Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Junge Menschen in der Dauerkrise
Krieg, Schulden und Inflation verursachen Furcht vor dem Ende der Wohlstandsjahre
BERLIN - Krieg, Klimawandel, Corona – junge Menschen befinden sich einer aktuellen Studie zufolge „im Dauerkrisenmodus“. Die psychischen Abwehrkräfte seien bei vielen verbraucht, „und die Risikofaktoren mehren sich“, heißt es in der „Trendstudie Jugend in Deutschland“, die am Montag vorgestellt wurde. Eine ähnliche Entwicklung hatte im Sommer schon die Tui-Studie „Junges Europa 2022“beschrieben. Immerhin: Manche Erkenntnisse aus der nun veröffentlichten Untersuchung geben Grund zur Hoffnung – ein Überblick.
Zwei Drittel der für die Trendstudie befragten 14- bis 29-Jährigen machen sich wegen des Kriegs in der Ukraine besonders große Sorgen. Ein gutes Drittel befürchtet sogar, „direkt in den Krieg einbezogen zu werden“. Vor diesem Hintergrund sei „auffällig, wie abgewogen und vorsichtig politische Maßnahmen eingeschätzt werden“, schreiben die Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann.
Zwar befürwortet eine Mehrheit der Befragten Sanktionen gegen Russland und eine Aufnahme der Ukraine in die EU. Bei Militärausgaben sowie Waffenlieferungen „und erst recht bei allen Aktionen, die zu einer Kriegsbeteiligung Deutschlands führen könnten“, seien die Antworten aber „äußerst zurückhaltend“ausgefallen. Eine Zurückhaltung, die den Autoren auch bei der Frage nach der Bewältigung des Klimawandels auffiel. „Radikale Positionen“fänden auch bei diesem Thema „keine große Mehrheit in der jungen Generation“.
Mehr noch als wegen des Kriegs machen sich junge Menschen der Studie zufolge aber Sorgen wegen der Inflation (71 Prozent). Schnetzer und Hurrelmann sprechen sogar von einem von vielen gefühlten „Ende der Wohlstandsjahre“. „Ein großer Teil der jungen Menschen hat zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, dass er den Wohlstand der Elterngeneration nicht mehr erreichen können wird“, betonte Schnetzer bei der Vorstellung der Studie.
Es scheine, als werde „die junge Generation langsam lernen müssen, mit weniger finanziellen Ressourcen auszukommen und ihr Konsumverhalten anzupassen“, konstatieren die Autoren. Sie fordern deshalb, dass Finanzbildung künftig mehr in schulischen Lehrplänen berücksichtigt werden müsse, um Trends wie unreflektiertem Onlineshopping entgegenzuwirken und um junge Menschen „für eine eigenverantwortliche Altersvorsorge vorzubereiten“.
Ein dramatischer Wandel hat sich bei jungen Menschen offenbar bei den Erwartungen an den Beruf vollzogen. Gegenüber früheren Umfragen führen nicht mehr „Spaß“(jetzt 43 Prozent) und „das Erreichen von Zielen“(33 Prozent) die Rangliste an, sondern die Motivation, Geld zu verdienen (60 Prozent).
Auf Arbeitgeber komme damit ein Problem zu, schreiben Schnetzer und Hurrelmann. Die jungen Menschen wollten gut bezahlt werden, das komme zu „den steigenden Posten in sämtlichen Bereichen“noch hinzu. Doch eine gute Bezahlung sei eben nur das eine. Immer wichtiger werde es in Zeiten des Fachkräftemangels, „die jungen Mitarbeitenden im Team zu binden, um gegen Abwerbeangebote“geschützt zu sein.
Große Sorgen machen sich die Studienautoren um die zehn Prozent der Befragten, die eigenen Angaben zufolge Suizidgedanken hegen (plus drei Prozentpunkte gegenüber früheren Untersuchungen) und die 16 Prozent, die sich hilflos fühlen (ebenfalls plus drei).
Bei „der großen Mehrheit der Jungen“erkennen Schnetzer und Hurrelmann aber „ein robustes Maß an Optimismus“, mit dem sie den Krisen trotzen. „Die große Frage ist aber, wie nachhaltig diese persönliche Zufriedenheit ist.“