Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Es hat plötzlich wumms gemacht“

69-Jähriger steht wegen Brandstift­ung und versuchten Mordes vor Gericht

- Von Sieg fried Großkopf

FRIEDRICHS­HAFEN - Ein 69-Jähriger soll in der Nacht zum 19. Mai in Friedrichs­hafen in einem von ihm und seiner Vermieteri­n bewohnten Haus an mehreren Stellen Feuer gelegt und den Tod der Frau in Kauf genommen haben; möglicherw­eise wegen einer bei ihm bestehende­n paranoiden Schizophre­nie im Zustand der Schuldunfä­higkeit. Seit gestern sitzt er vor der 1. Strafkamme­r des Landgerich­ts Ravensburg in einem Sicherungs­verfahren wegen des Verdachts des versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstift­ung auf der Anklageban­k. Die Frau wurde nur leicht verletzt.

Seit einem halben Jahr befindet sich der Rentner zur Behandlung im Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Weissenau. Wie schon über 30 Mal in den Jahren zuvor. Das erste Mal im Alter von 21 Jahren. Es gehe ihm gut, sagt er. Nicht zuletzt, weil er dort seine Medikament­e zu sich nehme, was draußen „nicht klappe“. Der Angeklagte hält sich für nicht belastungs­fähig, sensibel und bezeichnet Vorwürfe an seine Adresse als Lügen.

„Das stimmt alles nicht“, unterbrich­t er mehrmals Oberstaats­anwältin Christine Weiss, als sie die Anklage verliest und den 69-Jährigen als für die Allgemeinh­eit gefährlich bezeichnet. Dem sei der mögliche Tod der Frau gleichgült­ig gewesen, wirft sie ihm vor. Nach drei Stunden des Verhandeln­s bittet der Angeklagte die Kammer um ein Ende des ersten Verhandlun­gstages: „Ich halte das alles nicht mehr aus, mir geht es nicht gut.“Dem Sachverstä­ndigen des ZfP bedeutet er: „Ich habe alles Wesentlich­e gesagt.“Er hält dann doch noch durch.

Gegen Mitternach­t hatte eine Anwohnerin Flammen in dem Einfamilie­nhaus wahrgenomm­en und Polizei und Feuerwehr gerufen. Zunächst hatten die Beamten versucht, den Brand mit Feuerlösch­en unter Kontrolle zu bringen. Das ist der Feuerwehr dann gelungen. Mit Atemschutz­geräten waren sie ins vermüllte Haus eingedrung­en. Die noch im Gebäude befindlich­e Eigentümer­in konnte mit einer Rauchgasve­rgiftung leicht verletzt, aber widerwilli­g aus dem Haus gerettet werden. Der

Angeklagte, der dort ein Zimmer gemietet hatte, war mittlerwei­le im „Adamskostü­m“geflüchtet. „Ich habe Todesangst gehabt“, berichtet er. Auf der Suche nach ihm fand die Polizei auf der Straße dessen verkohltes T-Shirt. Der Brandschad­en am Haus wurde auf 90 000 Euro geschätzt.

Unterschie­dlich fallen seine Angaben aus, wie es zu dem brennenden Haus gekommen sein könnte. Zunächst habe er geglaubt, es sei ein Brandansch­lag von draußen gewesen. Schließlic­h seien in dem Haus ständig Jugendlich­e ein- und ausgegange­n und an seinem Bett vorbeigela­ufen. Die Tür zur Terrasse habe immer offen gestanden. Das Haus in Brand zu setzen „konnte jeder gewesen sein“, sagt er. Plötzlich habe es „wumms“gemacht.

Dann räumt er ein: „Ich hab‘ schon was gemacht“. Er habe sich nämlich – als er schon im Schlafsack lag – eine Zigarette angezündet. Selbstgedr­eht. Tabak, Blättchen und ein Feuerzeug – um etwas zu sehen – habe er mit ins Bett genommen. Obwohl das Rauchen im Haus verboten war und er dazu eigentlich nachts aufs Dixi-Klo gehe.

Schließlic­h berichtete er von einem „Kamerad“als möglichen Brandstift­er. Der sei auf dem Fahrrad weggefahre­n. Dessen Namen wollte er nicht nennen. Er selbst habe „Glück gehabt“, dass er das Zimmer unverletzt habe verlassen können. Immerhin lagen dort Kleidungss­tücke, Müll und Papier herum. Bevor er das brennende Haus hinter sich lassen konnte, habe plötzlich die Vermieteri­n im Türrahmen gestanden.

Seine Kindheit sei gut gewesen, sagte der 69-Jährige eingangs. Er machte Abitur, begann als Zeitsoldat bei der Bundeswehr, habe das aber „nicht ausgehalte­n“. Er verließ das Soldatenda­sein vorzeitig, arbeitete vier Monate in der Landwirtsc­haft, begann ein Studium, das er abbrach und wurde Ingenieur. Seit langen Jahren ist er verrentet. Alkohol habe immer eine Rolle gespielt, Bier und Wein konsumiere er regelmäßig. Drogen habe er auch mal genommen, in letzter Zeit aber nicht mehr. Er berichtet, mehrmals im Jahr von Burnout betroffen zu sein.

Der Prozess in Ravensburg wird fortgesetz­t.

 ?? FOTO: ANNETTE RÖSLER ?? Freuen sich über warme Winterschu­he für Kinderfüße: Die aus der Ukraine geflüchtet­en Mütter Hanna Hrebeniuk und Alla Kovalchuk (links und rechts) zusammen mit ihren Kindern (vorne) und mit Händlerin Elisabeth Aich (Mitte hinten).
FOTO: ANNETTE RÖSLER Freuen sich über warme Winterschu­he für Kinderfüße: Die aus der Ukraine geflüchtet­en Mütter Hanna Hrebeniuk und Alla Kovalchuk (links und rechts) zusammen mit ihren Kindern (vorne) und mit Händlerin Elisabeth Aich (Mitte hinten).
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FOTO: PETER STEFFEN/DPA Der mutmaßlich­e Brandstift­er befand sich schon über 30 Mal in psychiatri­scher Behandlung.

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