Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bahn und Bus setzen dem Neun-Euro-Ticket Grenzen
Eingleisige Zugstrecken sind im öffentlichen Nahverkehr das gefährlichste Nadelöhr
LINDAU/BODENSEEKREIS - Ab 1. Juni gilt es, das Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr: Drei Monate lang soll es angesichts der Energiekrise die Menschen dazu bewegen, verstärkt mit Bus und Bahn zu fahren. Wieso einige Betreiber des ÖPNV in der Region das Ticket mit Sorgen betrachten und Fahrgästen Frust droht.
Wenn die Politik Ideen hat, wie der öffentliche Personen-Nahverkehr gestärkt werden kann, dann ist Jürgen Löffler immer ganz Ohr. Schließlich hat der Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Bodo ein großes Interesse daran, dass mehr Menschen ihre privaten Autos stehen lassen und in die Busse und Bahnen in der Region umsteigen.
Doch der Start des Neun-EuroTickets, mit dem Menschen bundesweit bis Ende August jeweils einen Monat lang im Nahverkehr fahren können, bereitet dem Bodo-Chef große Sorgen. Denn Löffler sieht Enttäuschungen bei den Kunden vorprogrammiert: So habe die Bodensee-Gürtelbahn gar nicht die Kapazitäten, eine deutlich höhere Zahl an Fahrgästen zu transportieren, gab er im Wirtschaftsausschuss des Landkreises Lindau zu bedenken – unter anderem, weil diese Bahnstrecke eingleisig ist.
Aber auch die Regionalbusse könnten nicht beliebig mit Verstärker fahren – weil den Busunternehmen vielfach Fachkräfte fehlen, also Busfahrer. Und weil sich die Busbetriebe, gebeutelt von zwei Jahren Corona-Pandemie, teilweise „in existenzgefährdender Lage“befänden.
Sehr kritisch sehen auch die Verantwortlichen des Bahnbetreibers Go-Ahead das Neun-Euro-Ticket. „Natürlich freuen wir uns, wenn mehr Menschen die Regionalzüge zwischen Lindau und München nutzen“, sagt Pressesprecher Winfried Karg. Doch viel mehr Kapazitäten, als derzeit auf der Bahnstrecke bereits unterwegs sind, könne Go-Ahead nicht schaffen.
Denn das Unternehmen hat auf Vorgabe der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) 22 moderne elektrische Triebzüge gekauft – der Großteil davon ist aber bereits bisher täglich im Stundentakt unterwegs. Zusätzliche Züge verkrafte die Strecke nicht, weil es beispielsweise zwischen Hergatz und Memmingen nur ein Gleis für beide Richtungen gebe.
Darauf verweisen auch der für die Region Lindau zuständige Beauftragte des Fahrgastverbands Pro Bahn, Christian Moritz, sowie Ulrich Bauer vom Verkehrsclub Deutschland (VCD): „Die zwischen Buchloe und Hergatz nur eingleisige Strecke ist
Philipp Reinalter den vielen neuen Zügen kaum gewachsen, so dass es immer wieder zu empfindlichen Verspätungen und in der Folge zu Verlusten von Anschlüssen zu anderen Zügen und Bussen kommt.“
Besonders der Abschnitt von Memmingen nach Hergatz sei kritisch: Dort seien die Hälfte der Ausweichgleise, viele Weichen und Signale abgebaut worden – „die jetzt für einen stabilen Zugbetrieb fehlen“, wie Moritz feststellt.
Es sei auch kein Ausbau der Fahrgastkapazitäten in Form von Zügen in Doppeltraktion möglich, betont Go-Ahead Sprecher Karg: „Viele Bahnhöfe haben dafür keinen Platz, weil die Bahnsteige zu kurz sind.“Das heißt, dass dann streckenweise immer ein Zugteil gesperrt werden müsste, weil die Fahrgäste sonst nicht unfallfrei ein- und aussteigen könnten.
Zumindest mit Blick auf die BusRegionallinien ist Philipp Reinalter hingegen entspannt. Er ist Geschäftsführer des Tettnanger Unternehmens Strauss-Reisen. Das betreibt unter anderem für den Verkehrsverbund Bodo Regionallinien im östlichen Bodenseekreis: „Wir glauben nicht, dass es in unseren Linien zu Kapazitätsengpässen kommt.“
Zwar seien die Busse etwa zu Schulspitzenzeiten normalerweise recht voll, so Reinalter: „Aber bei diesem schönen Wetter fahren viele Schülerinnen und Schüler mit dem Rad. Das ist spürbar.“Der Start des 9-Euro-Tickets falle ja genau in diese Jahreszeit, wo dadurch auch zu starken Zeiten noch Reserven da sind. Und Reinalter erwartet auch nicht, dass der Andrang auf die Regionallinien gerade zu den üblichen Schulzeiten besonders groß sein wird.
Auf die Frage, was passiert, wenn er sich da verschätzt, äußert der Busunternehmer: „Dann müssen wir einfach ad hoc reagieren und Reservefahrzeuge auf die Straße bringen.“Die gebe es. Allerdings betont er nochmals, dass der regionale Busverkehr voraussichtlich keine Probleme haben werde. Zwar sei die Schiene nicht sein Spezialgebiet, sagt Reinalter. Aber wenn es eng würde, dann eher dort, vermutet er: „Schon jetzt gibt es in den Zügen bereits im Normalbetrieb am See entlang massive Kapazitätsengpässe.“
Sebastian Dix, Pressesprecher des Häfler Stadtverkehrs und der Bodensee-Oberschwabenbahn (BOB), geht
„Schon jetzt gibt es in den Zügen bereits im Normalbetrieb am See
entlang massive Kapazitätsengpässe.“
von deutlich höheren Fahrgastzahlen aus und hätte sich mehr Vorlaufzeit gewünscht. Trotzdem sieht er den Verkehr auf der Südbahn „ganz gut ausgestattet.“Allerdings sei es aufgrund der Bahnsteiglängen nicht möglich, mehr als zwei Triebwagen hintereinander zu spannen.
Mit Blick auf die Stadtbusse sagt er: „Wir fahren mit allem, was da ist.“Doch die Möglichkeiten, aufzustocken, seien begrenzt. „Ich bin mir aber auch nicht sicher, wie groß der Effekt in den Stadtbussen überhaupt sein wird“, gibt er zu bedenken. Grundsätzlich sei das Fahrgastniveau sowohl in den Zügen der BOB als auch in den Bussen noch niedriger als vor Corona. „Ich bin deshalb verhalten optimistisch und hoffe auf positive Effekte und Erlebnisse.“
Eine Sprecherin der Deutschen Bahn in Stuttgart betont: „Wir bringen alles auf die Schiene, was geht.“Trotzdem sei beispielsweise nicht garantiert, dass Räder immer Platz finden. „Wir hoffen auf gegenseitige Rücksichtnahme der Fahrgäste.“Die Bahn hatte angekündigt, dass an besonders stark frequentierten, großen Stationen für die Wochenenden und an den Feiertagen Reisendenlenker zum Einsatz kommen sollen. Das sei auch im Bodenseekreis geplant, so die Bahnsprecherin. Wie viele und an welchen Bahnhöfen genau, könne sie allerdings nicht sagen.
Die Deutsche Bahn in Bayern bereitet sich „intensiv auf den Aktionszeitraum des Neun-Euro-Tickets vor“, schreibt am Freitag die Pressestelle in München. Mehr als 700 zusätzliche Service- und Sicherheitskräfte würden in den Sommermonaten den Ein- und Ausstieg koordinieren, Reisende mit Gepäck oder Fahrrädern unterstützen und für Auskünfte zur Verfügung stehen. Das seien mehr als viermal so viele wie in einem normalen Sommer. Außerdem verstärkt DB Regio die Wartung und Reinigung von Zügen in den Werken und durch mobile Instandhaltungsteams. Teilweise will die Bahn auch mithilfe von Personaldienstleistern aufstocken, wenn nicht ausreichend eigenes Personal zur Verfügung steht. Wenig bekannt ist heute jedoch bereits, wo es zu besonderen Auslastungen komme. So sollen Strecken punktuell und bei Bedarf verstärkt werden. Den Schwerpunkt setzt die Bahn auf die touristischen Linien, ohne genau zu sagen, wo mehr Züge unterwegs sein werden und wie viele Kapazitäten dort eingesetzt werden, sagt eine Sprecherin der Bahn.