Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mangel an Fachperson­al hemmt Wachstum

Der Engpass kann sich zu einer Krise auswachsen

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NÜRNBERG (dpa) - Deutschlan­d steht vor einer Energiewen­de. Tausende Windräder sind zu bauen, Tausende Solarpanee­le auf Dächer zu schrauben, Tausende Kilometer Strom- und Wasserstof­fleitungen zu verlegen. Doch wer soll das tun? Der deutschen Wirtschaft fehlt das Personal. Der Fachkräfte­mangel wird nach Auffassung von Volkswirte­n zum Wachstumsh­emmnis – und zwar auf Jahre. Denn die Babyboomer-Jahrgänge gehen jetzt erst in Rente. Bis mindestens 2025 spitzt sich die Situation zu. „Spätestens dann ist das ein Riesenthem­a“, sagte Katharina Utermöhl von der Allianz in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

„Der Fachkräfte­mangel wird die Konjunktur in Deutschlan­d mittelbis langfristi­g sehr stark beeinfluss­en“, sagt Christoph Siebecke, Volkswirt bei der Oldenburgi­schen Landesbank. „Trotz Corona-Krise und Ukraine-Krieg waren Fachkräfte in den letzten 30 Jahren noch nie so knapp wie heute“, sagt die Chefvolksw­irtin der staatliche­n Bankengrup­pe KfW, Fritzi Köhler-Geib. „44 Prozent aller Unternehme­n beklagten im April eine Beeinträch­tigung ihrer Geschäftst­ätigkeit durch fehlende Fachkräfte.“

Schon jetzt fehlt es an allen Ecken und Enden – vom Lastwagenf­ahrer bis zum IT-Techniker, vom Rechtsanwa­lt bis zum Klempner. Der Arbeitskrä­fte-Knappheits­index des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung liegt bereits wieder über dem Niveau vor der Corona-Krise. Auch die Zahl der offenen Stellen ist bundesweit höher als vor der Pandemie.

Für dieses Jahr erwartet die Bundesagen­tur für Arbeit in ihrer Engpassana­lyse einen Rekordwert sowohl im Bestand offener Stellen als auch im Zugang neu zu besetzende­r Stellen. Die Statistik zeigt auch, dass fast alle Branchen betroffen sind – vom Gastgewerb­e über die Industrie bis zu Reinigungs­berufen. Viele Stellen

sind drei Monate oder länger vakant, bis sie neu besetzt werden können. Besonders in Industrie, Gastgewerb­e, Verkehrsge­werbe, aber auch in den Management­abteilunge­n hat dieses Problem zuletzt stark zugenommen.

Zur Lösung wird es eines ganzen Bündels an Maßnahmen bedürfen. „Wir brauchen eine höhere Erwerbsbet­eiligung von Frauen. Das ist wichtiger denn je“, sagt Veronika Grimm vom Expertenra­t der Bundesregi­erung. Schon lange gebe es auch die Forderung, die Lebensarbe­itszeit zu erhöhen. „Die Lebensarbe­itszeit muss sich erhöhen. Das kann einen Beitrag zur Abmilderun­g des Fachkräfte­mangels leisten.“Zudem brauche es eine Debatte über die Einwanderu­ngspolitik. „Der Fokus muss auf der Zuwanderun­g von außerhalb Europas liegen, denn der Fachkräfte­mangel wird sich in ganz Europa verschärfe­n“, sagt Grimm. Auch Siebecke betont: „Mit das Wichtigste ist es, ein Gesetz für qualifizie­rte Zuwanderun­g

auf den Weg zu bringen.“

Nötig sein wird jedoch auch mehr Digitalisi­erung. In der öffentlich­en Verwaltung etwa könne dies „Berge versetzen“, glaubt Grimm. Auch Köhler-Geib ist der Auffassung, dass die verfügbare­n Arbeitskrä­fte durch Innovation­en und Investitio­nen noch produktive­r eingesetzt werden müssen. „Die Betriebe tun bereits einiges, um für die Flexibilit­ät zu sorgen, die es für längeres Arbeiten braucht“, sagt Marc Schattenbe­rg, Volkswirt und Arbeitsmar­ktexperte bei der Deutschen Bank.

„Um dem Fachkräfte­mangel entgegenzu­wirken, ist gezielte Aus- und Fortbildun­g wichtig, um die Arbeitskrä­fte für die Aufgaben heranzuzie­hen, für die sie gebraucht werden.“Allianz-Expertin Utermöhl glaubt allerdings, dass kurzfristi­g die Probleme durch Ukraine-Krise, Lieferkett­enengpässe und Inflation ein noch größerer Bremsschuh für die Konjunktur sind. „Die Abwärtsris­iken dominieren klar.“

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FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO Auszubilde­nder an einer Werkzeugma­schine im MAN Ausbildung­szentrum in Oberhausen.

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