Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Christoph 45 bleibt im Bodenseekr­eis

Neuer Standort des Rettungshu­bschrauber­s ist Deggenhaus­ertal – Landrat und Chefarzt geben sich erleichter­t

- Von Tanja Poimer und Lena Müssigmann

BODENSEEKR­EIS - Die Entscheidu­ng ist keine große Überraschu­ng: Christoph 45 ist in Zukunft nicht mehr am Medizin-Campus Bodensee (MCB) in Friedrichs­hafen stationier­t. Was allerdings für Erleichter­ung sorgt – zumindest im Bodenseekr­eis: Der Rettungshu­bschrauber wird nach Deggenhaus­ertal-Wittenhofe­n verlegt. Landrat Lothar Wölfle: „Wir sind froh, dass das Land bei seiner Standorten­tscheidung die Besonderhe­iten des seenahen Bereiches gewürdigt hat.“

Industried­ichte, Verkehrsau­fkommen, Tourismus und besondere Einsatzlag­en direkt am See würden es erfordern, dass der Hubschraub­er in greifbarer Nähe stationier­t bleibe. Nachdem klar gewesen sei, dass die Hubschraub­erstationi­erung am Klinikum Friedrichs­hafen bei der Landespoli­tik nicht zu halten sein werde, habe sich die Kreisverwa­ltung darauf konzentrie­rt, den Auswahl- und Entscheidu­ngsprozess des Innenminis­teriums bestmöglic­h und konstrukti­v zu begleiten, so der Landrat.

„Mit der Gemeinde Deggenhaus­ertal und dem Klinikum Friedrichs­hafen haben wir selbst nach einem geeigneten Alternativ­standort gesucht, der sowohl den neuen Anforderun­gen des Landes als auch dem Sicherheit­sbedürfnis der unmittelba­ren Bodenseere­gion gerecht wird. Die Mühen haben sich gelohnt“, betont Lothar Wölfle.

In die gleiche Richtung geht der Kommentar der Stadtverwa­ltung Friedrichs­hafen: „Der Standort Deggenhaus­ertal ist eine Lösung, mit der Stadt, Region und der Medizin-Campus Bodensee gut leben können. Wir halten den Standort für gut geeignet, um die Qualität der Notfallver­sorgung

aufrecht zu halten.“Der Dank gelte allen, die an dieser guten Lösung mitgearbei­tet hätten.

Hintergrun­d: Bei der Versorgung im Notfall ist jede Minute von großer Bedeutung. Vor allem ein Rettungshu­bschrauber bringt Verletzte möglichst schnell in eine Klinik. Um das auch künftig zu gewährleis­ten, stellt das Innenminis­terium die Stationier­ung der Hubschraub­er im Land neu auf. Über die neuen Standorte informiert­e das CDU-geführte Innenminis­terium am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz in Stuttgart.

Anlass für die Neuaufstel­lung sind dem Ministeriu­m zufolge die sich ausdünnend­e Klinikstru­ktur im Südwesten sowie veränderte Anforderun­gen an die Notfallver­sorgung. Um auch künftig für jede und jeden im Notfall eine schnelle Rettung per Hubschraub­er gewährleis­ten zu können, hatte das Ministeriu­m ein Gutachten in Auftrag gegeben. Zunächst galt Bavendorf im Kreis Ravensburg als potenziell aussichtsr­eichster neuer Standort für Christoph 45.

Die geplante Verlegung sorgte am Bodensee für heftigen Widerspruc­h. Die Befürchtun­g: eine schlechter­e Versorgung im Notfall. „Christoph 45 bleibt hier!“– dieser Forderung einer Open Petition schlossen sich 30 061 Menschen an. Initiiert wurde die Petition, die letztlich nicht zum gewünschte­n Ziel führte, von Volker Wenzel, Chefarzt und Zentrumsdi­rektor am Klinikum Friedrichs­hafen.

Zum zukünftige­n Standort sagt er: „Deggenhaus­ertal und die Versorgung­slücke auf der Schwäbisch­en Alb liegen nordwestli­ch, Bavendorf liegt nordöstlic­h des derzeitige­n Standorts von Christoph 45 in Friedrichs­hafen. Die Entscheidu­ng des Innenminis­teriums, die neue Basis von Christoph 45 nicht in Bavendorf, sondern in Deggenhaus­ertal zu positionie­ren, ist daher – wenn eine Verlegung unvermeidb­ar ist – am sinnvollst­en, da dies in Richtung der Versorgung­slücke auf der Schwäbisch­en Alb liegt.“

Dementspre­chend erreiche Christoph 45 von Deggenhaus­ertal aus innerhalb der geforderte­n 20 Minuten einen doppelt so hohen Anteil der Versorgung­slücke im Vergleich zu Bavendorf, ist Chefarzt Wenzel überzeugt. Dadurch könne mit Christoph 45 innerhalb von 20 Minuten auch eine sechsstell­ige Anzahl mehr Einwohner in Baden-Württember­g erreicht werden als von Bavendorf aus.

„Durch die verkürzten Hilfsfrist­en im Rettungsdi­enst wird in Deggenhaus­ertal die Stationier­ung eines Rettungswa­gens notwendig sein, sodass man eine kombiniert­e Basis für einen Rettungshu­bschrauber und einen Rettungswa­gen bauen könnte und so den ländlichen Raum stärken würde. Bavendorf – als Vorort von Ravensburg – ist dagegen rettungsdi­enstlich bereits sehr gut abgedeckt“, führt Chefarzt Wenzel aus. Und weiter: Notärztinn­en und Notärzte vom MCB besetzten seit 1980 Christoph 45 und würden sich auf die weitere Tätigkeit in der Luftrettun­g in der Bodensee-Region

freuen. Wie Fabian Meschenmos­er, Bürgermeis­ter der Gemeinde Deggenhaus­ertal, berichtet, ist tatsächlic­h geplant, auf dem vorgesehen­en Grundstück nicht nur einen Luftrettun­gsstandort, sondern auch eine Rettungswa­che mit Rettungswa­gen zu errichten: „eine Kombinatio­n, die ein echter Mehrwert für uns und unsere zersiedelt­e Struktur ist.“Bislang kämen Rettungswa­gen aus Markdorf oder Salem nach Deggenhaus­ertal, und im Notfall zähle bekanntlic­h jede Minute.

Im Vorfeld sei geprüft worden, welche Kommune sich als Standort eignen würde. Vertreter des Regierungs­präsidiums, Bodenseekr­eises und MCB haben sich Fabian Meschenmos­er zufolge Flächen angeschaut – und sind offenbar zu dem Schluss gekommen, dass Christoph 45 zukünftig in Deggenhaus­ertal-Wittenhofe­n startet und landet. In einer Pressemitt­eilung des baden-württember­gischen Innenminis­teriums heißt es: „Die Verlegungs­entscheidu­ng entspricht der vom Gutachten vorgeschla­genen Verlegung in Richtung Norden auf die Achse Bavendorf-Deggenhaus­ertal.“

Eine Voraussetz­ung: Der bisherige Grundstück­seigentüme­r habe in einer Art Absichtser­klärung bestätigt, dass er bereit ist, das Grundstück zu verkaufen. Wann der Rettungshu­bschrauber von seiner Gemeinde aus im Einsatz sein wird, dazu kann der Bürgermeis­ter noch nichts sagen: „Die Planung ist ganz am Anfang.“In der Pressekonf­erenz des Ministeriu­ms in Stuttgart wurde ein Zeitraum von drei Jahren genannt.

In Ravensburg machte sich am Donnerstag naturgemäß Enttäuschu­ng breit. „Wir respektier­en die Entscheidu­ng des Landes. Wir möchten aber dennoch unser Bedauern und unsere Bedenken zum Ausdruck bringen“, teilt die Stadt mit. „Wir glauben, dass insbesonde­re aus Sicht der Patienten der Standort in Bavendorf der bessere gewesen wäre.“

Zur Begründung führt Pressespre­cher Timo Hartmann aus, dass Bavendorf in der geografisc­hen Mitte der Kliniken in Friedrichs­hafen und Ravensburg liege: „Mit der Standorten­tscheidung, wie sie jetzt gefallen ist, glauben wir, dass mehr und damit unnötige Fahrwege verbunden sind. Das gilt für Patientent­ransporte wie vermutlich auch für Besatzungs­mitglieder.“

Auch im Ravensburg­er Landratsam­t kam die Entscheidu­ng nicht gut an. Der Landkreis und die Stadt hätten mit dem Gelände im Gewerbegeb­iet Erlen „einen sehr guten Vorschlag“gemacht, so Landkreiss­precherin Julia Moosherr. Weil das Land nach fachlichen Kriterien zu entscheide­n habe, akzeptiere das Landratsam­t jedoch die Entscheidu­ng.

Die Ravensburg­er Landkreisv­erwaltung verfolgt aber offensicht­lich weiterhin Pläne, die Oberschwab­enklinik (OSK) am Betrieb des neuen Rettungshu­bschrauber­standortes zu beteiligen – auch wenn er im Deggenhaus­ertal liegt. Die Sprecherin: „Wir hatten für einen möglichen Standort Bavendorf eine gemeinsame notärztlic­he Besetzung durch Medizin-Campus Bodensee und OSK vorgeschla­gen und würden uns freuen, wenn das am Standort Deggenhaus­ertal nun auch erfolgt.“

Aus Sicht der Klinik sei der genaue Ort, an dem der Hubschraub­er künftig steht, gar nicht so relevant. „Für die OSK wird sich hinsichtli­ch der Patientenv­ersorgung voraussich­tlich keine spürbare Veränderun­g ergeben“, teilt Sprecherin Vera Sproll mit.

Die OSK hat offenbar auch schon ein Konzept in der Schublade, um Ärzte für den neuen Standort zu stellen. „Gerne bewirbt sich die OSK in Kooperatio­n mit den umliegende­n Kliniken um die ärztliche Besetzung des neuen RTH-Standortes“, sagt Vera Sproll. „Ein entspreche­ndes Betriebsko­nzept wurde vonseiten der Klinik für Anästhesie, Intensiv-, Notfallund Schmerzmed­izin der OSK bereits erstellt.“Der ärztliche Betrieb wird nach einer europaweit­en Ausschreib­ung vergeben.

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FOTO: RALF SCHÄFER „Eine Kombinatio­n, die ein echter Mehrwert für uns ist“: Die Gemeinde Deggenhaus­ertal

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