Schwäbische Zeitung (Tettnang)
US-Inflation als Paukenschlag
Teuerungsrate entpuppt sich als ein entscheidender Indikator für die Finanzmärkte
Das war schon ein Paukenschlag, den die Teuerungsrate in den USA da gesetzt hat. Als vergangene Woche gemeldet wurde, dass die US-Inflation im Oktober von 8,2 auf 7,7 Prozent, deutlicher als erwartet, gefallen war, schlug diese Nachricht hohe Wellen in allen Anlageklassen. In einer fulminanten Erholungsbewegung übersprang der Deutsche Aktienindex Dax locker die 14 000-Punkte-Hürde, wobei insbesondere die in diesem Jahr arg gebeutelten Technologieund Wachstumswerte die reinsten Freudensprünge machten. Dass die Inflation derart schnell binnen Monatsfrist sinken würde, hatten wohl die wenigsten Anleger auf der Rechnung.
„Insbesondere die im Vergleich zu den Vormonaten geringer ausgefallene Kerninflation bekräftigt uns in der Einschätzung, dass die US-Notenbank Fed auf ihrer nächsten Sitzung im Dezember ihr Zielband für den Tagesgeldsatz nur noch um 50 Basispunkte anheben wird,“sagt dazu Frank Schallenberger, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Mit Kerninflation meint er die Preise abzüglich Nahrungsmittel, Energie und Transportdienstleistungen. Bisher hatte es in den USA immerhin vier kräftige Anhebungen in Höhe von jeweils 75 Basispunkten, also 0,75 Prozent, in Folge gegeben. Auch Fed-Chef Jerome Powell hatte vor Kurzem die Möglichkeit einer vorsichtigeren Straffung der Geldpolitik ins Spiel gebracht. Kein Wunder also, dass die Aktienmärkte nun als Reaktion auf die niedrigere Inflation stark nach oben tendierten. Im Gegenzug ermäßigten sich die Anleiherenditen. So rentieren derzeit zehnjährige US-Bonds mit rund 3,76 Prozent, für deutsche Bundesanleihen gibt’s noch gut 2,0 Prozent.
Die Erleichterung der Investoren nach der Veröffentlichung der USInflationsdaten zeigt vor allem eines: Die Entwicklung der Verbraucherpreise und die Reaktion der Notenbanker hierauf gelten als das bestimmende Thema an den Finanzmärkten, die auch Privatanleger weiterhin im Auge behalten sollten. Und sollte die Fed weniger restriktiv werden und die Leitzinsen im Dezember weniger stark anheben, dann könnten auch Rezessionsängste nachlassen, zumindest in den USA. Unterstützend kam dort hinzu, dass die für die Inflation als Frühindikator geltenden Erzeugerpreise ebenfalls weniger stark gestiegen sind. Diese Entwicklung trägt dazu bei, dass die schwelenden Zinssorgen dies- und jenseits des Atlantiks gelindert werden. „So weit, so positiv“, heißt es beim Research der LBBW. Die Frage ist nun, wie nachhaltig die beeindruckende Aufwärtsbewegung der Aktienmärkte sein wird.
Denn der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht vorüber, bewegt sie sich doch nach wie vor auf einem hohen Niveau, sodass die Leitzinsen, wenn auch vielleicht etwas langsamer, weiter steigen werden – inklusive der Risiken für Konjunktur und Unternehmensgewinne. Für Deutschland und den Euroraum ist denn eine Rezession nach Einschätzung der LBBW nicht mehr zu vermeiden. Daher stünden die Unternehmensgewinne, die im dritten Quartal noch ganz gut ausgefallen waren, vor größeren Abwärtsrevisionen. Was also sollen Privatanleger in einer solchen Situation tun? Üblicherweise nehmen die Aktienmärkte die Tiefs in der Konjunktur vorweg, was aber wohl noch eine Zeitlang dauern mag, bis der Abschwung der Gewinne in Gang kommen wird. „Erst wenn die Gewinne markant nach unten korrigiert haben, dürfte auch der Aktienmarkt ein zyklisches Tief ausbilden“, sagt dazu LBBW-Analyst Frank Klumpp. Bis Jahresende sollten die Aktienmärkte stabil bleiben. Neue Tiefs seien aber wieder im neuen Jahr zu erwarten, sodass sich die laufende Erholungsbewegung seit Anfang Oktober einmal mehr als Bärenmarktrally entpuppen dürfte. Warum das so ist? Unter anderem weil ein echter Ausverkauf noch nicht erfolgt und eine Korrektur nach unten nicht abgeschlossen ist. Insbesondere US-Aktien gelten nach wie vor nicht als günstig bewertet. Erst wenn die Abwärtsbewegung eingesetzt hat und die Notenbanken ein Ende des restriktiven Kurses avisieren, kann laut Analysten für Aktien Entwarnung gegeben werden. Denn Aktienmarkttiefs erfolgten laut LBBW historisch erst nach den ersten Zinssenkungen. Dann aber könnte der Zeitpunkt gekommen sein, an dem sich der Einstieg in den Aktienmarkt wieder anbietet.