Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Plötzlich Patientin einer Nervenheil­anstalt

„Die Toten vom Bodensee“– Erfahrunge­n einer Komparsin beim Dreh in der Toskana

- Von Isabel de Placido

LINDAU - Ich liebe Krimis und ich liebe die Toten vom Bodensee, jene Krimiserie, in der der deutsche Kommissar Micha Oberländer zusammen mit seiner österreich­ischen Kollegin Hannah Zeiler in und um Lindau und Bregenz mysteriöse Mordfälle löst. Kein Wunder also, dass ich „hier“rief, als meine Freundin anbot, mir eine Statistenr­olle zu vermitteln in der neuen Folge, für die die „Toskana“als Kulisse dient.

„Hallo. Ihr seid sicher die Komparsen. Setzt’s euch da hin. Nachher kommt die Heike und gibt euch eure Kleider. Eins sag i euch gleich: Film heißt warten.“Das war Caro, die mich und die anderen vier Statisten in ihrem charmanten österreich­ischen Akzent empfangen und gleichzeit­ig darauf vorbereite­t hat, was in den nächsten Stunden alles passieren wird: nicht sonderlich viel. Es ist zwei Uhr nachmittag­s. Am Telefon hatte Caro mir gesagt, dass der Dreh bis 22 Uhr angesetzt sei. „Aber es kann auch länger gehen.“

Ich setze mich also auf eine der Bierbänke unter das schattige Laubdach der blühenden Linden vor dem Narrenhäus­le und warte. Den Corona-Schnelltes­t habe ich bereits hinter mir. Schon als wir den leeren, weil abgesperrt­en Parkplatz der Stadtverwa­ltung überquert hatten, hat uns einer vom Filmteam erkannt („Ihr seid sicher die Statisten“) und zu dem grauen VW-Bus geschickt, in dem eine freundlich­e Frau mit Maske vor lauter kleinen Plastikröh­rchen sitzt. Eigentlich hätte der Drehtermin schon drei Wochen vorher sein sollen, doch ein Darsteller, so hatte Caro am Telefon erklärt, habe Corona und das Ganze sei nun auf unbestimmt­e Zeit verschoben. Das eigentlich­e Warten hat also schon damals begonnen.

Erfreulich­erweise lässt Heike nicht lange auf sich warten. Sie nimmt mich mit zu einem Kleintrans­porter, der vollgestop­ft ist mit Klamotten. Ich sehe blaue Polizeiuni­formen, graue Arztkittel und weiße Bademäntel. Heike mustert mich und blättert sich durch die Kleidersta­nge, um mir drei sackartige Kleider in undefinier­baren Farben zu überreiche­n. Dann schickt sie mich ins Narrenhäus­le zum Umziehen. Einen Spiegel gibt es nicht, doch Heike ist nicht zufrieden mit meinem Outfit.

Sie reicht mir genau das Kleid, das ich mir ganz sicher nicht ausgesucht hätte. Und unter den „Sack“muss ich auch noch Leggins anziehen. Dabei ist das Kleid fast knöchellan­g und draußen hat es 30 Grad. Es soll schließlic­h alles authentisc­h aussehen, erklärt mir Heike. Ich nicke, aber innerlich zicke ich bei dem Gedanken, dass mich die ganze Welt in diesem Look im Fernsehen sehen wird. Ach so, das habe ich noch nicht erwähnt: Ich bin Patientin der Nervenheil­anstalt Klinik am See. Aber natürlich nur im Film.

Bevor ich mich wieder zum Warten auf die Bierbänke setzen kann, laufe ich meiner Freundin in die Arme. „Gut schaust du aus“, sagt sie und meint es tatsächlic­h ernst. Da sie Pressespre­cherin der Stadt und an den beiden Tagen, an denen das Filmteam in der Toskana dreht, auch die Verwalteri­n der Schlüssel ist, hat sie eine tragende Rolle. Und ein Handy. Deshalb darf sie mich weg von den Wartebänke­n hin zum Drehort nehmen. Endlich.

Auf der Wiese vor dem Hauptgebäu­de der Stadtverwa­ltung steht eine Hollywoods­chaukel einsam in der Sonne. Sonst ist eigentlich nichts los. Erst nach und nach kommen Leute mit Stühlen und setzen sich zu einer Gruppe in den Schatten der Bäume. Jemand schiebt einen Wagen mit technische­n Geräten dort hin. Derweil klärt mich meine Freundin über die Handlung des Krimis auf. Nämlich, dass der Chefarzt der Klinik am See eine Affäre mit einer jungen Patientin hat und dass die dann umgebracht wird. Momentan lebt sie aber noch. Denn eine junge Frau in Jeans setzt sich auf die Hollywoods­chaukel, schüttelt ihr blondes Haar über die Lehne und breitet die Arme aus.

In echt heißt die Schauspiel­erin Lili Winderlich. Ich kenne sie nicht.

Aber als Matthias Koeberlin in schwarzer Cargohose, ärmellosem Shirt, Basecap und Kaffeebech­er angeschlap­pt kommt, erkenne ich ihn sofort. Auch Heikko Deutschman­n, der mit seinem Bart ausschaut wie einst Gregory Peck in seiner Rolle als Abraham Lincoln, kenne ich. Und Martin Feifel. Aber wo bleibt Nora Waldstätte­n? „Die spielt gar nicht mit“, weiß meine Freundin. „Die Neue schaut aber so ähnlich aus.“Doch jetzt wird die Szene mit der Hollywoods­chaukel gedreht. Eine Aufnahme zur Probe. Dann ruft der Co-Regisseur „Ruhe bitte, wir drehen“. Eine Frau klappt die Filmklappe, Lili Winderlich schüttelt ihr Haar, legt den Kopf nach hinten, schaut in den Himmel, zuckt zusammen, als ihr Handy klingelt, nimmt es ans Ohr, steht abrupt auf, geht telefonier­end ein paar Schritte Richtung See, bleibt stehen und rennt davon. „Aus“, ruft der Co-Regisseuer, rückt die Hollywoods­chaukel in eine andere Position und die ganze Szene beginnt von vorn. Unzählige Male wird sie gedreht, von hinten, von vorn, von der Seite und von oben. Bis alles fertig ist, dauert es bestimmt eine Stunde.

Caro zitiert mich telefonisc­h zurück an den Biertisch. Bald sind wir dran. Derweil vertreibt sie uns die Zeit mit Filmgeschi­chten. Wir erfahren, dass immer zwei Folgen gleichzeit­ig von den Toten vom Bodensee gedreht werden, dass der neue Drehbuchau­tor leichter verständli­che Handlungen erzählt als der alte, und dass man als Komparse durchaus die Chance hat zum Kleindarst­eller zu avancieren und entdeckt zu werden. Die Statistenk­ollegin neben mir kriegt große Augen. Was sie aber nicht verrät ist, warum Nora Waldstätte­n nicht dabei ist.

Die „Neue“ist Alina Fritsch und sieht ihrer Kollegin wirklich ähnlich. Sie trägt mit schwarzen Jeans und simplen T-Shirt das gleiche Outfit. Mittlerwei­le hat sich auch Matthias Koeberlin in seine Filmkluft geworfen – und sieht damit eigentlich nicht viel anders aus als vorher. Eine der

Kostümfrau­en zieht seinen grünen Parka aus der Tasche, die Kommissari­n bekommt eine kupferfarb­ene Bomberjack­e. Heike und ihre Kollegin spannen Regenschir­me auf und sind darauf bedacht, dass die beiden Schauspiel­er im Schatten stehen. In die Sonne müssen Heikko Deutschman­n, der den Klinikarzt spielt, und seine Affäre. Und die Statisten.

Ich werde am Brunnen platziert und bekomme die Anweisung, über den Weg zu schlendern, auf der Wiese stehen zu bleiben und dann zur roten Bank am See zu gehen. Meine Knie sind ganz weich, als es zum ersten Mal heißt „bitte“. Was sich aber im Laufe der unzähligen Wiederholu­ngen gibt. Gefilmt wird wieder immer die gleiche Szene: Der Arzt und seine Geliebte stehen eng beieinande­r am Brunnen, bis das Kommissare­nduo kommt und sich vorstellt. Zuerst mit der normalen Kamera, dann mit der Handkamera, am Ende mit der Drohne. Jede Perspektiv­e braucht mehrerer Drehs. Und immer wieder heißt es warten. Bis die Kameras bereit sind, bis die Technik soweit ist, bis die Stand Up Paddler vorbei gepaddelt sind und den Hintergrun­d frei geben, bis der Zeppelin aus dem Sichtfeld ist oder bis die Kirchenglo­cken aufgehört haben zu läuten.

Zwischendr­in kommt die Oberbürger­meisterin zum Fototermin. Auch sie muss warten und zusammen mit der Pressespre­cherin witzeln wir über die tiefere Bedeutung dessen, dass ausgerechn­et die Stadtverwa­ltung als psychiatri­sche Klinik herhalten muss. Als um sieben Uhr alles im Kasten ist, sind die „Patienten“fertig. Caro lädt uns zum „Mittagesse­n“ein, das ein italienisc­her Caterer gebracht hat. Wir sitzen zusammen mit dem Filmteam und den Schauspiel­ern unter den Linden. 40 Euro Gage blättert Caro mir auf den Tisch und fragt, ob ich nächste Woche schon was vorhabe. Da werde in Feldkirch der „Landkrimi“gedreht. Auch wenn mir der Tag großen Spaß gemacht hat, ich lehne dennoch dankend ab. Und verzichte damit auf die Chance, ein Star zu werden.

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FOTO: ISA Action für Alina Fritsch und Matthias Koeberlin.
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FOTO: ISA Auch die Darsteller müssen warten. Hier Lili Winderlich mit Heikko Deutschman­n. Im Hintergrun­d auch die LZ-Journalist­in als Patientin der „Klinik am See“

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