Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bahn und Bus setzen dem Neun-Euro-Ticket Grenzen

Eingleisig­e Zugstrecke­n sind im öffentlich­en Nahverkehr das gefährlich­ste Nadelöhr

- Von Evi Eck-Gedler, Anke Kumbier, Mark Hildebrand­t und Ralf Schäfer

LINDAU/BODENSEEKR­EIS - Ab 1. Juni gilt es, das Neun-Euro-Ticket für den öffentlich­en Nahverkehr: Drei Monate lang soll es angesichts der Energiekri­se die Menschen dazu bewegen, verstärkt mit Bus und Bahn zu fahren. Wieso einige Betreiber des ÖPNV in der Region das Ticket mit Sorgen betrachten und Fahrgästen Frust droht.

Wenn die Politik Ideen hat, wie der öffentlich­e Personen-Nahverkehr gestärkt werden kann, dann ist Jürgen Löffler immer ganz Ohr. Schließlic­h hat der Geschäftsf­ührer des Verkehrsve­rbunds Bodo ein großes Interesse daran, dass mehr Menschen ihre privaten Autos stehen lassen und in die Busse und Bahnen in der Region umsteigen.

Doch der Start des Neun-EuroTicket­s, mit dem Menschen bundesweit bis Ende August jeweils einen Monat lang im Nahverkehr fahren können, bereitet dem Bodo-Chef große Sorgen. Denn Löffler sieht Enttäuschu­ngen bei den Kunden vorprogram­miert: So habe die Bodensee-Gürtelbahn gar nicht die Kapazitäte­n, eine deutlich höhere Zahl an Fahrgästen zu transporti­eren, gab er im Wirtschaft­sausschuss des Landkreise­s Lindau zu bedenken – unter anderem, weil diese Bahnstreck­e eingleisig ist.

Aber auch die Regionalbu­sse könnten nicht beliebig mit Verstärker fahren – weil den Busunterne­hmen vielfach Fachkräfte fehlen, also Busfahrer. Und weil sich die Busbetrieb­e, gebeutelt von zwei Jahren Corona-Pandemie, teilweise „in existenzge­fährdender Lage“befänden.

Sehr kritisch sehen auch die Verantwort­lichen des Bahnbetrei­bers Go-Ahead das Neun-Euro-Ticket. „Natürlich freuen wir uns, wenn mehr Menschen die Regionalzü­ge zwischen Lindau und München nutzen“, sagt Pressespre­cher Winfried Karg. Doch viel mehr Kapazitäte­n, als derzeit auf der Bahnstreck­e bereits unterwegs sind, könne Go-Ahead nicht schaffen.

Denn das Unternehme­n hat auf Vorgabe der Bayerische­n Eisenbahng­esellschaf­t (BEG) 22 moderne elektrisch­e Triebzüge gekauft – der Großteil davon ist aber bereits bisher täglich im Stundentak­t unterwegs. Zusätzlich­e Züge verkrafte die Strecke nicht, weil es beispielsw­eise zwischen Hergatz und Memmingen nur ein Gleis für beide Richtungen gebe.

Darauf verweisen auch der für die Region Lindau zuständige Beauftragt­e des Fahrgastve­rbands Pro Bahn, Christian Moritz, sowie Ulrich Bauer vom Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD): „Die zwischen Buchloe und Hergatz nur eingleisig­e Strecke ist

Philipp Reinalter den vielen neuen Zügen kaum gewachsen, so dass es immer wieder zu empfindlic­hen Verspätung­en und in der Folge zu Verlusten von Anschlüsse­n zu anderen Zügen und Bussen kommt.“

Besonders der Abschnitt von Memmingen nach Hergatz sei kritisch: Dort seien die Hälfte der Ausweichgl­eise, viele Weichen und Signale abgebaut worden – „die jetzt für einen stabilen Zugbetrieb fehlen“, wie Moritz feststellt.

Es sei auch kein Ausbau der Fahrgastka­pazitäten in Form von Zügen in Doppeltrak­tion möglich, betont Go-Ahead Sprecher Karg: „Viele Bahnhöfe haben dafür keinen Platz, weil die Bahnsteige zu kurz sind.“Das heißt, dass dann streckenwe­ise immer ein Zugteil gesperrt werden müsste, weil die Fahrgäste sonst nicht unfallfrei ein- und aussteigen könnten.

Zumindest mit Blick auf die BusRegiona­llinien ist Philipp Reinalter hingegen entspannt. Er ist Geschäftsf­ührer des Tettnanger Unternehme­ns Strauss-Reisen. Das betreibt unter anderem für den Verkehrsve­rbund Bodo Regionalli­nien im östlichen Bodenseekr­eis: „Wir glauben nicht, dass es in unseren Linien zu Kapazitäts­engpässen kommt.“

Zwar seien die Busse etwa zu Schulspitz­enzeiten normalerwe­ise recht voll, so Reinalter: „Aber bei diesem schönen Wetter fahren viele Schülerinn­en und Schüler mit dem Rad. Das ist spürbar.“Der Start des 9-Euro-Tickets falle ja genau in diese Jahreszeit, wo dadurch auch zu starken Zeiten noch Reserven da sind. Und Reinalter erwartet auch nicht, dass der Andrang auf die Regionalli­nien gerade zu den üblichen Schulzeite­n besonders groß sein wird.

Auf die Frage, was passiert, wenn er sich da verschätzt, äußert der Busunterne­hmer: „Dann müssen wir einfach ad hoc reagieren und Reservefah­rzeuge auf die Straße bringen.“Die gebe es. Allerdings betont er nochmals, dass der regionale Busverkehr voraussich­tlich keine Probleme haben werde. Zwar sei die Schiene nicht sein Spezialgeb­iet, sagt Reinalter. Aber wenn es eng würde, dann eher dort, vermutet er: „Schon jetzt gibt es in den Zügen bereits im Normalbetr­ieb am See entlang massive Kapazitäts­engpässe.“

Sebastian Dix, Pressespre­cher des Häfler Stadtverke­hrs und der Bodensee-Oberschwab­enbahn (BOB), geht

„Schon jetzt gibt es in den Zügen bereits im Normalbetr­ieb am See

entlang massive Kapazitäts­engpässe.“

von deutlich höheren Fahrgastza­hlen aus und hätte sich mehr Vorlaufzei­t gewünscht. Trotzdem sieht er den Verkehr auf der Südbahn „ganz gut ausgestatt­et.“Allerdings sei es aufgrund der Bahnsteigl­ängen nicht möglich, mehr als zwei Triebwagen hintereina­nder zu spannen.

Mit Blick auf die Stadtbusse sagt er: „Wir fahren mit allem, was da ist.“Doch die Möglichkei­ten, aufzustock­en, seien begrenzt. „Ich bin mir aber auch nicht sicher, wie groß der Effekt in den Stadtbusse­n überhaupt sein wird“, gibt er zu bedenken. Grundsätzl­ich sei das Fahrgastni­veau sowohl in den Zügen der BOB als auch in den Bussen noch niedriger als vor Corona. „Ich bin deshalb verhalten optimistis­ch und hoffe auf positive Effekte und Erlebnisse.“

Eine Sprecherin der Deutschen Bahn in Stuttgart betont: „Wir bringen alles auf die Schiene, was geht.“Trotzdem sei beispielsw­eise nicht garantiert, dass Räder immer Platz finden. „Wir hoffen auf gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme der Fahrgäste.“Die Bahn hatte angekündig­t, dass an besonders stark frequentie­rten, großen Stationen für die Wochenende­n und an den Feiertagen Reisendenl­enker zum Einsatz kommen sollen. Das sei auch im Bodenseekr­eis geplant, so die Bahnsprech­erin. Wie viele und an welchen Bahnhöfen genau, könne sie allerdings nicht sagen.

Die Deutsche Bahn in Bayern bereitet sich „intensiv auf den Aktionszei­traum des Neun-Euro-Tickets vor“, schreibt am Freitag die Pressestel­le in München. Mehr als 700 zusätzlich­e Service- und Sicherheit­skräfte würden in den Sommermona­ten den Ein- und Ausstieg koordinier­en, Reisende mit Gepäck oder Fahrrädern unterstütz­en und für Auskünfte zur Verfügung stehen. Das seien mehr als viermal so viele wie in einem normalen Sommer. Außerdem verstärkt DB Regio die Wartung und Reinigung von Zügen in den Werken und durch mobile Instandhal­tungsteams. Teilweise will die Bahn auch mithilfe von Personaldi­enstleiste­rn aufstocken, wenn nicht ausreichen­d eigenes Personal zur Verfügung steht. Wenig bekannt ist heute jedoch bereits, wo es zu besonderen Auslastung­en komme. So sollen Strecken punktuell und bei Bedarf verstärkt werden. Den Schwerpunk­t setzt die Bahn auf die touristisc­hen Linien, ohne genau zu sagen, wo mehr Züge unterwegs sein werden und wie viele Kapazitäte­n dort eingesetzt werden, sagt eine Sprecherin der Bahn.

 ?? ARCHIVFOTO: RALF SCHÄFER ?? Bodo-Geschäftsf­ührer Jürgen Löffler beobachtet den Start des Neun-Euro-Tickets am 1. Juni mit kritischem Blick: Ein Ansturm auf Bus und Bahn in der Region könnte bei den Fahrgästen für Frust und Enttäuschu­ng sorgen – denn mehr Kapazitäte­n sind derzeit kaum möglich.
ARCHIVFOTO: RALF SCHÄFER Bodo-Geschäftsf­ührer Jürgen Löffler beobachtet den Start des Neun-Euro-Tickets am 1. Juni mit kritischem Blick: Ein Ansturm auf Bus und Bahn in der Region könnte bei den Fahrgästen für Frust und Enttäuschu­ng sorgen – denn mehr Kapazitäte­n sind derzeit kaum möglich.
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FOTO: LINDA EGGER Philipp Reinalter, Geschäftsf­ührer von Strauss Reisen.
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