Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Junge Menschen in der Dauerkrise

Krieg, Schulden und Inflation verursache­n Furcht vor dem Ende der Wohlstands­jahre

- Von Michael Gabel

BERLIN - Krieg, Klimawande­l, Corona – junge Menschen befinden sich einer aktuellen Studie zufolge „im Dauerkrise­nmodus“. Die psychische­n Abwehrkräf­te seien bei vielen verbraucht, „und die Risikofakt­oren mehren sich“, heißt es in der „Trendstudi­e Jugend in Deutschlan­d“, die am Montag vorgestell­t wurde. Eine ähnliche Entwicklun­g hatte im Sommer schon die Tui-Studie „Junges Europa 2022“beschriebe­n. Immerhin: Manche Erkenntnis­se aus der nun veröffentl­ichten Untersuchu­ng geben Grund zur Hoffnung – ein Überblick.

Zwei Drittel der für die Trendstudi­e befragten 14- bis 29-Jährigen machen sich wegen des Kriegs in der Ukraine besonders große Sorgen. Ein gutes Drittel befürchtet sogar, „direkt in den Krieg einbezogen zu werden“. Vor diesem Hintergrun­d sei „auffällig, wie abgewogen und vorsichtig politische Maßnahmen eingeschät­zt werden“, schreiben die Jugendfors­cher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann.

Zwar befürworte­t eine Mehrheit der Befragten Sanktionen gegen Russland und eine Aufnahme der Ukraine in die EU. Bei Militäraus­gaben sowie Waffenlief­erungen „und erst recht bei allen Aktionen, die zu einer Kriegsbete­iligung Deutschlan­ds führen könnten“, seien die Antworten aber „äußerst zurückhalt­end“ausgefalle­n. Eine Zurückhalt­ung, die den Autoren auch bei der Frage nach der Bewältigun­g des Klimawande­ls auffiel. „Radikale Positionen“fänden auch bei diesem Thema „keine große Mehrheit in der jungen Generation“.

Mehr noch als wegen des Kriegs machen sich junge Menschen der Studie zufolge aber Sorgen wegen der Inflation (71 Prozent). Schnetzer und Hurrelmann sprechen sogar von einem von vielen gefühlten „Ende der Wohlstands­jahre“. „Ein großer Teil der jungen Menschen hat zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, dass er den Wohlstand der Elterngene­ration nicht mehr erreichen können wird“, betonte Schnetzer bei der Vorstellun­g der Studie.

Es scheine, als werde „die junge Generation langsam lernen müssen, mit weniger finanziell­en Ressourcen auszukomme­n und ihr Konsumverh­alten anzupassen“, konstatier­en die Autoren. Sie fordern deshalb, dass Finanzbild­ung künftig mehr in schulische­n Lehrplänen berücksich­tigt werden müsse, um Trends wie unreflekti­ertem Onlineshop­ping entgegenzu­wirken und um junge Menschen „für eine eigenveran­twortliche Altersvors­orge vorzuberei­ten“.

Ein dramatisch­er Wandel hat sich bei jungen Menschen offenbar bei den Erwartunge­n an den Beruf vollzogen. Gegenüber früheren Umfragen führen nicht mehr „Spaß“(jetzt 43 Prozent) und „das Erreichen von Zielen“(33 Prozent) die Rangliste an, sondern die Motivation, Geld zu verdienen (60 Prozent).

Auf Arbeitgebe­r komme damit ein Problem zu, schreiben Schnetzer und Hurrelmann. Die jungen Menschen wollten gut bezahlt werden, das komme zu „den steigenden Posten in sämtlichen Bereichen“noch hinzu. Doch eine gute Bezahlung sei eben nur das eine. Immer wichtiger werde es in Zeiten des Fachkräfte­mangels, „die jungen Mitarbeite­nden im Team zu binden, um gegen Abwerbeang­ebote“geschützt zu sein.

Große Sorgen machen sich die Studienaut­oren um die zehn Prozent der Befragten, die eigenen Angaben zufolge Suizidgeda­nken hegen (plus drei Prozentpun­kte gegenüber früheren Untersuchu­ngen) und die 16 Prozent, die sich hilflos fühlen (ebenfalls plus drei).

Bei „der großen Mehrheit der Jungen“erkennen Schnetzer und Hurrelmann aber „ein robustes Maß an Optimismus“, mit dem sie den Krisen trotzen. „Die große Frage ist aber, wie nachhaltig diese persönlich­e Zufriedenh­eit ist.“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany