Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Lindauer Biennale will irritieren
Künstlerin hängt dem Lindauer Löwen Fahnen um – Manche Werke funktionieren nur bei Dunkelheit
LINDAU - Die erste Lindauer Biennale will einen neuen Blick auf die Stadt erzeugen und bekannte Perspektiven aufbrechen. Damit richtet sich die Ausstellung, die im öffentlichen Raum an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr zu sehen ist, in erster Linie an die Lindauerinnen und Lindauer. „Wir bekommen einen anderen Fokus auf die Orte, an denen wir jeden Tag vorbei gehen oder radeln, wenn dort auf einmal ein Kunstwerk entsteht“, sagt Oberbürgermeisterin Claudia Alfons bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Biennale.
„Kunst von irgendwo herholen und hier abstellen, das finde ich langweilig“, sagt Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn. Wenn Künstlerinnen und Künstler stattdessen vor Ort arbeiten und Werke schaffen, die für diesen bestimmten Ort gedacht seien, entstehe viel eher etwas von gesellschaftlicher Relevanz. Idealerweise entstehe dadurch ein Diskurs. „Die Menschen, die hier leben, dürfen sich ärgern oder Unverständnis äußern“, sagt er. Wenn die Menschen sich an der Kunst reiben, entstehe Kontakt und Wärme, und das sei das Ziel.
Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck ist vor zwei Jahren von München nach Lindau gezogen, um die Biennale zu organisieren. Sie hat rund 20 Künstlerinnen und Künstler eingeladen, sich mit Lindau auseinanderzusetzen, um dann vor Ort Kunstwerke zu schaffen. Wichtig sei ihr dabei die Kooperation mit Akteuren und Vereinen vor Ort, denn sie wolle nicht einen Fremdkörper in die Stadt setzen. Vielmehr solle das Format ein Wir-Gefühl entstehen lassen.
Die Kunstwerke sind sehr unterschiedlich. Was sie verbindet ist das Thema der Biennale, das sich im Titel „In Situ Paradise“widerspiegelt. Der lateinische Begriff „in situ“kann in etwa mit „am Ort“übersetzt werden. Die Münchner Bildhauerin Julia Klemm hat sich den Lindauer Löwen vorgenommen. Dass sie für die Biennale den Löwen ausgesucht hat, liegt fast schon auf der Hand, denn sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Tier- und Machtsymbolen. Davor, am Löwen zu arbeiten, habe sie Ehrfurcht, wie sie im Pressegespräch am Montag sagt. Seit Montag sind Kletterer dabei, den Löwen für die Biennale umzugestalten. Das ist nötig, weil sie für die Intervention, wie sie es nennt, am Löwen Fahnen befestigt – mit Seilen und Schifffahrtsknoten, damit er nicht beschädigt wird. Rund 30 Fahnen wird sie an der bekannten Skulptur aufhängen, die im Kontrast zur Landschaft stehen und sich im Wind bewegen sollen. Je nachdem, ob und wie stark der Wind weht, wird der Löwe erweitert oder verhüllt. „Es ist eine Einladung, über das Denkmal nachzudenken. Was bedeutet es für mich? Wofür steht es?“, ergänzt Sophie-Charlotte Bombeck.
Auf der Hinteren Insel, ganz in der Nähe des Ring for Peace, „wachsen“auf der Wiese 100 Blumen aus Aluminiumfolie. Geschaffen hat die filigranen Kunstwerke der in Berlin lebende Japaner Toshihiko Mitsuya. „Sie sind nur gefaltet, nichts ist geklebt“, erläutert Amrei Keul, Assistentin der Kuratorin. Als Vorlagen nutzte er echte Pflanzen, einheimische und exotische. „Er hat die Rolle eines Gärtners, weil er die Kontrolle über seine Arbeit abgibt, sie dem Wetter und den Menschen aussetzt“, sagt sie. Besonders schön seien die Reflexionen, die je nach Wetter und Tageszeit anders aussehen. „Auch nachts sehen sie spektakulär aus“, sagt Keul.
Tatsächlich üben die silbernen Pflanzen, die im Wind leise rascheln, eine Faszination auf die Passanten aus. Viele von ihnen bleiben stehen, um sie zu betrachten und zu fotografieren. „Etwas vergleichbares habe ich noch nie gesehen“, sagt eine Frau, die stehen bleibt und sich die Blüten näher ansieht.
Aber nicht alle Kunstwerke der Biennale wollen hübsch sein. Dana Greiner etwa macht eine Ton- und Lichtinstallation am Pumpenhäuschen am Toskanapark. „Ich habe eine gesellschaftskritischen Ansatz gewählt“, sagt sie. Ihre Installation reagiert über einen Bewegungsmelder. Wenn sich dort jemand auf die Bank setzt, richtet sich ein Lichtspot auf ihn oder sie, außerdem ertönt eine Stimme, die weder männlich noch weiblich klingt. „Sie stellt Reflexionsfragen, die alle Menschen gleichermaßen ausgrenzen“, sagt Greiner. „Jeder ist eingeladen, sich ausgeschlossen zu fühlen.“Den Ort – durch ihn werden Fäkalien gepumpt – hat sie dafür bewusst ausgewählt.
Andere Kunstwerke der Biennale wiederum funktionieren nur bei Dunkelheit. Etwa die Lichtallee, die das Künstlerduo Pfeifer und Kreutzer auf dem Bahndamm installiert hat, das in München und Reichelsheim im Odenwald arbeitet. Die Laternen reagieren ebenfalls auf Bewegung, sodass das Licht den Passanten entgegenkommt. Auch der „Public Dancefloor“, also die öffentliche Tanzfläche der Bregenzer Künstlerin Maria Anwander auf der Lindenschanze ist bei Dunkelheit besonders wirkungsvoll.
An einem Baum dort befindet sich ein großer, roter Knopf, ähnlich wie bei einer TV-Quiz-Show. Wer den drückt, schaltet eine Musikanlage ein, Discolicht geht an und ein Discokugel dreht sich. „Eigentlich ist das ein neuralgischer Ort“, sagt Sophie-Charlotte Bombeck und spielt damit auf die Probleme an, die es im vergangenen Jahr mit ausufernden Partys Hunderter Jugendlicher gab, bei denen es teilweise zu Gewalt kam. Nun solle es ein Ort der friedlichen und fröhlichen Begegnungen sein.
Die Biennale läuft bis Ende September. Manche der Kunstwerke sind noch im Aufbau oder werden nur für einen kurzen Zeitraum zu sehen sein. Im Internet gibt es Videos, in denen Julia Klemm und Martin Pfeifle ihre Installationen erläutern. www.schwäbische.de/ startbiennale