Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Erst Spektakel, dann Ernüchterung
Fußball-WM startet mit pompöser Eröffnungsfeier – Gastgeber Katar verliert zum Auftakt gegen Ecuador
AL-CHAUR - Wie oft regnet es in Katar? Gute Frage. Nie? Stimmt nicht ganz. In der Hauptstadt Doha sind es lediglich 0,4 Tage pro Monat. Warum dieser Fakt? Weil das neu erbaute Stadion Al Bayt in Al-Chaur, eröffnet 2020, am Sonntagabend Schauplatz des WM-Eröffnungsspiels zwischen dem umstrittenen Gastgeber Katar und Ecuador, das einzige der acht WM-Stadien mit einem verschließbaren Dach ist.
Selbiges flog ob der deutlichen Überlegenheit der Südamerikaner stimmungsmäßig nicht wirklich weg, dennoch war die Atmosphäre teilweise laut, immer bunt und recht fröhlich – mal abgesehen vom 2:0-Endstand für den 44. der FIFA-Weltrangliste gegen das nur sechs Plätze schlechter gelistete Katar durch die Tore von Enner Valencia (16./Elfmeter und 31.). Die Katar-Fans unter den 67.000 Zuschauern hatten mehr Freude an der pompösen Eröffnungsfeier samt Feuerwerk, der dem Nachthimmel über der Wüste kurz Tageslicht verpasste. Ab der 70. Minute verließen zahlreiche Zuschauer die Tribünen, es wurde immer leerer. 15 Minuten vor dem Ende war nur noch rund die Hälfte der Plätze besetzt – und zum Schluss war das Stadion Al-Bayt fast gänzlich verwaist. „So etwas habe ich noch nie gesehen – und das ist meine zehnte Weltmeisterschaft“, sagte Bela Rethy, der die Partie am Sonntag für das ZDF kommentierte.
Mit 30 Minuten war dem Spiel die längste Opening Show in der WM-Geschichte vorangegangen, als Mitwirkende alle Maskottchen der WM-Historie. Vom englischen Löwen Willie, dem ersten seiner Art aus dem Jahr 1966, über Tip und Tap (1974), dem Sommermärchen-Löwen Goleo von 2006 (immer noch ohne Hose) bis hin zum aktuellen Katar-Maskottchen, dem Fantasiewesen La’eeb – aus dem Arabischen am besten übersetzt mit „supertalentierter Spieler“.
Den haben die Katarer – bei allem Respekt – nicht wirklich in ihren Reihen. In der ersten Halbzeit hatte die Mannschaft des spanischen Trainers Félix Sánchez, seit 2017 im Amt, nur einen einzigen Ballkontakt im gegnerischen Strafraum. Nach 90 Minten die erste Niederlage eines Gastgebers in einem WM-Eröffnungsspiel überhaupt. „Wir haben gehofft, dass wir uns besser präsentieren können. Aber das Level war zu hoch“, sagte Katars Abwehrspieler Homam Ahmed. Auch Trainer Sánchez gab zu: „Ecuador war uns überall im ganzen Spiel überlegen.“
War aber auch zweitranging an diesem Abend, an dem sich die absolute Monarchie Katar mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern (davon nur rund zehn Prozent Staatsangehörige Katars, dazu kommen mehr als zehnmal so viele Arbeitsmigranten, meist aus Süd- und Südostasien) der Welt präsentieren durfte. Die erstmalige Vergabe einer WM in ein arabisches Land im Jahr 2010 wird seitdem von Korruptionsvorwürfen begleitet und steht wegen Menschenrechtsverletzungen der Arbeitsmigranten massiv in der Kritik.
Die Show mit vielen arabischen Elementen, 800 Tänzern sowie Statisten aus aller Welt und HollywoodFlair
dank US-Schauspieler Morgan Freeman, hielt, was man sich vom Gastgeber erwartet hatte. Junk Kook von der südkoreanischen Popgruppe BTS performte seinen Song Dreamers. Dagegen hatten europäische Stars wie Dua Lipa und Rod Stewart den Machern eine Absage erteilt.
Auffallend häufig fielen Begriffe wie Respekt, Toleranz oder Inklusion. Auch in den Einspielfilmchen, zu sehen auf zwei Leinwänden im klimatisierten (!) und optisch einem Beduinenzelt nachempfundenen Stadion, ging es um Kinderträume und den Zusammenhalt
der Welt. Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani, lautstark bejubelt, sprach zunächst auf Arabisch Begrüßungsworte und richtete um 17.09 Uhr Ortszeit ein „Welcome to the World“an die Fans. „Endlich ist der Tag da, auf den wir so lange gewartet haben.“Die FIFA und Katar hatten die Partie extra um einen Tag vorverlegt, damit der Gastgeber sich in einem klassischen Eröffnungsspiel der Weltöffentlichkeit präsentieren konnte
FIFA-Präsident Gianni Infantino, der zwischen dem Emir und SaudiArabiens Kronprinz Mohammed bin Salman saß, rief den Zuschauern erst unmittelbar vor Anpfiff zu: „Ein herzliches Willkommen an alle! Wir sind hier, um den Fußball zu feiern. Fußball verbindet die Welt. Lasst die Show beginnen!“
Da war Wolff Fuss (46), Kommentator für Magenta TV gerade auch eingetroffen. „Der Busfahrer kannte den Weg nicht“, sagte der Wahl-Münchner, der sei „fünf Kilometer in die falsche Richtung gefahren“.
Übrigens: Nach dem Turnier wird das Stadion, in dem die deutsche Mannschaft auf Spanien und Costa Rica trifft, auf 32.000 Plätze reduziert. Aber für wen? In der Qatar Stars League (zwölf Teams) verlieren sich meist nur höchstens 1000 Zuschauer auf den Tribünen.