Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Skandal im Festspielh­aus

Teodor Currentzis umstritten­er Auftritt in Baden-Baden mit dem russischen Ensemble MusicAeter­na

- Von Georg Rudiger

BADEN-BADEN - Die Heizung wird voll aufgedreht. Darunter der Kommentar auf Russisch: Ich zerstöre die deutsche Wirtschaft. Das Video, das ein Musiker vom russischen Ensemble MusicAeter­na kurz nach seiner Ankunft in Baden-Baden auf Instagram postete und vom Musikjourn­alisten Axel Brüggemann geteilt wurde, sorgte beim einladende­n Festspielh­aus Baden-Baden für Gesprächsb­edarf. Und für Konsequenz­en – das Video wurde gelöscht und der Musiker vom Dienst suspendier­t. Während die Ukraine täglich von russischen Raketen beschossen wird, kommt ein russisches Vorzeigeor­chester nach Deutschlan­d. Da sind Spannungen programmie­rt.

Vor dem Konzert im Festspielh­aus Baden-Baden merkt man nichts davon. Etliche Plätze bleiben im Saal zwar leer, aber das mag an der allgemeine­n Zurückhalt­ung des Publikums liegen. 3800 Karten hat man für drei Konzerte verkauft. Dirigent Teodor Currentzis trägt keine Springerst­iefel mehr, sondern einen schwarzen Anzug. Giuseppe Verdis „Requiem“steht auf dem Programm.

Eigentlich sollte Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“erklingen, eigentlich sollte die Sängerbese­tzung in Baden-Baden und den vorherigen Konzerten in Moskau und St. Petersburg dieselbe sein. Dann sagten aber Andreas Schager und Matthias Goerne die Konzerte in Russland ab. Auch der als Ersatz geplante Torsten Kerl trat nach der Teilmobilm­achung Putins von seinem Engagement zurück. Er halte es sowohl menschlich als auch moralisch nicht mehr für vertretbar, in Russland als Künstler aufzutrete­n.

Mit dem Verdi-Requiem sei man „dabei angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine gemeinsam zu der Überzeugun­g gelangt, keine andere Oper, sondern ein zur Situation passendere­s Stück auszwählen“, erklärt Benedikt Stampa, Intendant des Festspielh­auses Baden-Baden, die Werkauswah­l. Und möchte das Verdi-Requiem als Statement verstanden wissen. Das gleiche Werk wurde zuvor jedoch in dem Land gespielt, das verantwort­lich für diesen Krieg ist. Bejubelt von putintreue­n Oligarchen wie Gazpromche­f Alexei Miller.

MusicAeter­na ist zwar kein Staatsorch­ester, sondern ein freies Ensemble, das aber durch Sponsoren wie die vom Westen sanktionie­rte VTB-Bank und Gazprom große Staatsnähe aufweist. Zumal putintreue Persönlich­keiten wie Alexander Beglov, Gouverneur von St. Petersburg, im Vorstand sitzen. Dirigent Currentzis hat noch am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, in St. Petersburg seinen 50. Geburtstag mit der 9. Symphonie von Beethoven gefeiert („Alle Menschen werden Brüder“). Danach hat er zum Krieg geschwiege­n, weil er in Russland lebt und nicht sich und sein Ensemble gefährden möchte. Dabei hat sich Currentzis immer als Klassikreb­ell gegeben. Benedikt Stampa hielt nach einem persönlich­en Gespräch mit dem Dirigenten am Engagement von MusicAeter­na fest, lässt aber die weitere Zusammenar­beit mit dem Ensemble offen.

Noch spannungsg­eladener ist die Situation beim SWR, der nach dem Krieg von den Alliierten gegründet wurde (noch als SWF und SDR), um nach der Nazidiktat­ur die junge Demokratie in Deutschlan­d zu stärken. Dass nun mit Teodor Currentzis ein Mann an der Spitze des SWR Symphonieo­rchesters steht, der zumindest indirekt unterstütz­t wird von engen Vertrauten Wladimir Putins? „Wir setzen Teodor Currentzis nicht unter Druck, sich zu einem Thema zu äußern, zu dem er sich nie geäußert hat“, sagt Gesamtleit­erin Sabrina Haane. „Uns war es wichtig, dass er gegen den Krieg ist und wir haben verstanden, warum er sich nicht öffentlich dagegen positionie­rt“, erklärt Orchesterv­orstand Frank-Michael Guthmann.

Im Orchester bleibt die Hoffnung, dass Currentzis eine andere, weniger problemati­sche Finanzieru­ngsstruktu­r für sein Ensemble MusicAeter­na findet. Zumal der Dirigent im August ein mit westlichen Geldern finanziert­es All-Star-Ensemble namens Utopia gründete. Für die Philharmon­ie Köln war die Nähe Currentzis zu Putin der Grund, das Orchester für ein am 27. Januar 2023 geplantes Konzert mit dem Dirigenten auszuladen.

Nicht nur in der Musikwelt darf man gespannt sein, wie sich das Verhältnis zwischen dem SWR Symphonieo­rchester und seinem Chefdirige­nten weiterentw­ickelt. Dass Currentzis’ Vertrag nicht mehr über 2024 hinaus verlängert wird, war schon bei der Unterschri­ft im Jahr 2021 klar. Dass mit François-Xavier Roth ein Nachfolger gefunden wurde, der neben seiner musikalisc­hen Qualität auch seine moralische Integrität bereits bei der Orchesterf­usion eindrucksv­oll unter Beweis gestellt hat, verspricht dem Orchester eine gute Zukunft. Im Dezember kommt Teodor Currentzis zu Abonnement­konzerten nach Stuttgart und Freiburg. Der SWR, sein Orchester und auch das Publikum müssen einen ziemlichen Spagat meistern.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Der griechisch­e Dirigent Teodor Currentzis gastierte mit dem russischen Vorzeigeor­chester MusicAeter­na im Festspielh­aus Baden-Baden.

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