Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lindauer Biennale will irritieren

Künstlerin hängt dem Lindauer Löwen Fahnen um – Manche Werke funktionie­ren nur bei Dunkelheit

- Von Barbara Baur

LINDAU - Die erste Lindauer Biennale will einen neuen Blick auf die Stadt erzeugen und bekannte Perspektiv­en aufbrechen. Damit richtet sich die Ausstellun­g, die im öffentlich­en Raum an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr zu sehen ist, in erster Linie an die Lindauerin­nen und Lindauer. „Wir bekommen einen anderen Fokus auf die Orte, an denen wir jeden Tag vorbei gehen oder radeln, wenn dort auf einmal ein Kunstwerk entsteht“, sagt Oberbürger­meisterin Claudia Alfons bei der Pressekonf­erenz zum Auftakt der Biennale.

„Kunst von irgendwo herholen und hier abstellen, das finde ich langweilig“, sagt Kulturamts­leiter Alexander Warmbrunn. Wenn Künstlerin­nen und Künstler stattdesse­n vor Ort arbeiten und Werke schaffen, die für diesen bestimmten Ort gedacht seien, entstehe viel eher etwas von gesellscha­ftlicher Relevanz. Idealerwei­se entstehe dadurch ein Diskurs. „Die Menschen, die hier leben, dürfen sich ärgern oder Unverständ­nis äußern“, sagt er. Wenn die Menschen sich an der Kunst reiben, entstehe Kontakt und Wärme, und das sei das Ziel.

Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck ist vor zwei Jahren von München nach Lindau gezogen, um die Biennale zu organisier­en. Sie hat rund 20 Künstlerin­nen und Künstler eingeladen, sich mit Lindau auseinande­rzusetzen, um dann vor Ort Kunstwerke zu schaffen. Wichtig sei ihr dabei die Kooperatio­n mit Akteuren und Vereinen vor Ort, denn sie wolle nicht einen Fremdkörpe­r in die Stadt setzen. Vielmehr solle das Format ein Wir-Gefühl entstehen lassen.

Die Kunstwerke sind sehr unterschie­dlich. Was sie verbindet ist das Thema der Biennale, das sich im Titel „In Situ Paradise“widerspieg­elt. Der lateinisch­e Begriff „in situ“kann in etwa mit „am Ort“übersetzt werden. Die Münchner Bildhaueri­n Julia Klemm hat sich den Lindauer Löwen vorgenomme­n. Dass sie für die Biennale den Löwen ausgesucht hat, liegt fast schon auf der Hand, denn sie beschäftig­t sich in ihrer Arbeit mit Tier- und Machtsymbo­len. Davor, am Löwen zu arbeiten, habe sie Ehrfurcht, wie sie im Pressegesp­räch am Montag sagt. Seit Montag sind Kletterer dabei, den Löwen für die Biennale umzugestal­ten. Das ist nötig, weil sie für die Interventi­on, wie sie es nennt, am Löwen Fahnen befestigt – mit Seilen und Schifffahr­tsknoten, damit er nicht beschädigt wird. Rund 30 Fahnen wird sie an der bekannten Skulptur aufhängen, die im Kontrast zur Landschaft stehen und sich im Wind bewegen sollen. Je nachdem, ob und wie stark der Wind weht, wird der Löwe erweitert oder verhüllt. „Es ist eine Einladung, über das Denkmal nachzudenk­en. Was bedeutet es für mich? Wofür steht es?“, ergänzt Sophie-Charlotte Bombeck.

Auf der Hinteren Insel, ganz in der Nähe des Ring for Peace, „wachsen“auf der Wiese 100 Blumen aus Aluminiumf­olie. Geschaffen hat die filigranen Kunstwerke der in Berlin lebende Japaner Toshihiko Mitsuya. „Sie sind nur gefaltet, nichts ist geklebt“, erläutert Amrei Keul, Assistenti­n der Kuratorin. Als Vorlagen nutzte er echte Pflanzen, einheimisc­he und exotische. „Er hat die Rolle eines Gärtners, weil er die Kontrolle über seine Arbeit abgibt, sie dem Wetter und den Menschen aussetzt“, sagt sie. Besonders schön seien die Reflexione­n, die je nach Wetter und Tageszeit anders aussehen. „Auch nachts sehen sie spektakulä­r aus“, sagt Keul.

Tatsächlic­h üben die silbernen Pflanzen, die im Wind leise rascheln, eine Faszinatio­n auf die Passanten aus. Viele von ihnen bleiben stehen, um sie zu betrachten und zu fotografie­ren. „Etwas vergleichb­ares habe ich noch nie gesehen“, sagt eine Frau, die stehen bleibt und sich die Blüten näher ansieht.

Aber nicht alle Kunstwerke der Biennale wollen hübsch sein. Dana Greiner etwa macht eine Ton- und Lichtinsta­llation am Pumpenhäus­chen am Toskanapar­k. „Ich habe eine gesellscha­ftskritisc­hen Ansatz gewählt“, sagt sie. Ihre Installati­on reagiert über einen Bewegungsm­elder. Wenn sich dort jemand auf die Bank setzt, richtet sich ein Lichtspot auf ihn oder sie, außerdem ertönt eine Stimme, die weder männlich noch weiblich klingt. „Sie stellt Reflexions­fragen, die alle Menschen gleicherma­ßen ausgrenzen“, sagt Greiner. „Jeder ist eingeladen, sich ausgeschlo­ssen zu fühlen.“Den Ort – durch ihn werden Fäkalien gepumpt – hat sie dafür bewusst ausgewählt.

Andere Kunstwerke der Biennale wiederum funktionie­ren nur bei Dunkelheit. Etwa die Lichtallee, die das Künstlerdu­o Pfeifer und Kreutzer auf dem Bahndamm installier­t hat, das in München und Reichelshe­im im Odenwald arbeitet. Die Laternen reagieren ebenfalls auf Bewegung, sodass das Licht den Passanten entgegenko­mmt. Auch der „Public Dancefloor“, also die öffentlich­e Tanzfläche der Bregenzer Künstlerin Maria Anwander auf der Lindenscha­nze ist bei Dunkelheit besonders wirkungsvo­ll.

An einem Baum dort befindet sich ein großer, roter Knopf, ähnlich wie bei einer TV-Quiz-Show. Wer den drückt, schaltet eine Musikanlag­e ein, Discolicht geht an und ein Discokugel dreht sich. „Eigentlich ist das ein neuralgisc­her Ort“, sagt Sophie-Charlotte Bombeck und spielt damit auf die Probleme an, die es im vergangene­n Jahr mit ausufernde­n Partys Hunderter Jugendlich­er gab, bei denen es teilweise zu Gewalt kam. Nun solle es ein Ort der friedliche­n und fröhlichen Begegnunge­n sein.

Die Biennale läuft bis Ende September. Manche der Kunstwerke sind noch im Aufbau oder werden nur für einen kurzen Zeitraum zu sehen sein. Im Internet gibt es Videos, in denen Julia Klemm und Martin Pfeifle ihre Installati­onen erläutern. www.schwäbisch­e.de/ startbienn­ale

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Es geht weiter mit dem Biennale-Aufbau: Pius Bandte und sein Vater Christian bauen ein Gerüst am Löwen, damit sie ihn nach Vorgaben der Künstlerin Julia Klemm teilweise einpacken.
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FOTO: BARBARA BAUR Martin Pfeifle hat die Bushaltest­elle am Insel-Bahnhof mit 16000 Katzenauge­n beklebt. Die Installati­on heißt „Destinatio­n Paradise“.

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