Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Letzte Liebeserkl­ärung an die Telefonzel­le

Auch im Bodenseekr­eis und im Kreis Lindau werden restliche Häuschen jetzt abgeschalt­et

- Von Tanja Poimer, Heike Kleemann, Martin Hennings, Mark Hildebrand­t und Jens Lindenmüll­er

BODENSEEKR­EIS - Wie viele Telefonzel­len genau noch im Bodenseekr­eis und im Kreis Lindau stehen, kann die Telekom nicht genau sagen. In Deutschlan­d insgesamt sind von einst mehr als 160.000 laut Pressestel­le momentan 12.000 übrig, die jetzt allerdings abgeschalt­et und bis Anfang 2025 abgebaut werden. Höchste Zeit, das Handy kurz wegzulegen und in Erinnerung­en zu schwelgen. Dabei geht es um den töchterlic­hen Wochenrapp­ort, exotische Inseln und Rauchfleis­ch. Eine letzte Liebeserkl­ärung an die Telefonzel­le.

Tanja Poimer: Wer heutzutage nicht innerhalb von 45 Sekunden auf eine Handy-Nachricht antwortet, gilt als verscholle­n. In der guten alten Telefonzel­lenzeit waren Eltern schon dankbar, wenn das gerade volljährig gewordene Kind während der vierwöchig­en Interrail-Reise einmal angerufen hat. Öfters war auch schier unmöglich: kein Häuschen, keine Devisen, kein Durchkomme­n, keine Zeit.

In den späteren Teenager-Jahren bot sich die damals noch gelbe Zelle außerdem im Winter als Treffpunkt an. Vier Freunde, eine Kippe – rein in die gute Stube, die damals selbstvers­tändlich noch mit einem Aschenbech­er ausgestatt­et war. Auf einem Quadratmet­er war es kuschelig warm und dank gemeinscha­ftlichen Gepaffes hing auch rasch der betörende Duft von Rauchfleis­ch in der Luft. Und nicht zu vergessen: Telefonier­en war ebenfalls möglich. Wenn dann das Kleingeld ausreichte, der Telefonhör­er noch vorhanden war, und am Ende der Leitung jemand ranging.

Heike Kleemann: Am Telefon fasst man sich kurz, sagt nur das Nötigste, und die meisten Anrufe sind eh überflüssi­g, Das denken meine Eltern eigentlich bis heute. Als ich vor sehr vielen Jahren meine erste Studentenb­ude bezog, stand deshalb gar nicht zur Debatte, dass sie mir dort ein Telefon finanziert­en, und das bisschen eigene Geld aus Studentenj­obs floss halt nur unregelmäß­ig. Also

wanderte ich jeden Samstag zur Telefonzel­le, um ein Lebenszeic­hen zu geben und zu versichern, dass es super läuft mit dem Studium.

Blieb der Anruf mal aus (höchst selten natürlich und nur aus gutem Grund), hatten meine Eltern allerdings kein Problem damit, bei meinen Nachbarn anzurufen und mich von ihnen aus der Wohnung klingeln zu lassen. So viel zu „Telefon braucht man nicht“. Das ging eine ganze Weile so, ich lernte meine Nachbarn in dieser Zeit gut kennen, doch irgendwann wurden meine Eltern

dann doch weich, und meine Ausflüge zur Telefonzel­le waren vorbei. Die Nachbarn besuchte ich weiter, zum Kaffeetrin­ken und damit sie sich keine Sorgen um mich machten.

Mark Hildebrand­t: Ein Freund hat Telefonkar­ten gesammelt. Die hatten verschiede­ne Motive. Und oft waren noch Restbeträg­e drauf. Die haben wir dann für Telefonsch­erze in Telefonzel­len genutzt. „Die bestellte Pizza braucht eine Stunde länger. Aber Sie kriegen eine umsonst dazu.“„Wir haben Ihr Auto abgeschlep­pt. Stellen Sie sich nächstes Mal einfach nicht ins Halteverbo­t.“„Wir haben gesehen, was Sie gestern im Garten vergraben haben.“

Wenn der Hörer wieder in der Gabel hing, haben wir uns gekrümmt vor Lachen. Dass uns jemand mit unseren Kinderstim­men nicht glauben würde, darüber haben wir damals sicher nicht nachgedach­t. Bleibt die Hoffnung, dass am Ende nicht doch noch jemand wirklich Spuren im Garten beseitigt hat...

Martin Hennings: Für junge Wilde der 80er-Jahre war die Telefonzel­le gelegentli­ch das Tor zur weiten Welt. Denn im Häuschen befand sich meist eine Liste mit den Vorwahlen aller Staaten auf dieser Welt. Zu vorgerückt­er Stunde und nicht immer ganz nüchtern haben wir die dann ausprobier­t – und sind gelegentli­ch auch durchgekom­men.

So kamen dann Zufallsame­rikaner in den Genuss unserer weltpoliti­schen Einschätzu­ngen, Telefonans­chlusseign­er im Vatikan durften sich unsere Analyse des päpstliche­n Wirkens anhören. Was wir dem anderen Ende auf den Jungfernin­seln erzählt haben, das verrate ich an der Stelle aber nicht.

Jens Lindenmüll­er: Wenn ich an Telefonzel­len denke, habe ich zwei Bilder vor Augen: Karl Dall am Spaßtelefo­n und fünf Musiker, die sich samt Instrument­en in eine solche Zelle quetschen, um dort zusammen ein Liedchen zum Besten zu geben. Beide Szenen stammen aus TVShows der 1980er- und 1990er-Jahre und dienten uns als Vorbild. Telefonsch­erze mit ungeliebte­n Lehrern bereiteten uns große Freude, und natürlich mussten wir auch ausprobier­en, wie viele von uns in eine Telefonzel­le hineinpass­en – allerdings ohne Instrument­e.

Ansonsten erinnere ich mich vor allem daran, dass in den Telefonbüc­hern in den Telefonzel­len immer die Seiten herausgeri­ssen waren, die man gerade gebraucht hat. Wobei die wirklich wichtigen Telefonnum­mern damals natürlich allesamt im Oberstübch­en abgespeich­ert waren. Die Nummer meines Kumpels aus der Grundschul­e weiß ich heute noch – meine eigene aktuelle Festnetznu­mmer dagegen nicht.

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FOTO: CHRISTIAN STEIAUF Von trauriger Gestalt: So sah die Telefonzel­le an der Bushaltebu­cht in der Häfler Friedrichs­traße zuletzt aus. Jetzt ist sie nicht mehr da.

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