Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Letzte Liebeserklärung an die Telefonzelle
Auch im Bodenseekreis und im Kreis Lindau werden restliche Häuschen jetzt abgeschaltet
BODENSEEKREIS - Wie viele Telefonzellen genau noch im Bodenseekreis und im Kreis Lindau stehen, kann die Telekom nicht genau sagen. In Deutschland insgesamt sind von einst mehr als 160.000 laut Pressestelle momentan 12.000 übrig, die jetzt allerdings abgeschaltet und bis Anfang 2025 abgebaut werden. Höchste Zeit, das Handy kurz wegzulegen und in Erinnerungen zu schwelgen. Dabei geht es um den töchterlichen Wochenrapport, exotische Inseln und Rauchfleisch. Eine letzte Liebeserklärung an die Telefonzelle.
Tanja Poimer: Wer heutzutage nicht innerhalb von 45 Sekunden auf eine Handy-Nachricht antwortet, gilt als verschollen. In der guten alten Telefonzellenzeit waren Eltern schon dankbar, wenn das gerade volljährig gewordene Kind während der vierwöchigen Interrail-Reise einmal angerufen hat. Öfters war auch schier unmöglich: kein Häuschen, keine Devisen, kein Durchkommen, keine Zeit.
In den späteren Teenager-Jahren bot sich die damals noch gelbe Zelle außerdem im Winter als Treffpunkt an. Vier Freunde, eine Kippe – rein in die gute Stube, die damals selbstverständlich noch mit einem Aschenbecher ausgestattet war. Auf einem Quadratmeter war es kuschelig warm und dank gemeinschaftlichen Gepaffes hing auch rasch der betörende Duft von Rauchfleisch in der Luft. Und nicht zu vergessen: Telefonieren war ebenfalls möglich. Wenn dann das Kleingeld ausreichte, der Telefonhörer noch vorhanden war, und am Ende der Leitung jemand ranging.
Heike Kleemann: Am Telefon fasst man sich kurz, sagt nur das Nötigste, und die meisten Anrufe sind eh überflüssig, Das denken meine Eltern eigentlich bis heute. Als ich vor sehr vielen Jahren meine erste Studentenbude bezog, stand deshalb gar nicht zur Debatte, dass sie mir dort ein Telefon finanzierten, und das bisschen eigene Geld aus Studentenjobs floss halt nur unregelmäßig. Also
wanderte ich jeden Samstag zur Telefonzelle, um ein Lebenszeichen zu geben und zu versichern, dass es super läuft mit dem Studium.
Blieb der Anruf mal aus (höchst selten natürlich und nur aus gutem Grund), hatten meine Eltern allerdings kein Problem damit, bei meinen Nachbarn anzurufen und mich von ihnen aus der Wohnung klingeln zu lassen. So viel zu „Telefon braucht man nicht“. Das ging eine ganze Weile so, ich lernte meine Nachbarn in dieser Zeit gut kennen, doch irgendwann wurden meine Eltern
dann doch weich, und meine Ausflüge zur Telefonzelle waren vorbei. Die Nachbarn besuchte ich weiter, zum Kaffeetrinken und damit sie sich keine Sorgen um mich machten.
Mark Hildebrandt: Ein Freund hat Telefonkarten gesammelt. Die hatten verschiedene Motive. Und oft waren noch Restbeträge drauf. Die haben wir dann für Telefonscherze in Telefonzellen genutzt. „Die bestellte Pizza braucht eine Stunde länger. Aber Sie kriegen eine umsonst dazu.“„Wir haben Ihr Auto abgeschleppt. Stellen Sie sich nächstes Mal einfach nicht ins Halteverbot.“„Wir haben gesehen, was Sie gestern im Garten vergraben haben.“
Wenn der Hörer wieder in der Gabel hing, haben wir uns gekrümmt vor Lachen. Dass uns jemand mit unseren Kinderstimmen nicht glauben würde, darüber haben wir damals sicher nicht nachgedacht. Bleibt die Hoffnung, dass am Ende nicht doch noch jemand wirklich Spuren im Garten beseitigt hat...
Martin Hennings: Für junge Wilde der 80er-Jahre war die Telefonzelle gelegentlich das Tor zur weiten Welt. Denn im Häuschen befand sich meist eine Liste mit den Vorwahlen aller Staaten auf dieser Welt. Zu vorgerückter Stunde und nicht immer ganz nüchtern haben wir die dann ausprobiert – und sind gelegentlich auch durchgekommen.
So kamen dann Zufallsamerikaner in den Genuss unserer weltpolitischen Einschätzungen, Telefonanschlusseigner im Vatikan durften sich unsere Analyse des päpstlichen Wirkens anhören. Was wir dem anderen Ende auf den Jungferninseln erzählt haben, das verrate ich an der Stelle aber nicht.
Jens Lindenmüller: Wenn ich an Telefonzellen denke, habe ich zwei Bilder vor Augen: Karl Dall am Spaßtelefon und fünf Musiker, die sich samt Instrumenten in eine solche Zelle quetschen, um dort zusammen ein Liedchen zum Besten zu geben. Beide Szenen stammen aus TVShows der 1980er- und 1990er-Jahre und dienten uns als Vorbild. Telefonscherze mit ungeliebten Lehrern bereiteten uns große Freude, und natürlich mussten wir auch ausprobieren, wie viele von uns in eine Telefonzelle hineinpassen – allerdings ohne Instrumente.
Ansonsten erinnere ich mich vor allem daran, dass in den Telefonbüchern in den Telefonzellen immer die Seiten herausgerissen waren, die man gerade gebraucht hat. Wobei die wirklich wichtigen Telefonnummern damals natürlich allesamt im Oberstübchen abgespeichert waren. Die Nummer meines Kumpels aus der Grundschule weiß ich heute noch – meine eigene aktuelle Festnetznummer dagegen nicht.