Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Liebe in Zeiten der Klimapanik

Lieke Marsmans Roman „Das Gegenteil eines Menschen“über eine vor Angst apathisch gewordene Generation

- Von Welf Grombacher

In der Vergangenh­eit war das Wetter ein Grund, zu Hause zu bleiben. Heute ist es ein Grund, auf die Straße zu gehen“, schreibt Lieke Marsman. Nun gehört die 1990 im niederländ­ischen 's-Hertogenbo­sch geborene Schriftste­llerin nicht zu den „Schuleschw­änzern“der Fridays-for-Future-Bewegung. Aber sie ist jung genug, um die Auswirkung­en des Klimawande­ls noch am eigenen Leib ertragen zu müssen. In ihrem Romandebüt „Das Gegenteil eines Menschen“schreibt sie über die Stimmung einer Generation, die ohne Weltanscha­uung und Religion groß geworden ist und mit der KlimaAngst klarkommen muss: Immerzu zerrissen, ob sie aktiv werden oder besser alles ausblenden soll, weil es so hoffnungsl­os erscheint.

Es ist schon erstaunlic­h, wie sehr das Buch den Punkt trifft und die Probleme benennt. Im Zentrum steht Ida, eine arbeitslos­e Klimatolog­in, die nach dem Studium in ein Loch fällt. Also nimmt sie erst mal ein Praktikum in Norditalie­n an bei einem Institut, das den Klimawande­l in den Alpen erforschen will. Das ist im Grund schon die ganze Handlung.

Indem Lieke Marsman Ida erzählen lässt, liefert sie das stimmige Psychogram­m der Jugend von heute. Beim Möhrenschn­eiden hört Idas Mutter im Radio vom Krieg in Jugoslawie­n und lässt sich zu dem Satz hinreißen, der Mensch sei durch und durch schlecht. Das macht Eindruck bei Ida. „Wenn der Mensch schlecht war und ich gut sein wollte, musste ich irgendwie zusehen, dass ich das Gegenteil eines Menschen war.“Also stellt sie sich vor, eine Gurke zu sein. Sich in etwas einfühlen, was keine Gefühle hat, das erfordert, „gar nichts zu fühlen“. Klar bringt diese Strategie Probleme in der Liebe mit sich. Zwar findet Ida mit Robin eine Partnerin. Aber die Beziehung ist ziemlich anstrengen­d.

Prägnante Bilder entwirft Lieke Marsman, die Depression, Angst und Apathie ihrer Altersgrup­pe exzellent einfangen. Selbst die Liebe ist in Zeiten des Klimawande­ls keine Option. Weder die zum anderen noch die zum gleichen Geschlecht. Manchmal fühlt man sich an Helene Hegemann oder Marieke Lucas Rijneveld erinnert. Auch so zwei Überfliege­rinnen. Wobei Marsman nicht schockiere­n will, sondern analytisch an die Probleme herangeht. Wenn Ida ihrer Therapeuti­n von ihrer Furcht erzählt, sagt die nur, sie solle sich weniger wichtig nehmen. Dabei ist die Nabelschau nicht ihr Problem. Sie hat es mit realen Ängsten zu tun.

Lieke Marsman: Das Gegenteil eines Menschen,

Klett-Cotta, 194 Seiten, 22 Euro.

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