Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Hebammenma­ngel ist auch am See ein Problem

Drei Hebammen berichten über hohe Arbeitsbel­astung und weinende Schwangere am Telefon

- Von Silja Meyer-Zurwelle

BODENSEEKR­EIS/KREIS LINDAU Der erste Schrei hallt durch den Kreißsaal. Es ist das erste Mal, dass die Eltern ihr Kind im Arm halten: Die Geburt eines neuen kleinen Menschen ist wohl unbestritt­en etwas ganz Besonderes. Damit sie sicher ablaufen kann, ist eine Hebamme unverzicht­bar. Doch der Beruf hat einen schweren Stand. Eine hohe Arbeitsbel­astung steht im Kontrast zu schlechter Bezahlung. Hinzu kommt die Schließung von vielen Kreißsälen. Das hat Auswirkung­en auf werdende Mütter, die nicht selten noch vor dem ersten Arztbesuch auf Hebammensu­che gehen müssen, um ihre Versorgung zu sichern.

165,60 Euro bekommt eine Hebamme nach dem Vergütungs­verzeichni­s pauschal für eine Geburt. „Wenn diese länger als eine Stunde dauert, dann bekommen wir im Halbstunde­ntakt noch mal 20 Euro obendrauf. Das heißt, wenn die Geburt zum Beispiel acht Stunden insgesamt dauert, dann haben wir 320 Euro verdient plus die 165,60 Euro Geburtspau­schale – also insgesamt knappe 500 Euro. Allerdings reden wir hier natürlich von Bruttoprei­sen“, sagt Melanie KolbEmbach­er, die als freiberufl­iche Hebamme an der Asklepios Klinik in Lindau arbeitet. Das bedeutet, dass sie an einen festen Dienstplan gebunden ist, die Dienste jedoch direkt mit den Krankenkas­sen und nicht mit dem Krankenhau­s abrechnet.

„Der Bezahlung gegenüber stehen Dienste, auch am Wochenende oder nachts, mit viel Verantwort­ung für Mutter und Kind und mit teilweise hoher Arbeitsbel­astung. Gerade in großen Kliniken ist die Betreuung von zwei oder mehr Frauen gleichzeit­ig keine Seltenheit“, fügt sie an.

Auch was alles an Ausgaben für eine Hebamme anfällt, rechnet Melanie Kolb-Embacher vor. „Im Jahr zahlen wir momentan 11 500 Euro an Haftpflich­tversicher­ung. Durch einen seit vier Jahren bestehende­n Sicherstel­lungszusch­lag bekommen wir vom Staat im Nachhinein knappe 50 Prozent davon zurückerst­attet. Dann sind es also noch knapp 6000 Euro, die wir selbst bestreiten müssen“, schildert sie.

Obendrauf kämen noch jede Menge kleine Beträge, fügt die Hebamme an. „Man kann nämlich nur mit den Krankenkas­sen abrechnen, wenn man auf einer entspreche­nden Abrechnung­sliste steht. Dafür ist es dann sinnvoll, Mitglied im Hebammenve­rband zu sein – für 400 Euro im Jahr. Und dafür müssen wir uns dann wiederum bei der Berufsgeno­ssenschaft melden, für knapp 200 Euro im Jahr. Erst dann darf man anfangen, Geld zu verdienen“, sagt sie.

Warum es so einen Fachkräfte­mangel in der Branche gibt, fasst Melanie Kolb-Embachers Kollegin Kerstin Aach-Keller zusammen. Sie ist ebenfalls freiberufl­iche Hebamme, arbeitet jedoch nicht am Krankenhau­s in Schichten, sondern in einer eigenen Praxis in Wasserburg im Bereich der Vor- und Nachsorge sowie in Geburtsvor­bereitungs­kursen. „Ich glaube, zu 95 Prozent ist es eine Frage des Geldes. Die Summen, die man für Haftpflich­t-, Renten- und Krankenver­sicherung ausgeben muss, aber auch für Miete, wenn man wie ich

Praxisräum­e hat, muss man erst einmal wieder erwirtscha­ften. Und wenn man sich dann unsere Gebührenve­rordnung anschaut, dann muss man sehr viel arbeiten, um irgendwie bei einem Plus herauszuko­mmen“, sagt sie. „Ungefähr die ersten zehn Geburten, die ich im Jahr begleite, decken meine Kosten für Haftpflich­tversicher­ung und Mitgliedsb­eiträge. Danach fange ich an, Geld zu verdienen. Davon müssen dann natürlich wieder Kranken- und Rentenvers­icherungen abgezogen werden“, erläutert Melanie Kolb-Embacher.

Auch für Hebammen in der Wochenbett­betreuung ist das Geld-Verdienen ihr zufolge schwierig. Ein Wochenbett­besuch dauere laut Krankenkas­se 20 Minuten – und so werde er auch bezahlt. „Die Realität sieht oft anders aus und so dauern die ersten Besuche nach der Geburt meistens länger als eine Stunde. Hinzu kommen teils lange Anfahrtswe­ge und hohe Benzinprei­se“, berichtet Kolb-Embacher.

Dass der aus den Arbeitsbed­ingungen resultiere­nde Hebammenma­ngel zu einem ganz realen Problem für Schwangere werden kann, hat die Lindauerin Hannah Böttcher am eigenen Leib erfahren. „Ich war in der achten Woche, als beim Gynäkologe­n die Schwangers­chaft festgestel­lt wurde. Ich bekam dann eine Liste mit möglichen Hebammen mit nach Hause und habe anderthalb Wochen später – also in der zehnten Woche – angefangen, diese abzutelefo­nieren“, schildert sie. Doch keine hätte einen Platz für sie gehabt. Böttcher arbeitet selbst als Kinderkran­kenschwest­er auf einer Frühchenst­ation. „Ich habe also durchaus Berührungs­punkte mit diesem Berufsfeld, aber dass der Hebammenma­ngel so krass ist, das hätte ich nicht gedacht. Ich war etwas geschockt, um ehrlich zu sein“, sagt sie. Hannah Böttcher hatte schlussend­lich Glück und fand über den Geburtsvor­bereitungs­kurs in Kerstin Aach-Keller die eine Hebamme, die sie noch dazwischen­schieben konnte. „Aber ich weiß auch von anderen, dass die Suche für sie ähnlich problemati­sch war“, sagt sie.

Die Langenarge­ner Hebamme Anne Buckenhofe­r kennt diese Thematik aus ihrer Berufsprax­is in der Tettnanger Klinik und in der Vor- und Nachsorge nur zu gut. „Letztens rief mich eine Frau an, dass sie und ihr Mann das zweite Kind planen und fragte, wann ich im Urlaub sein werde, um sich danach zu richten“, berichtet sie aus ihrem Alltag. Für Buckenhofe­r ist klar: „Jede Frau hat das Recht auf Betreuung. Und wir wünschen uns sehr, dass jede Frau so viel Betreuung bekommt, wie sie braucht. Doch die Politik schließt immer mehr Häuser und die Bezahlung der Hebammen ist schlecht – das befeuert die Unterverso­rgung enorm.“

Dabei könne die Betreuung durch eine Hebamme im Wochenbett so wertvoll sein, ergänzt Melanie KolbEmbach­er. Rückbildun­g bei der Mama, Stillen, Gewichtszu­nahme beim Baby oder die Neugeboren­engelbsuch­t sind nur einige Themen, derer sich die Hebamme annimmt. „Wer keine Hebamme gefunden hat, ,wurstelt’ sich selbst durch oder geht zum Kinderarzt. Deren Praxen sind aufgrund des Hebammenma­ngels oft überlastet. Außerdem könnten viele Schwierigk­eiten bei frühzeitig­em Erkennen meist einfach behoben werden und vor allem, ohne bleibende Schäden bei Mutter oder Kind“, erklärt Melanie Kolb-Embacher.

Zu Anne Buckenhofe­r und ihren zwölf Kolleginne­n in Tettnang kommen die Schwangere­n mittlerwei­le aus Biberach, Konstanz, Waldsee, Singen und Überlingen. Trotz der ständigen Überlastun­g sei es in diesem Beruf schwierig Nein zu sagen, „wenn man eine weinende Schwangere am Telefon hat“, sagt sie.

Auch Kerstin Aach-Keller kennt diese Anfragen. „Viele Frauen melden sich sehr früh bei mir. Manchmal schon vor dem ersten Praxisbesu­ch beim Gynäkologe­n“, berichtet sie. Bis zu sechs Frauen nimmt die freiberufl­iche Hebamme pro Monat an.

„Ich frage mich immer, warum man mit dem Beginn des Lebens so stiefmütte­rlich umgeht“, sagt Anne Buckenhofe­r in Richtung der Politik. Nicht ohne Grund: Denn immer wieder gibt es große Diskussion­en um den Umgang mit dem HebammenBe­ruf in Deutschlan­d. Gerade erst sorgte Gesundheit­sminister Karl Lauterbach mit dem Plan, die Hebammen bis 2025 aus dem Pflegebonu­s zu streichen, für Aufruhr. Eine Petition und 1,4 Millionen Unterschri­ften später nahm er dieses Ansinnen der Ampelkoali­tion zurück.

Anne Buckenhofe­r hat im August dieses Jahres ihr 40-jähriges Dienstjahr feiern können. Die 59-Jährige äußerte bereits mit zwölf Jahren den Wunsch, Hebamme zu werden. „Ich sehe es bis heute als unwahrsche­inliches Geschenk an, Geburten zu begleiten“, sagt sie. Dass sie trotz der schwierige­n Arbeitsbed­ingungen bis heute nichts an Leidenscha­ft für ihren Beruf verloren hat, wird sehr deutlich, wenn sie beschreibt, was es dafür braucht: „Ganz viel Liebe, Wissen, Empathie, keine Angst und wahnsinnig viel Respekt.“Auch Kerstin AachKeller sagt, es sei eben „die Arbeit, die ihr wirklich Spaß mache. Die Frauen in dieser besonderen Zeit zu begleiten und die Wertschätz­ung, das ist einfach wundervoll.“Melanie KolbEmbach­er ergänzt: „Wenn man Sonntagmor­gen um halb drei todmüde im Kreißsaal steht, aber eben neben der Frau, die gerade ihr Baby geboren hat, dann ist es alle Mühe wert.“Der Job

„Ich frage mich immer, warum man mit dem Beginn des Lebens so stiefmütte­rlich umgeht.“Hebamme Anne Buckenhofe­r

werde nicht langweilig, sind sich alle einig, und Kerstin Aach-Keller meint abschließe­nd: „Es ist immer wieder ein Wunder.“

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FOTOS: HOLGER HOLLEMANN/DPA/PRIVAT Melanie Kolb-Embacher, Kerstin Aach-Keller und Anne Buckenhofe­r (kleine Bilder, von links) sind alle drei Hebammen am Bodensee.
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FOTO: PRIVAT Wie schwierig es sein kann, eine Hebamme zu finden, hat die Lindauerin Hannah Böttcher selbst erfahren müssen.

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