Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Erst Spektakel, dann Ernüchteru­ng

Fußball-WM startet mit pompöser Eröffnungs­feier – Gastgeber Katar verliert zum Auftakt gegen Ecuador

- Von Patrick Strasser

AL-CHAUR - Wie oft regnet es in Katar? Gute Frage. Nie? Stimmt nicht ganz. In der Hauptstadt Doha sind es lediglich 0,4 Tage pro Monat. Warum dieser Fakt? Weil das neu erbaute Stadion Al Bayt in Al-Chaur, eröffnet 2020, am Sonntagabe­nd Schauplatz des WM-Eröffnungs­spiels zwischen dem umstritten­en Gastgeber Katar und Ecuador, das einzige der acht WM-Stadien mit einem verschließ­baren Dach ist.

Selbiges flog ob der deutlichen Überlegenh­eit der Südamerika­ner stimmungsm­äßig nicht wirklich weg, dennoch war die Atmosphäre teilweise laut, immer bunt und recht fröhlich – mal abgesehen vom 2:0-Endstand für den 44. der FIFA-Weltrangli­ste gegen das nur sechs Plätze schlechter gelistete Katar durch die Tore von Enner Valencia (16./Elfmeter und 31.). Die Katar-Fans unter den 67.000 Zuschauern hatten mehr Freude an der pompösen Eröffnungs­feier samt Feuerwerk, der dem Nachthimme­l über der Wüste kurz Tageslicht verpasste. Ab der 70. Minute verließen zahlreiche Zuschauer die Tribünen, es wurde immer leerer. 15 Minuten vor dem Ende war nur noch rund die Hälfte der Plätze besetzt – und zum Schluss war das Stadion Al-Bayt fast gänzlich verwaist. „So etwas habe ich noch nie gesehen – und das ist meine zehnte Weltmeiste­rschaft“, sagte Bela Rethy, der die Partie am Sonntag für das ZDF kommentier­te.

Mit 30 Minuten war dem Spiel die längste Opening Show in der WM-Geschichte vorangegan­gen, als Mitwirkend­e alle Maskottche­n der WM-Historie. Vom englischen Löwen Willie, dem ersten seiner Art aus dem Jahr 1966, über Tip und Tap (1974), dem Sommermärc­hen-Löwen Goleo von 2006 (immer noch ohne Hose) bis hin zum aktuellen Katar-Maskottche­n, dem Fantasiewe­sen La’eeb – aus dem Arabischen am besten übersetzt mit „supertalen­tierter Spieler“.

Den haben die Katarer – bei allem Respekt – nicht wirklich in ihren Reihen. In der ersten Halbzeit hatte die Mannschaft des spanischen Trainers Félix Sánchez, seit 2017 im Amt, nur einen einzigen Ballkontak­t im gegnerisch­en Strafraum. Nach 90 Minten die erste Niederlage eines Gastgebers in einem WM-Eröffnungs­spiel überhaupt. „Wir haben gehofft, dass wir uns besser präsentier­en können. Aber das Level war zu hoch“, sagte Katars Abwehrspie­ler Homam Ahmed. Auch Trainer Sánchez gab zu: „Ecuador war uns überall im ganzen Spiel überlegen.“

War aber auch zweitrangi­ng an diesem Abend, an dem sich die absolute Monarchie Katar mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern (davon nur rund zehn Prozent Staatsange­hörige Katars, dazu kommen mehr als zehnmal so viele Arbeitsmig­ranten, meist aus Süd- und Südostasie­n) der Welt präsentier­en durfte. Die erstmalige Vergabe einer WM in ein arabisches Land im Jahr 2010 wird seitdem von Korruption­svorwürfen begleitet und steht wegen Menschenre­chtsverlet­zungen der Arbeitsmig­ranten massiv in der Kritik.

Die Show mit vielen arabischen Elementen, 800 Tänzern sowie Statisten aus aller Welt und HollywoodF­lair

dank US-Schauspiel­er Morgan Freeman, hielt, was man sich vom Gastgeber erwartet hatte. Junk Kook von der südkoreani­schen Popgruppe BTS performte seinen Song Dreamers. Dagegen hatten europäisch­e Stars wie Dua Lipa und Rod Stewart den Machern eine Absage erteilt.

Auffallend häufig fielen Begriffe wie Respekt, Toleranz oder Inklusion. Auch in den Einspielfi­lmchen, zu sehen auf zwei Leinwänden im klimatisie­rten (!) und optisch einem Beduinenze­lt nachempfun­denen Stadion, ging es um Kinderträu­me und den Zusammenha­lt

der Welt. Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani, lautstark bejubelt, sprach zunächst auf Arabisch Begrüßungs­worte und richtete um 17.09 Uhr Ortszeit ein „Welcome to the World“an die Fans. „Endlich ist der Tag da, auf den wir so lange gewartet haben.“Die FIFA und Katar hatten die Partie extra um einen Tag vorverlegt, damit der Gastgeber sich in einem klassische­n Eröffnungs­spiel der Weltöffent­lichkeit präsentier­en konnte

FIFA-Präsident Gianni Infantino, der zwischen dem Emir und SaudiArabi­ens Kronprinz Mohammed bin Salman saß, rief den Zuschauern erst unmittelba­r vor Anpfiff zu: „Ein herzliches Willkommen an alle! Wir sind hier, um den Fußball zu feiern. Fußball verbindet die Welt. Lasst die Show beginnen!“

Da war Wolff Fuss (46), Kommentato­r für Magenta TV gerade auch eingetroff­en. „Der Busfahrer kannte den Weg nicht“, sagte der Wahl-Münchner, der sei „fünf Kilometer in die falsche Richtung gefahren“.

Übrigens: Nach dem Turnier wird das Stadion, in dem die deutsche Mannschaft auf Spanien und Costa Rica trifft, auf 32.000 Plätze reduziert. Aber für wen? In der Qatar Stars League (zwölf Teams) verlieren sich meist nur höchstens 1000 Zuschauer auf den Tribünen.

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FOTO: SERGEI BOBYLEV/IMAGO Mit einer spektakulä­ren Lichtersho­w und viel Feuerwerk wurde die WM in Katar eröffnet.
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FOTO: SERGEI BOBYLEV/IMAGO Die früheren WM-Maskottche­n hatten einen großen Auftritt.
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FOTO: ALBERTO ESTEVEZ/IMAGO Ecuador jubelt dank des Doppelpack­s von Enner Valencia (li.).
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