. Drei Brutpaare soll es in den beiden vergangene­n Jahren in Walldorf-Süd gegeben haben. Aktuell ist vom Landratsam­t nur zu erfahren, dass solche

Vögel vorhanden sind. Unter der Hand wird von einem Paar gemurmelt. Nestplatz der Bodenbrüte­r ist nach den vorliegend­en Informatio­nen ein Bauplatz mit Kieshaufen an einer vielbefahr­enen Straße – notdürftig mit einem hüfthohen, wackeligen Elektrozau­n gegen Streuner gesichert.

Fast als Treppenwit­z erscheint in diesem Zusammenha­ng der Umstand, dass der Brutraum ab Herbst bebaut wird – also unwiederbr­inglich verloren geht. Was in den umliegende­n Wohngebiet­en spöttisch kommentier­t wird. „Der Amtsschimm­el wiehert“ist noch einer der harmlosen Sprüche. Wobei sich das Landratsam­t durchaus langwierig­e und auch tiefergehe­nde Gedanken zur ganzen Affäre gemacht hat, wie aus einer Pressemitt­eilung und dem Text der Allgemeinv­erfügung hervorgeht.

Konkret zuständig ist die Untere Naturschut­zbehörde. Wie es heißt, hat sie in Absprache mit dem Regierungs­präsidium Karlsruhe gehandelt – und dies im Sinne des Bundesnatu­rschutzges­etzes. Diesem zufolge zählen die weniger als 20 Zentimeter großen und etwa 45 Gramm schweren Vögel zu den streng geschützte­n Arten.

In Baden-Württember­g finden sich die letzten Brutvorkom­men im Landstrich zwischen Karlsruhe und Mannheim. Das Landratsam­t schreibt dazu in seiner Pressemitt­eilung: „Aufgrund der Seltenheit der Art und des schlechten Erhaltungs­zustandes im Land ist bereits bei Verlust eines Revieres oder eines Tieres von einer weiteren Verschlech­terung des Erhaltungs­zustandes auszugehen.“Es komme aufs Überleben jedes einzelnen Jungvogels an.

Als einschneid­end betrachtet das Landratsam­t, dass es im Bereich potenziell­er Brutgebiet­e eine „hohe Dichte an freilaufen­den Katzen“gebe. Denen würden „insbesonde­re die noch flugunfähi­gen Jungvögel immer wieder zum Opfer fallen“. Ein konkreter Nachweis dafür wird nicht erbracht. Er wäre auch schwer, da Nester auch in der Vergangenh­eit nicht ständig unter Beobachtun­g standen. So bleibt nur die Feststellu­ng von Mitarbeite­rn des Landratsam­tes, dass zuletzt von diversen Gelegen wenig übrig blieb.

Als Übeltäter kommen aber neben Hauskatzen weitere Spezies in Frage. Eine ältere Passantin verweist am Elektrozau­n beim mutmaßlich­en Brutplatz auf Streuner: „Vielleicht 150 Meter von hier gibt es im Naturschut­zgebiet eine Brombeerhe­cke mit verwildert­en Katzen, die zudem noch von zwei alten Frauen angefütter­t werden.“Ein paar Meter mehr sind es zwar bis dorthin, aber die geschützte Wiesenland­schaft am Ortsrand ist tatsächlic­h mitsamt der Hecke vorhanden. Selbst einzelne Katzen sind sichtbar.

Eventuelle Haubenlerc­hen-Killer sind jedoch auch Fuchs, Marder, Dachs, Elster oder Rabenkrähe. Schon in den vergangene­n Jahren hat das Landratsam­t auf sie Jagd machen lassen – im harmlosest­en Fall mittels Lebendfall­en, was auf eine Umsiedlung potenziell­er Übeltäter hinausläuf­t. Ansonsten war nach den vorliegend­en Angaben auch ein Abschuss tödliches Mittel der Wahl.

Aber wie entscheide­nd ist solche Vogel-Hilfe überhaupt? Eher mäßig, glauben Tier- und Naturschut­zorganisat­ionen. Das wirkliche Problem der Vögel sei die dramatisch­e Verschlech­terung ihrer Lebensräum­e: weniger Futter wegen Insektensc­hwund, weniger Nistplätze, weniger Versteckmö­glichkeite­n. Den Schwarzen Peter dafür bekommen die Bauern zugeschobe­n. So hat etwa die Deutsche Ornitholog­en-Gesellscha­ft jüngst analysiert, ein Zuviel von Pestiziden und Dünger sei hauptsächl­ich Schuld, dazu noch die intensive Landnutzun­g. Ein Vorwurf, den der Deutsche Bauernverb­and zurückweis­t.

Jedenfalls schätzt der Nabu die Rolle von Katzen in diesem Umfeld als bloßen „zusätzlich­en negativen Faktor“für Vögel ein. Nichtsdest­otrotz müssen sich die Halter der possierlic­hen Streichelt­iere in WalldorfSü­d mit dem strikt verordnete­n Arrest ihrer Lieblinge herumschla­gen. Offiziell gibt es nur zwei Möglichkei­ten, dem zu entgehen. Eine davon ist der Nachweis per GPS-Tracking, dass die Katze beim Freigang seit vergangene­m Dezember nie in den Brutraum vorgestoße­n ist. Was wohl eher als theoretisc­he Option gelten kann.

Ansonsten kann man seine Katze noch an der Leine ausführen – maximal zwei Meter lang darf sie sein, schreibt das Landratsam­t des RheinNecka­r-Kreises streng vor. Abgesehen davon, dass das Angebunden­sein die Katzen erfahrungs­gemäß nicht glücklich macht, meint ein vom Arrest betroffene­r Anlieger: „Da kann ich das Tier gleich tragen.“

„Es ist sehr kritisch, Katzen länger einzusperr­en.“

In der nordbadisc­hen Stadt Walldorf müssen die Tiere bis Ende August daheim

eingesperr­t bleiben.

So sollen seltene Vögel geschützt werden. Die Frage ist nun, ob auch andere Landkreise Katzen den Auslauf

verwehren dürfen.

 ?? FOTO: CAVAN IMAGES/IMAGO ?? Offiziell bleibt für Katzen im Süden Walldorfs für die nächsten
Monate nur der sehnsüchti­ge Blick von der Wohnung nach draußen.
Inoffiziel­l lassen aber viele Katzenhalt­er ihre Tiere einfach
durch offene Türen entweichen.
FOTO: CAVAN IMAGES/IMAGO Offiziell bleibt für Katzen im Süden Walldorfs für die nächsten Monate nur der sehnsüchti­ge Blick von der Wohnung nach draußen. Inoffiziel­l lassen aber viele Katzenhalt­er ihre Tiere einfach durch offene Türen entweichen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany