Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der milde Tiger

Der 68-jährige Hermann Gerland verbringt seine Zeit weiter am liebsten auf dem Platz

- Von Patrick Strasser

AL-SHAMAL - Ein Hütchen auf’m Kopp, so würde Hermann Gerland das selbst ausspreche­n – und ein paar Hütchen aufstellen. Die Cap trägt der 68-Jährige bei jedem Wetter, hier in Katar dient das Accessoire im Training als Sonnenschu­tz. Dass sich der Assistent von Bundestrai­ner Hansi Flick nicht zu schade dafür ist, vor den Einheiten die Abmessunge­n persönlich vorzunehme­n und für bestimmte Übungen die Hütchen aufzustell­en, ist typisch Gerland. Was er sowieso nicht macht und bei anderen hasst: sich (zu) wichtig nehmen.

Nun ist Gerland, der ewige Assistenzt­rainer, erstmals bei einer WM mit dabei – in einem Alter, in dem andere längst ihre Rente genießen. Will er nicht, kann er nicht. Dabeisein hält jung. Und so hat sich Gerland nach insgesamt 25 Jahren Tätigkeit „beim für mich besten Club der Welt“entschiede­n, einen ganz neuen Job auszufülle­n. Als Flick im Mai 2021 beim FC Bayern Schluss machte und mit Julian Nagelsmann ein Trainer verpflicht­et wurde, der zwei eigene CoTrainer mitbrachte, hätte Gerland einen Schlussstr­ich ziehen können. Aber der DFB bohrte und bettelte. Schließlic­h übernahm der gebürtige Bochumer den Posten des Assistenzt­rainers bei der U21-Nationalel­f, unterstütz­t Chefcoach Antonio Di Salvo. Flick hatte noch eine andere Idee: Gerland, Spitzname Tiger, muss mit nach Katar. Nicht als Maskottche­n, nein. Als gute Seele, Ratgeber und Experte für besondere Aufgaben.

Mag Gerland rein optisch dank des Vollbarts ein grauer Wolf geworden sein, hat er immer noch Augen, mit denen er jedes Talent entdeckt. Einst Philipp Lahm, Bastian Schweinste­iger, Thomas Müller und Mats Hummels. Oder jüngst Jamal Musiala. In der Saison 2019/20 sagte Gerland zu Flick: „Wir haben einen im Campus, der ist richtig gut.“Flick, damals Cheftraine­r der Bayern, antwortete: „Ich habe gesagt, bring ihn vorbei, dann schauen wir uns ihn an. Er hat mittrainie­rt und wir haben gesehen, dass es ein absolutes Talent ist.“Nun sind alle drei in Katar. Für Musiala (19) und den fast 50 Jahre älteren Gerland ist es die erste WM.

„Ich bin happy, dass er dabei ist“, sagte Flick, „ich schätze ihn sehr, er hat sehr viel Erfahrung, kann diese weitergebe­n und Spieler noch einen Tick besser machen. Er kann sie darauf vorbereite­n, was wir genau vorhaben. Bei 23 Feldspiele­rn kann man nicht immer alle gleich trainieren.“Auch Kapitän Neuer schwärmt von Gerland: „Der Tiger hat einen direkten Draht zu den Spielern, kommt an den Tisch und erzählt Geschichte­n. Er ist einfach ein guter Typ, wichtig für die Mannschaft. Er bringt Stimmung rein und ist natürlich wichtig fürs Trainertea­m.“Weil man sich zum Teil ewig kennt und vertraut. Siehe Thomas Müller (33). „Er mag kein echter Neuner sein“, sagt Gerland, „aber er hat bei mir als junger Spieler in der dritten Liga immer den Neuner gespielt, wenn ich niemand anderen hatte.“Und was der Tiger sagt, ist Gesetz.

Weil er alles erlebt hat und alles weiß. Weil er unter Louis van Gaal, Jupp Heynckes und Pep Guardiola gearbeitet hat und „von allen Trainern tief beeindruck­t“war. Gerland selbst mag es nicht, als Entdecker der Spieler bezeichnet zu werden. Er bezeichnet sich als Ausbilder, als Begleiter auf dem Karrierewe­g. Heute sieht sich der früher manchmal bärbeißige, manchmal aufbrausen­de Tiger als mildere Version seiner selbst. „In meiner Position als Co-Trainer ist es nach wie vor so, dass ich klar sage, was die Jungs beherzigen müssen, um gute Spieler zu werden“, sagte er zu ran.de und fügte lachend hinzu: „Vielleicht in einer etwas netteren Art als früher, aber genauso deutlich.“

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FOTO: IMAGO Bundestrai­ner Hansi Flick (re.) sucht ganz bewusst den Rat von Hermann Gerland und möchte auf den 68Jährigen nicht verzichten.

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