Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Neue Zeiten für Biden
Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus zwingt den US-Präsidenten künftig zu Kompromissen
WASHINGTON - Nach dem Verlust der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus hat US-Präsident Joe Biden eine unbequeme zweite Hälfte seiner Amtszeit vor sich. Die Republikaner errangen eine knappe Mehrheit im Kongress, wie US-Medien übereinstimmend vermeldeten. Somit beginnen neue Zeiten für Biden und seine Regierung. Zehn Dinge, die sich ändern werden.
Es wird keine neuen Gesetze oder Reformen geben
Ein Gesetz bedarf in den USA der Zustimmung von Repräsentantenhaus und Senat zu einem gleichlautenden Text sowie der Unterschrift des Präsidenten. Republikaner und Demokraten dürften sich in den kommenden beiden Jahren gegenseitig blockieren. Neue Gesetze oder gar Reformen sind nicht zu erwarten.
Die Drohkeule des Staatsbankrotts kehrt zurück
Die Republikaner haben angekündigt, die Mittel für die Finanzierung der Regierung und die Bedienung der Staatsschulden als Hebel zu benutzen, und die Umsetzung bereits beschlossener Reformen zu verhindern. Regierungsstillstand und Staatsbankrott kehren als Druckmittel in die US-Politik zurück.
Ein kalter Winter für die Ukraine Der designierte Speaker Kevin McCarthy hat angekündigt, er werde „keinen Blankoscheck“mehr für die Ukraine ausstellen. Er muss auf den rechten Flügel der Fraktion Rücksicht
nehmen. Der „Freedom Caucus“ist stärker geworden und gilt als russlandfreundlich.
Europa muss mehr internationale Lasten schultern
Die „Amerika-zuerst“-Isolationisten nehmen im Kongress an Einfluss zu. Vor allem unter den Trump-Republikanern, aber auch bei den linken Demokraten. Es werden gewiss keine weiteren 60 Milliarden Dollar mehr an Hilfen für die Ukraine genehmigt. Dass die EU laut einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nur halb so viel an militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe an die Ukraine leistet wie die USA, stärkt die Kritiker, die mehr Engagement von Europa verlangen.
Jagd auf die „lahme Ente“
Joe Biden kann innenpolitisch kaum mehr etwas durchsetzen und gilt deshalb als „lahme Ente“. Die Republikaner haben vor, den Präsidenten vor sich herzutreiben. Sie planen dafür, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, die unter anderen den Rückzug aus Afghanistan unter die Lupe nehmen.
Impeachment des Präsidenten oder seiner Regierung
Mindestens ein Dutzend Republikaner haben bereits Impeachment-Artikel in der Schublade liegen, die Präsident Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris, Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas und andere Kabinettsmitglieder ins Visier nehmen.
Freakshow auf dem Kapitolhügel Der Kongress droht zur Bühne einer politischen Freakshow zu werden. Während schillernde Gestalten schon immer einen Platz im Repräsentantenhaus hatten, dominieren
QAnon-Verschwörer, Anhänger der „großen Lüge“, Covid-Leugner, radikale Abtreibungsgegner und Waffennarren künftig die Wahrnehmung der Mehrheitsfraktion.
Kevin McCarthy lebt gefährlich Speaker McCarthy muss die Donald Trump nahestehenden Abgeordneten eng einbinden, damit er überhaupt nur Speaker wird. Keine einfache Aufgabe angesichts der kompromisslosen Haltung und knapper Mehrheiten.
Der Senat wird mehr wie das Repräsentantenhaus
Die Verfassungsväter haben den Senat als Kühlbecken verstanden, in dem mit heißer Leidenschaft beschlossene Gesetzentwürfe aus dem Repräsentantenhaus einer nüchternen Prüfung unterzogen werden. Möglich macht das die Unabhängigkeit der Senatoren, die für sechs Jahre gewählt werden, während die Repräsentanten alle zwei Jahre wieder antreten müssen. Der Einzug ideologisch stärker profilierter Senatoren macht die Zusammenarbeit mit der anderen Seite zunehmend schwierig.
Geteilte Regierung, gemeinsame Verantwortung
Bisher konnten die Republikaner den Präsidenten und dessen Partei für alles Ungemach verantwortlich machen. Künftig tragen sie einen Teil der Verantwortung. Das gibt den Demokraten 2024 die Möglichkeit, mit dem Finger auf den Kongress zu zeigen. Wenn die Republikaner überziehen oder sich selbst zerfleischen, kann Biden oder ein anderer Demokrat davon profitieren.