Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Öl-Embargo mit Schlupfloch
Experten kritisieren EU-Kompromiss als nicht wirksam – Russland wird wohl andere Abnehmer finden
FRANKFURT - Wochenlang wurde verhandelt, jetzt steht der Kompromiss: Doch die Einigung der EU umfasst nur ein teilweises Öl-Embargo. So sollen zunächst nur Ölimporte auf dem Seeweg gestoppt werden. Einfuhren per Pipeline bleiben dagegen weiter möglich. Grund für diesen Beschluss war die Haltung von Ländern wie Ungarn. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Dienstag nach der Einigung Verständnis für Länder geäußert, die den Import von russischem Öl nicht so schnell wie Deutschland beenden könnten. „Das war wichtig“, sagte der Kanzler, weil einige Länder die Übergangsmaßnahmen nicht so schnell hinbekämen wie andere. Zugleich räumte er ein, dass ein einstimmiger Beschluss der EU-Staaten nur auf diese Weise möglich gewesen sei.
Theoretisch könnten mit der Einigung auch deutsche Raffinerien wie in Leuna und in Schwedt weiterhin russisches Öl über die DruschbaPipeline beziehen. Doch haben Deutschland und Polen in einer Protokollerklärung bekräftigt, den Kauf russischen Öls bis Jahresende komplett einzustellen. Der Bezug über Pipelines aus Russland gilt damit praktisch nur für Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Ausnahmeregelungen für diese Länder haben den Kompromiss offenbar möglich gemacht. Dabei hatte es im Vorfeld lange gebraucht, den Weg zu einer Einigung zu finden. Noch am späten Montagabend gab es keinerlei Anzeichen für einen Kompromiss.
Die lange Verhandlungsphase während der vergangenen Wochen und Monate aber könnte die Wirkung des Embargos schwächen. „Ein Öl-Embargo wäre nützlich gewesen, wenn es unmittelbar und in voller Einheit umgesetzt worden wäre“, sagte der Energieökonom Manuel Frondel der „Schwäbischen Zeitung“. Frondel ist Professor am RWI, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. „Mit dieser Zeitverzögerung nutzt es relativ wenig. Allerdings muss man auch sagen, dass der Schaden für die EU relativ gering ist.“Wie andere Beobachter
des weltweiten Ölmarktes hält Frondel die Auswirkungen auf Russland auch deswegen für begrenzt, weil russische Öllieferungen andere Abnehmer finden dürften. „Das russische Erdöl wird dann eben nicht mehr in die Europäische Union verkauft, sondern Richtung Osten nach Indien und China. Im Wesentlichen wird sich die Richtung der Tanker ändern.“
Vermehrt russische Ölexporte in andere Länder, diesen Trend sieht auch Janis Kluge, Russland-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Dennoch meint er, dass die stark reduzierten Ölverkäufe in die EU sich für Russland durchaus ökonomisch bemerkbar machen werden: Alternative Abnehmer in östlichen Weltregionen könnten die EU nicht vollständig ersetzen. „Zudem
muss Russland dann auch hohe Preisabschläge in Kauf nehmen. Es bleibt auf jeden Fall ein ökonomischer Schaden für Russland – auch wenn es diese Ausweichbewegungen gibt.“
In der Tat liegen die Preise für russisches Öl seit Beginn des Krieges deutlich unter dem Preis für andere Sorten wie WTI und Brent. Während der Preis für die Nordseesorte Brent nach Verkündung der Embargopläne am Dienstag auf mehr als 124 Dollar gestiegen ist, lag der Preis für russisches Urals-Öl an den Rohstoffbörsen bei rund 90 Dollar. „Russland kann deshalb nicht davon profitieren, dass die Ölpreise aktuell so hoch sind“, sagt Janis Kluge.
Allerdings macht dieser Preisabschlag andererseits das russische Öl natürlich auch für potenzielle Abnehmerländer
lukrativ. „Wir können Russland nicht daran hindern, Öl zu verkaufen. Aber wir sind der wichtigste Kunde“, sagte denn auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Ziel des Ölembargos sei es, Russland die Finanzierung der Kriegsmaschinerie zu erschweren.
Auf der anderen Seite sind die Auswirkungen des Ölembargos hierzulande ebenso schwer präzise abzuschätzen. Immerhin: Die meisten Beobachter erwarten keine drastischen Folgen wie Ölknappheit oder explodierende Preise. Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist der Anteil russischen Öls am Gesamtverbrauch in Deutschland seit Kriegsbeginn von rund 35 auf zwölf Prozent gesunken. Doch fürchtet etwa das Land Brandenburg Auswirkungen auf die Raffinerie
in Schwedt mit ihren 1200 Beschäftigten. „Die Handlungsaufträge sind für die Raffinerie Schwedt vor allem, eine sichere und zukunftsfähige Perspektive zu schaffen“, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag auf der Hannover-Messe. „Wir haben jetzt noch bis Ende des Jahres Zeit, das vernünftig ins Werk zu setzen“.
Denn Ende des Jahres sollen die Ölkäufe aus Russland vollständig eingestellt sein. Dagegen warnte der Chef des Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, vor möglichem Spritmangel im Sommer in Europa. Mit der Urlaubssaison in Europa und den USA steige die Kraftstoff-Nachfrage, was zu Engpässen führen könne. Neben dem Neun-Euro-Ticket forderte er daher ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen mindestens für die Dauer des Ukraine-Konfliktes.