Schwäbische Zeitung (Tettnang)
15 000 Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in Ukraine
80 Verdächtige befinden sich in Gewahrsam – Drei Urteile wurden bereits gesprochen
DEN HAAG (dpa) - Die Ukraine hat nach drei Monaten russischem Angriffskrieg bereits in mehr als 15 000 Fällen Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen eingeleitet. Insgesamt seien 80 Verdächtige in Gewahrsam, teilte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa am Dienstag in Den Haag mit. Mehr als 600 Verdächtige – darunter hochrangige russische Politiker und Offiziere – seien im Visier der Behörden. „Täglich kommen 200 bis 300 neue Fälle von Kriegsverbrechen hinzu.“
Kaum 100 Tage nach der russischen Invasion wurden bereits drei Urteile gesprochen. Am Dienstag wurden zwei russische Soldaten in Gebiet Poltawa zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten zivile Gebäude beschossen. In der vergangenen Woche war ein 21 Jahre alter Soldat wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Die Chefankläger der Ukraine, Polens, Litauens und des Internationalen Strafgerichtshofes gehören einem gemeinsamen Ermittlerteam zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine an. Auch Lettland, Estland und Slowakei sind seit Dienstag mit von der Partie. Die Arbeit wird von der EU-Justizbehörde Eurojust koordiniert. Der Chefankläger des Weltstrafgerichts, Karim Khan, hatte Mitte Mai die größte Gruppe an Ermittlern ins Kriegsgebiet geschickt, die der Gerichtshof je entsandt hat. Nun will er nach eigenen Angaben in wenigen Wochen ein eigenes Büro in
Kiew eröffnen. In 17 weiteren Ländern laufen ebenfalls Untersuchungen.
Doch der Tatort ist zugleich Kriegsgebiet. „Ermittlungen sind sehr schwierig, wenn gleichzeitig noch gekämpft wird“, sagte die ukrainische Generalstaatsanwältin. Bei Eurojust wird nun eine zentrale Datenbank für Beweise eingerichtet. Dabei geht es um DNA-Material, Fotos, Videos, Audiodateien, Satellitenaufnahmen und Zeugenaussagen. Die EU-Justizbehörde will dafür sorgen, dass das Material den Ermittlerteams zur Verfügung gestellt und übersetzt wird. Dieser Krieg wird Eurojust zufolge „der am besten dokumentierte bewaffnete Konflikt in der Geschichte.“Die Beweise sollen dann zu Prozessen führen – in der Ukraine oder anderen europäischen Staaten. Das Weltstrafgericht mit Sitz in Den Haag könnte Prozesse gegen hochrangige Verdächtige wie Offiziere und Politiker führen.