Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tagesmütter fordern mehr Unterstützung
Viel Einsatz, wenig Lohn – Netzwerk übt Kritik am Landkreis
BODENSEEKREIS - Weil es zu wenig Kita-Plätze gibt, werden Tagesmütter und -väter dringend benötigt. Gleichzeitig gibt es im Bodenseekreis immer weniger Tagespflegepersonen. Denn in Zeiten steigender Kosten lohnt sich für viele die Arbeit nicht mehr. Zudem übt das Tagesmütternetz Bodenseekreis Kritik an den Rahmenbedingungen.
Gut 60 Tagespflegepersonen – darunter zwei Männer – bieten im Bodenseekreis ein alternatives Betreuungsangebot zu Kindergarten und Krippe. Theoretisch haben Eltern also die Wahl, wer ihre Kinder umsorgt, wenn sie selbst arbeiten. Praktisch ist das eher schwierig, denn die Kitas sind voll und auch die Zahl an Plätzen in der Kindertagespflege sinken.
2014 gab es im Bodenseekreis noch rund 80 aktive Tagesmütter. In den vergangenen acht Jahren haben also 20 Kindertagespflegepersonen ihren Beruf an den Nagel gehängt – Tendenz weiter steigend. Da sie bis zu fünf Kinder gleichzeitig betreuen dürfen, sind theoretisch 100 Plätze binnen acht Jahren weggefallen.
Wer sich für die Tagespflege entscheidet, bekommt eine familienähnliche Betreuung und die besondere Berücksichtigung individueller Bedürfnisse. Nach Zahlen des Jugendamts werden im Bodenseekreis aktuell rund 217 Kinder in der Kindertagespflege betreut (Stichtag: 1. März). Die Tagesmütter und -väter verdienen ihren Lebensunterhalt dabei als Selbstständige und bekommen pro Kind Geld von der Kommune. Für ihre Arbeit erhalten sie 6,50 Euro je Kind und Stunde – Vorbereitung, Aufräumen, Büroarbeit und Fortbildungen werden dabei nicht extra vergütet.
„Wir bekommen vom Jugendamt nur die Stunden bezahlt, die wir direkt am Kind arbeiten“, berichtet Susann Struppek. Gemeinsam mit Dolores Dutschke, Petra Becker-Baldauf und Alexandra Fleck berichtet die Tagesmutter von den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit. „Es ist hart verdientes Geld. Wenn wir davon leben müssten, wäre das undenkbar“, erklären die vier Tagesmütter, die dem Vorstand des Tagesmütternetzes angehören: „Es ist nicht so, dass man damit große Sprünge machen kann. Deshalb kämpfen wir seit Jahren für bessere Bedingungen“, ergänzt Becker-Baldauf.
Der Betrag, der sich an den Empfehlungen Lands Baden-Württemberg orientiert, muss fast alles abdecken. Seit vier Jahren hat sich an der Bezahlung nichts geändert und auch Krankheitstage werden nicht vergütet, beklagt das Tagesmütternetz. Sozialdezernent Ignaz Wetzel erklärt: Der Bodenseekreis erfülle den gesetzlichen Anspruch. Denn als Selbstständige stünden Tagespflegepersonen in keinem Arbeitsverhältnis mit dem Jugendamt.
„Den Tagespflegepersonen steht frei, über den Stundensatz hinaus, von den Eltern einen Zusatzbetrag zu fordern“, sagt Wetzel und berichtet von Tageseltern, die je Betreuungsstunde einen Euro mehr von den Eltern verlangen, um einen Ausgleich zu schaffen. „Die Eltern schließen einen Vertrag mit der Tagespflegeperson“, so Wetzel. Dieser unterliege einer Vertragsfreiheit. „Das heißt, im Betreuungsvertrag können auch Vorund Nachbearbeitungszeiten, Krankheit und Urlaub zwischen den Parteien geregelt werden.“
Um Formalitäten zu vereinfachen, habe der Bodenseekreis für gleichbleibende Betreuungsverhältnisse eine pauschale Abrechnung eingeführt, ergänzt Jugendamtsleiterin Simone Schilling. Im Krankheitsfall bedeute dies, dass Betreuungsausfälle von bis zu 28 Tagen nicht ins Gewicht fallen, so Schilling. Denn die Auszahlung bleibe die selbe, solange für das Kind keine andere Betreuungsperson finanziert werden müsse.
„Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Eltern einem kurzfristigen Wechsel der Betreuungsperson kritisch gegenüber stehen und nötigenfalls im Verwandten- oder Freundeskreis nach einer Vertretung suchen“, erklärt Schilling. Grundsätzlich erhalten Tageseltern pro betreutem Kind eine Pauschale vom Landkreis, eine sogenannte laufende Geldleistung. Diese wird jeweils für ein Jahr vom Jugendamt bewilligt. Es dauere sechs bis acht Wochen bis ein Antrag bearbeitet ist.
Das Tagesmütternetz kritisiert – vor allem zu Beginn der Pandemie – eine lange Bearbeitungsdauer: „Es hat bis zu einem halben Jahr gedauert, bis wir das Geld bekommen hatten. Das musst du dir erst mal leisten können“, berichtet Struppek. „Unsere Ausgaben für Strom, Versicherung, Steuer, Kranken- und Rentenversicherung laufen ja trotzdem weiter.“Die Leiterin des Jugendamts räumt ein: „Das war eine besondere Situation.“
Grundsätzlich wünschen sich die Vertreterinnen des Tagesmütternetzes eine bessere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt. Sie bemängeln einen zähen Informationsfluss beispielsweise hinsichtlich finanzieller Förderungen durch das Land, Unterstützung bei der Vernetzung der Tagespflegeeltern, weniger bürokratische Hürden sowie ein Vertretungsmodell im Krankheitsfall.
Kritik, die der Landkreis nicht auf sich sitzen lässt: „Es finden regelmäßig freiwillige Angebote für die Kindertagespflegepersonen statt. Im Rahmen dieser können sie sich miteinander austauschen und vernetzen.“Den Kindertageseltern stünden zudem sieben Tagespflegefachstellen zur Verfügung, die diese und die Eltern der Kinder beraten und unterstützen.
„Alle notwendigen Informationen werden unmittelbar nach deren Veröffentlichung und Prüfung der Relevanz an die Kindertagespflegepersonen weitergeleitet“, heißt es aus dem Jugendamt. Zudem würden die Tagesmütter und -väter regelmäßig vom Landesverband, dem Kommunalverband für Jugend und Soziales und anderen bekannten Anbietern regelmäßig informiert.
Was eine Krankheitsvertretung angeht, arbeite der Bodenseekreis an einem Tandem-Modell, berichtet Schilling. „Wir haben erfasst, wer seine Pflegeerlaubnis nicht voll ausschöpft und wo es bereits Regelungen gibt.“Im nächsten Schritt werde man das Gespräch suchen, wo eine Vertretung im gegenseitigen Austausch möglich und gewünscht sei.
Allen Beteiligten ist klar, wie wertvoll die Arbeit der Tageseltern ist. „Wir machen unsere Arbeit gerne und sie ist wunderschön“, betont Petra Becker-Baldauf. „Dennoch haben wir den Eindruck, mit unserem
Herzblut wird gerechnet.“Vor allem in der Pandemie fühlten sich die Tagesmütter im Stich gelassen.
„Niemand hat sich über bestehende Regelungen schlau gemacht“, klagt Dolores Dutschke, die den Beruf der Tagesmutter heuer nach 18 Jahren an den Nagel gehängt hat. „Wenn man Fragen hatte, kam in erster Linie der Verweis auf unsere Selbstständigkeit verbunden mit der Aussage, wir müssten uns selbst informieren. Da ist viel kaputt gegangen.“
Jugendamtsleiterin Schilling ist nicht bekannt, dass Tagesmütter aufgrund von ungünstigen Rahmenbedingungen aufhören. Allerdings nehme man die Hinweise ernst: „Wir nehmen wahr, dass Betreuungsplätze fehlen. Das Jugendamt ist im Hintergrund tätig, erarbeitet Möglichkeiten und prüft rechtliche Rahmenbedingungen.“
Im Landratsamt ist man sich sicher: Aufgrund von nicht stimmenden Rahmenbedingungen hätten nicht vermehrt Tagesmütter und -väter ihre Tätigkeit beendet. „Es gab vereinzelt Kindertagespflegepersonen, die wieder in ihren ursprünglichen Beruf zurückgekehrt sind“, erklärt Schilling. „Denn die Pandemie hat bei vielen Menschen zur Verunsicherung geführt – insbesondere bei Tätigkeiten, die selbstständig ausgeführt werden.“Gleichzeitig sei der Fachkräftemangel auch im Bereich der Kindertagespflege spürbar.