Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Skandal im Festspielhaus
Teodor Currentzis umstrittener Auftritt in Baden-Baden mit dem russischen Ensemble MusicAeterna
BADEN-BADEN - Die Heizung wird voll aufgedreht. Darunter der Kommentar auf Russisch: Ich zerstöre die deutsche Wirtschaft. Das Video, das ein Musiker vom russischen Ensemble MusicAeterna kurz nach seiner Ankunft in Baden-Baden auf Instagram postete und vom Musikjournalisten Axel Brüggemann geteilt wurde, sorgte beim einladenden Festspielhaus Baden-Baden für Gesprächsbedarf. Und für Konsequenzen – das Video wurde gelöscht und der Musiker vom Dienst suspendiert. Während die Ukraine täglich von russischen Raketen beschossen wird, kommt ein russisches Vorzeigeorchester nach Deutschland. Da sind Spannungen programmiert.
Vor dem Konzert im Festspielhaus Baden-Baden merkt man nichts davon. Etliche Plätze bleiben im Saal zwar leer, aber das mag an der allgemeinen Zurückhaltung des Publikums liegen. 3800 Karten hat man für drei Konzerte verkauft. Dirigent Teodor Currentzis trägt keine Springerstiefel mehr, sondern einen schwarzen Anzug. Giuseppe Verdis „Requiem“steht auf dem Programm.
Eigentlich sollte Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“erklingen, eigentlich sollte die Sängerbesetzung in Baden-Baden und den vorherigen Konzerten in Moskau und St. Petersburg dieselbe sein. Dann sagten aber Andreas Schager und Matthias Goerne die Konzerte in Russland ab. Auch der als Ersatz geplante Torsten Kerl trat nach der Teilmobilmachung Putins von seinem Engagement zurück. Er halte es sowohl menschlich als auch moralisch nicht mehr für vertretbar, in Russland als Künstler aufzutreten.
Mit dem Verdi-Requiem sei man „dabei angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine gemeinsam zu der Überzeugung gelangt, keine andere Oper, sondern ein zur Situation passenderes Stück auszwählen“, erklärt Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, die Werkauswahl. Und möchte das Verdi-Requiem als Statement verstanden wissen. Das gleiche Werk wurde zuvor jedoch in dem Land gespielt, das verantwortlich für diesen Krieg ist. Bejubelt von putintreuen Oligarchen wie Gazpromchef Alexei Miller.
MusicAeterna ist zwar kein Staatsorchester, sondern ein freies Ensemble, das aber durch Sponsoren wie die vom Westen sanktionierte VTB-Bank und Gazprom große Staatsnähe aufweist. Zumal putintreue Persönlichkeiten wie Alexander Beglov, Gouverneur von St. Petersburg, im Vorstand sitzen. Dirigent Currentzis hat noch am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, in St. Petersburg seinen 50. Geburtstag mit der 9. Symphonie von Beethoven gefeiert („Alle Menschen werden Brüder“). Danach hat er zum Krieg geschwiegen, weil er in Russland lebt und nicht sich und sein Ensemble gefährden möchte. Dabei hat sich Currentzis immer als Klassikrebell gegeben. Benedikt Stampa hielt nach einem persönlichen Gespräch mit dem Dirigenten am Engagement von MusicAeterna fest, lässt aber die weitere Zusammenarbeit mit dem Ensemble offen.
Noch spannungsgeladener ist die Situation beim SWR, der nach dem Krieg von den Alliierten gegründet wurde (noch als SWF und SDR), um nach der Nazidiktatur die junge Demokratie in Deutschland zu stärken. Dass nun mit Teodor Currentzis ein Mann an der Spitze des SWR Symphonieorchesters steht, der zumindest indirekt unterstützt wird von engen Vertrauten Wladimir Putins? „Wir setzen Teodor Currentzis nicht unter Druck, sich zu einem Thema zu äußern, zu dem er sich nie geäußert hat“, sagt Gesamtleiterin Sabrina Haane. „Uns war es wichtig, dass er gegen den Krieg ist und wir haben verstanden, warum er sich nicht öffentlich dagegen positioniert“, erklärt Orchestervorstand Frank-Michael Guthmann.
Im Orchester bleibt die Hoffnung, dass Currentzis eine andere, weniger problematische Finanzierungsstruktur für sein Ensemble MusicAeterna findet. Zumal der Dirigent im August ein mit westlichen Geldern finanziertes All-Star-Ensemble namens Utopia gründete. Für die Philharmonie Köln war die Nähe Currentzis zu Putin der Grund, das Orchester für ein am 27. Januar 2023 geplantes Konzert mit dem Dirigenten auszuladen.
Nicht nur in der Musikwelt darf man gespannt sein, wie sich das Verhältnis zwischen dem SWR Symphonieorchester und seinem Chefdirigenten weiterentwickelt. Dass Currentzis’ Vertrag nicht mehr über 2024 hinaus verlängert wird, war schon bei der Unterschrift im Jahr 2021 klar. Dass mit François-Xavier Roth ein Nachfolger gefunden wurde, der neben seiner musikalischen Qualität auch seine moralische Integrität bereits bei der Orchesterfusion eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, verspricht dem Orchester eine gute Zukunft. Im Dezember kommt Teodor Currentzis zu Abonnementkonzerten nach Stuttgart und Freiburg. Der SWR, sein Orchester und auch das Publikum müssen einen ziemlichen Spagat meistern.