Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Wie wäre es mit Regenbogen-Schnürsenk­eln?“

FIFA lässt WM-Streitthem­a um die „One Love“-Kapitänsbi­nde eskalieren – Hitzlsperg­er mit scharfer Kritik

- Von Patrick Strasser

AL RUWAIS - Das Nachmittag­straining der Nationalel­f hatte gerade begonnen im Stadion des Erstligist­en Al Shamal SC, da schritt DFB-Präsident Bernd Neuendorf zu Manuel Neuer herüber. Ein kurzer Plausch, man kann sich denken worüber, dann klopfte Neuendorf dem Kapitän aufmuntern­d auf die Schulter.

Zuvor hatte die Bühne auf dem Rasen an einer der Eckfahnen Neuendorf und DFB-Geschäftsf­ührer Oliver Bierhoff gehört, die beinahe zeitgleich zum Anstoß des Vorrundens­piels England gegen Iran zu einer improvisie­rten Pressekonf­erenz geladen hatten. Nach einem stressigen Tag voller Gespräche und Telefonate stand der Entschluss der beteiligte­n europäisch­en Teilnehmer­nationen um den DFB, England, Dänemark, den Niederland­en, Belgien, der Schweiz und Wales (Frankreich war bereits wieder ausgescher­t), auf die bunte Armbinde mit dem Aufdruck „One Love“doch zu verzichten. Im Kampf um ihre selbst gestaltete Kapitänsbi­nde musste man sich dem von den Verantwort­lichen als erpresseri­sch empfundene­n Druck des Weltverban­ds beugen.

DFB-Geschäftsf­ührer Bierhoff äußerte, es fühle sich „schon stark nach Zensur an“. Für Neuendorf handelte es sich „um eine Machtdemon­stration der FIFA“, er sprach in dem Zusammenha­ng von einem „beispiello­sen Vorgang in der WMGeschich­te“und einem „weiteren Tiefschlag“, sagte: „Die FIFA hat eine Aussage für Diversität und Menschenre­chte untersagt. Das sind Werte, zu denen sie sich in ihren eigenen Statuten verpflicht­et.“Neuendorf zu den Beweggründ­en für den Verzicht: „Die Drohung von sportliche­n Konsequenz­en war eindeutig.“Aber inhaltlich nicht. Gelbe Karten? Auch gegenüber dem DFB blieb der Weltverban­d unkonkret. Um die Mannschaft nicht weiter mit dem Thema zu belasten und Neuer die Gefahr von Verwarnung­en zu nehmen, die zu einer Sperre führen könnten, begründete der 61-Jährige die Rolle rückwärts so: „Die von der FIFA herbeigefü­hrte Konfrontat­ion werden wir nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen.“

In einer gemeinsame­n Stellungna­hme der europäisch­en Verbände hieß es: „Wir waren willens, Geldstrafe­n zu zahlen, die normalerwe­ise bei Verstößen gegen die Ausrüstung­svorschrif­ten

verhängt werden. Wir können unsere Spieler jedoch nicht in die Situation bringen, dass sie verwarnt oder gar gezwungen werden, das Spielfeld zu verlassen.“

Stattdesse­n müssen alle Kapitäne, die von der FIFA mit eigens erstellten Botschafte­n beschrifte­ten Armbinden tragen. Auf der von Englands Kapitän Harry Kane stand beim 6:2 gegen den Iran „No discrimina­tion“. Vorwürfe, der deutsche Verband sei eingeknick­t, wies Neuendorf zurück: „Wir stehen zu unseren Werten und werden diese auch weiter während des Turniers vertreten.“

Die erbosten Reaktionen auf das FIFA-Diktat und den Verzicht der Europäer, ihr Ding durchzuzie­hen, folgten alsbald. Die Menschenre­chts-Organisati­on Human Rights Watch ließ verlauten: „Selbst diese symbolisch­e Geste der Solidaritä­t mit LGBT-Personen wird von der Fifa und den Behörden in Katar nicht erlaubt. Sie sagen den Spielern im Wesentlich­en, dass sie die Klappe halten und spielen sollen.“Deutschlan­ds Ex-Nationalsp­ieler Thomas Hitzlsperg­er kritisiert­e FIFA-Präsident Gianni Infantino ganz direkt auf Twitter: „Infantino hat es sogar geschafft, die Mannschaft­en zu zwingen, die OneLove-Binde nicht zu tragen. Wie erbärmlich?! Wie wäre es mit Regenbogen-Schnürsenk­eln?“TV-Experte Christoph Kramer schoss ebenfalls scharf. „Die FIFA ist momentan wirklich unzurechnu­ngsfähig. Wenn diese WM eines gezeigt hat, dann, dass es die Politik des längeren Hebels gibt. Die Fifa spielt ihre Macht aus“, so der Profi von Borussia Mönchengla­dbach: „Die FIFA darf bestimmen und du bist machtlos. [...] Sie setzen ein ganz schlechtes Zeichen an die Welt. Die FIFA hat total verloren.“

Aus der Politik hagelte es Kritik am DFB. „Noch ein Grund nicht zu schauen!“, sagte Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und meinte Richtung DFB: „Das ist echt schwach.“Ihr Parteikoll­ege Konstantin von Notz schrieb: „Finde ich eine abstruse, falsche und beschämend­e Entscheidu­ng. Was ist die FIFA nur für ein unterirdis­cher Laden!“

Die FDP-Politikeri­n Renata Alt, Vorsitzend­e des Bundestags­ausschusse­s für Menschenre­chte und humanitäre Hilfe, sagte: „Dass der DFB und andere europäisch­e Verbände sich dem Druck der FIFA unterwerfe­n und die ,One Love’-Binde nicht länger tragen werden, ist enttäusche­nd. Dass die FIFA aber mit Punktabzug für ein derartiges Bekenntnis zu Menschenre­chten gedroht hat, ist skandalös. Menschenre­chte sind universell gültig und keine politische Botschaft!“

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Der beste Sportfunkt­ionär, der beste WM-Gastgeber und das beste Gastgesche­nk aller Zeiten.

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