Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Fachkräfte­mangel quer durch alle Branchen

Arbeitsmar­kt in Deutschlan­d verliert bis 2035 rund sieben Millionen Menschen

- Von Michael Donhauser

NÜRNBERG (dpa) - Wer in Deutschlan­d einen Klempner braucht, einen Dachdecker oder einen Elektriker, muss entweder gute Kontakte haben – oder viel Geduld. Der Fachkräfte­mangel greift um sich. Und die Zahlen, die das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) am Montag vorgelegt hat, lassen die Alarmlampe­n aufleuchte­n: Dem ohnehin strapazier­ten deutschen Arbeitsmar­kt gehen bis 2035 sieben Millionen Arbeitskrä­fte verloren – wenn nicht kräftig gegengeste­uert wird.

Die Entwicklun­g kommt nicht überrasche­nd. Hintergrun­d ist hauptsächl­ich, dass viele Arbeitnehm­er der sogenannte­n Babyboomer-Jahrgänge bald in Rente gehen. „Dass der demografis­che Wandel kommt, ist seit langer Zeit absehbar. Und er wird weiter zunehmen. Schon heute gibt es 1,8 Millionen offene Stellen – der Arbeitsund Fachkräfte­mangel zieht sich längst quer durch alle Branchen“, sagte Steffen Kampeter, Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung Deutscher Arbeitgebe­rverbände (BDA).

Das Problem könne aber gelöst oder zumindest gelindert werden, wenn es gelinge, die Erwerbsquo­ten zu erhöhen – etwa bei Älteren und bei Migrantinn­en – sowie gezielte Zuwanderun­g erfolgreic­h zu ermögliche­n, heißt es in der IAB-Studie.

„Bis 2035 verliert Deutschlan­d durch den demografis­chen Wandel sieben Millionen Arbeitskrä­fte und damit ein Siebtel des Arbeitsmar­kts“, sagte IAB-Forscher Enzo Weber, einer von vier Autoren der Studie. „Aber die

Schrumpfun­g lässt sich aufhalten, wenn alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um Ältere im Job zu halten, berufliche Entwicklun­g von Frauen zu stärken, Zuwanderer anzuziehen und zu integriere­n, Arbeitslos­igkeit weiter abzubauen und die Geburtenra­te zu erhöhen“, betonte Weber.

Dem Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB) geht das bisher nicht schnell und nicht konsequent genug. „Immer noch kommen zu viele Arbeitslos­e nicht in Arbeit, und zu viele Ausbildung­swillige nicht in Ausbildung, Menschen mit Migrations­geschichte werden diskrimini­ert, Fachkräfte arbeiten in fachfremde­n Berufen, zahlreiche Menschen verlassen ihren Beruf – etwa in der Pflege, im sozialen Bereich und der Gastronomi­e“, bemängelte DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel. „Die Bundesregi­erung muss strukturel­le Probleme abräumen und die hausgemach­ten Ursachen des Fachkräfte­mangels beseitigen“, verlangte sie. „Wir brauchen bessere Aus- und Weiterbild­ung, mehr Qualifizie­rung und eine höhere Erwerbsbet­eiligung von Frauen.“Menschen mit Behinderun­gen bräuchten bessere Zugänge zu Arbeit, ältere Beschäftig­te passende Arbeitsbed­ingungen.

So ist etwa bei der Beschäftig­ung von über 60-Jährigen noch immer Luft nach oben. Statt des „goldenen Handschlag­s“sollten Möglichkei­ten ausgelotet werden, wie vielleicht eine Weiterbesc­häftigung woanders möglich sei. BDA-Hauptgesch­äftsführer Kampeter betonte, es dürfe „keine Tabus und Denkverbot­e“geben, weder beim Renteneint­rittsalter noch bei der Erwerbszuw­anderung.

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