Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Plötzlich Patientin einer Nervenheilanstalt
„Die Toten vom Bodensee“– Erfahrungen einer Komparsin beim Dreh in der Toskana
LINDAU - Ich liebe Krimis und ich liebe die Toten vom Bodensee, jene Krimiserie, in der der deutsche Kommissar Micha Oberländer zusammen mit seiner österreichischen Kollegin Hannah Zeiler in und um Lindau und Bregenz mysteriöse Mordfälle löst. Kein Wunder also, dass ich „hier“rief, als meine Freundin anbot, mir eine Statistenrolle zu vermitteln in der neuen Folge, für die die „Toskana“als Kulisse dient.
„Hallo. Ihr seid sicher die Komparsen. Setzt’s euch da hin. Nachher kommt die Heike und gibt euch eure Kleider. Eins sag i euch gleich: Film heißt warten.“Das war Caro, die mich und die anderen vier Statisten in ihrem charmanten österreichischen Akzent empfangen und gleichzeitig darauf vorbereitet hat, was in den nächsten Stunden alles passieren wird: nicht sonderlich viel. Es ist zwei Uhr nachmittags. Am Telefon hatte Caro mir gesagt, dass der Dreh bis 22 Uhr angesetzt sei. „Aber es kann auch länger gehen.“
Ich setze mich also auf eine der Bierbänke unter das schattige Laubdach der blühenden Linden vor dem Narrenhäusle und warte. Den Corona-Schnelltest habe ich bereits hinter mir. Schon als wir den leeren, weil abgesperrten Parkplatz der Stadtverwaltung überquert hatten, hat uns einer vom Filmteam erkannt („Ihr seid sicher die Statisten“) und zu dem grauen VW-Bus geschickt, in dem eine freundliche Frau mit Maske vor lauter kleinen Plastikröhrchen sitzt. Eigentlich hätte der Drehtermin schon drei Wochen vorher sein sollen, doch ein Darsteller, so hatte Caro am Telefon erklärt, habe Corona und das Ganze sei nun auf unbestimmte Zeit verschoben. Das eigentliche Warten hat also schon damals begonnen.
Erfreulicherweise lässt Heike nicht lange auf sich warten. Sie nimmt mich mit zu einem Kleintransporter, der vollgestopft ist mit Klamotten. Ich sehe blaue Polizeiuniformen, graue Arztkittel und weiße Bademäntel. Heike mustert mich und blättert sich durch die Kleiderstange, um mir drei sackartige Kleider in undefinierbaren Farben zu überreichen. Dann schickt sie mich ins Narrenhäusle zum Umziehen. Einen Spiegel gibt es nicht, doch Heike ist nicht zufrieden mit meinem Outfit.
Sie reicht mir genau das Kleid, das ich mir ganz sicher nicht ausgesucht hätte. Und unter den „Sack“muss ich auch noch Leggins anziehen. Dabei ist das Kleid fast knöchellang und draußen hat es 30 Grad. Es soll schließlich alles authentisch aussehen, erklärt mir Heike. Ich nicke, aber innerlich zicke ich bei dem Gedanken, dass mich die ganze Welt in diesem Look im Fernsehen sehen wird. Ach so, das habe ich noch nicht erwähnt: Ich bin Patientin der Nervenheilanstalt Klinik am See. Aber natürlich nur im Film.
Bevor ich mich wieder zum Warten auf die Bierbänke setzen kann, laufe ich meiner Freundin in die Arme. „Gut schaust du aus“, sagt sie und meint es tatsächlich ernst. Da sie Pressesprecherin der Stadt und an den beiden Tagen, an denen das Filmteam in der Toskana dreht, auch die Verwalterin der Schlüssel ist, hat sie eine tragende Rolle. Und ein Handy. Deshalb darf sie mich weg von den Wartebänken hin zum Drehort nehmen. Endlich.
Auf der Wiese vor dem Hauptgebäude der Stadtverwaltung steht eine Hollywoodschaukel einsam in der Sonne. Sonst ist eigentlich nichts los. Erst nach und nach kommen Leute mit Stühlen und setzen sich zu einer Gruppe in den Schatten der Bäume. Jemand schiebt einen Wagen mit technischen Geräten dort hin. Derweil klärt mich meine Freundin über die Handlung des Krimis auf. Nämlich, dass der Chefarzt der Klinik am See eine Affäre mit einer jungen Patientin hat und dass die dann umgebracht wird. Momentan lebt sie aber noch. Denn eine junge Frau in Jeans setzt sich auf die Hollywoodschaukel, schüttelt ihr blondes Haar über die Lehne und breitet die Arme aus.
In echt heißt die Schauspielerin Lili Winderlich. Ich kenne sie nicht.
Aber als Matthias Koeberlin in schwarzer Cargohose, ärmellosem Shirt, Basecap und Kaffeebecher angeschlappt kommt, erkenne ich ihn sofort. Auch Heikko Deutschmann, der mit seinem Bart ausschaut wie einst Gregory Peck in seiner Rolle als Abraham Lincoln, kenne ich. Und Martin Feifel. Aber wo bleibt Nora Waldstätten? „Die spielt gar nicht mit“, weiß meine Freundin. „Die Neue schaut aber so ähnlich aus.“Doch jetzt wird die Szene mit der Hollywoodschaukel gedreht. Eine Aufnahme zur Probe. Dann ruft der Co-Regisseur „Ruhe bitte, wir drehen“. Eine Frau klappt die Filmklappe, Lili Winderlich schüttelt ihr Haar, legt den Kopf nach hinten, schaut in den Himmel, zuckt zusammen, als ihr Handy klingelt, nimmt es ans Ohr, steht abrupt auf, geht telefonierend ein paar Schritte Richtung See, bleibt stehen und rennt davon. „Aus“, ruft der Co-Regisseuer, rückt die Hollywoodschaukel in eine andere Position und die ganze Szene beginnt von vorn. Unzählige Male wird sie gedreht, von hinten, von vorn, von der Seite und von oben. Bis alles fertig ist, dauert es bestimmt eine Stunde.
Caro zitiert mich telefonisch zurück an den Biertisch. Bald sind wir dran. Derweil vertreibt sie uns die Zeit mit Filmgeschichten. Wir erfahren, dass immer zwei Folgen gleichzeitig von den Toten vom Bodensee gedreht werden, dass der neue Drehbuchautor leichter verständliche Handlungen erzählt als der alte, und dass man als Komparse durchaus die Chance hat zum Kleindarsteller zu avancieren und entdeckt zu werden. Die Statistenkollegin neben mir kriegt große Augen. Was sie aber nicht verrät ist, warum Nora Waldstätten nicht dabei ist.
Die „Neue“ist Alina Fritsch und sieht ihrer Kollegin wirklich ähnlich. Sie trägt mit schwarzen Jeans und simplen T-Shirt das gleiche Outfit. Mittlerweile hat sich auch Matthias Koeberlin in seine Filmkluft geworfen – und sieht damit eigentlich nicht viel anders aus als vorher. Eine der
Kostümfrauen zieht seinen grünen Parka aus der Tasche, die Kommissarin bekommt eine kupferfarbene Bomberjacke. Heike und ihre Kollegin spannen Regenschirme auf und sind darauf bedacht, dass die beiden Schauspieler im Schatten stehen. In die Sonne müssen Heikko Deutschmann, der den Klinikarzt spielt, und seine Affäre. Und die Statisten.
Ich werde am Brunnen platziert und bekomme die Anweisung, über den Weg zu schlendern, auf der Wiese stehen zu bleiben und dann zur roten Bank am See zu gehen. Meine Knie sind ganz weich, als es zum ersten Mal heißt „bitte“. Was sich aber im Laufe der unzähligen Wiederholungen gibt. Gefilmt wird wieder immer die gleiche Szene: Der Arzt und seine Geliebte stehen eng beieinander am Brunnen, bis das Kommissarenduo kommt und sich vorstellt. Zuerst mit der normalen Kamera, dann mit der Handkamera, am Ende mit der Drohne. Jede Perspektive braucht mehrerer Drehs. Und immer wieder heißt es warten. Bis die Kameras bereit sind, bis die Technik soweit ist, bis die Stand Up Paddler vorbei gepaddelt sind und den Hintergrund frei geben, bis der Zeppelin aus dem Sichtfeld ist oder bis die Kirchenglocken aufgehört haben zu läuten.
Zwischendrin kommt die Oberbürgermeisterin zum Fototermin. Auch sie muss warten und zusammen mit der Pressesprecherin witzeln wir über die tiefere Bedeutung dessen, dass ausgerechnet die Stadtverwaltung als psychiatrische Klinik herhalten muss. Als um sieben Uhr alles im Kasten ist, sind die „Patienten“fertig. Caro lädt uns zum „Mittagessen“ein, das ein italienischer Caterer gebracht hat. Wir sitzen zusammen mit dem Filmteam und den Schauspielern unter den Linden. 40 Euro Gage blättert Caro mir auf den Tisch und fragt, ob ich nächste Woche schon was vorhabe. Da werde in Feldkirch der „Landkrimi“gedreht. Auch wenn mir der Tag großen Spaß gemacht hat, ich lehne dennoch dankend ab. Und verzichte damit auf die Chance, ein Star zu werden.