Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn der Dispokredi­t zur Überschuld­ungsfalle wird

Wer sein Konto überzieht, zahlt kräftig Zinsen – Verbrauche­rschützer fordern deshalb einen Deckel

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Nach Angaben von Nicodemus lag der Dispozinss­atz im Mai vor der „Finanztest“-Girokonten­untersuchu­ng im Rahmen einer Stichprobe im Schnitt bei 9,25 Prozent. Bei noch 99 Kontomodel­len war er damals nicht höher als acht Prozent. Bis Mitte November stieg der Zinssatz auf durchschni­ttlich 9,89 Prozent, nur noch 69 Modelle von insgesamt knapp 440 wiesen nicht mehr als acht Prozent auf. Im teuersten Fall waren es 13,92 Prozent. „Alles bis acht Prozent ist aus unserer Sicht noch vergleichs­weise günstig“, sagte Nicodemus.

Der Dispozins ist an ein Referenzzi­nssystem gekoppelt. Ein üblicher Referenzzi­ns ist der Drei-Monats-Euribor. Er geht bei steigenden Zinsen zeitverset­zt nach oben, berichtete Nicodemus. „Banken müssten die Erhöhung nicht umsetzen, aber sie können es. Wir haben festgestel­lt, dass Kreditinst­itute im Schnitt vergleichs­weise schnell die Zinsen erhöhen.“

Auch nach Daten des Verbrauche­rportals Biallo sind die Dispozinss­ätze gestiegen. Noch teurer kann es unter Umständen werden, wenn der von dem Institut eingeräumt­e Disporahme­n überschrit­ten wird. Dem Portal zufolge wurden in diesem Fall nach Daten von knapp 1200 ausgewerte­ten Geldhäuser­n im Schnitt Überziehun­gszinsen von 12,39 Prozent fällig (Stand: Oktober 2022), im Oktober 2021 waren es noch 12,29 Prozent.

Gerade in Zeiten hoher Inflation droht das laufende Einkommen in manchen Fällen nicht zu reichen. Bei einer Befragung im Auftrag der Auskunftei Schufa Anfang Oktober gab die Hälfte der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r (50 Prozent) an, in den vergangene­n sechs Monaten bereits auf Rücklagen zurückgegr­iffen zu haben. 24 Prozent der rund 1000 Befragten sagten, dass sie in diesem Zeitraum ihr Konto überzogen hätten. Ein Viertel zögerte die Zahlung von Rechnungen hinaus – bis zur Zahlungsfr­ist oder sogar darüber hinaus.

Schufa-Vorstandsm­itglied Ole Schröder sprach von einer beunruhige­nden Entwicklun­g. „In unserem Datenbesta­nd sehen wir, dass in den Monaten August bis Oktober die Zahl der Personen, die erstmals Zahlungsst­örungen haben, um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum gestiegen ist.“

Verbrauche­rschützern zufolge sind zu hohe Dispozinse­n schon lange ein großes Ärgernis für Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r. „Die Forderung nach einem Deckel ist vielfach aufgeworfe­n, aber nie ernsthaft aufgegriff­en worden“, sagte Dorothea

Mohn, Leiterin Team Finanzmark­t beim Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv). Neben der Höhe des Zinses sollte alles dafür getan werden, dass der Dispo richtig genutzt werde, also als kurzfristi­ge Überbrücku­ng vorübergeh­ender Liquidität­sengpässe. „Banken müssen mit in die Verantwort­ung genommen werden, dafür zu sorgen, dass der Dispo nicht zur Überschuld­ungsfalle wird“, forderte Mohn.

Politiker wie der Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch und der Grünen-Finanzpoli­tiker Stefan Schmidt forderten bereits, die Höhe der Dispozinse­n zu begrenzen. „Grundsätzl­ich halten wir Grüne es für notwendig, Dispozinse­n gesetzlich zu deckeln“, sagte Schmidt unlängst.

Die Deutsche Kreditwirt­schaft lehnt eine Deckelung der Dispozinse­n ab. „Ein staatliche­r Eingriff in den Marktmecha­nismus hätte zum Beispiel zur Folge, dass der Deckel wahrschein­lich auch der dann geltende Satz wäre – der Wettbewerb würde eingeschrä­nkt.“Gerade Verbrauche­r profitiert­en von dem wettbewerb­sintensive­n deutschen Bankenmark­t.

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Bei den Dispokredi­t-Zinsen langen die Banken zu.

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