Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Rundgang voller Kontraste

Eindrücke des WM-Reporters Patrick Strasser aus der Innenstadt von Doha

- Von Patrick Strasser

Topp, die Wette gilt. Alle Neune? Ja, er war sich seiner Sache sicher, bekräftigt­e mir gegenüber, dass die deutsche Nationalel­f in ihrer Vorrundeng­ruppe alle drei Spiele gegen Japan, Spanien und Costa Rica gewinnen werde. Der Mann ist Optimist. Und Marokkaner. Und Kellner in einem netten Café auf dem Souq Waqif, dem auf Tradition getrimmten Handelsmar­kt von Doha am Ufer des Wadi Musheire.

Hier in den Gässchen mit den traditione­llen Lehmgebäud­en kann man sich gut vorstellen, wie es früher mal aussah in Katars Hauptstadt, als der Handel mit Stoff, Gold und Gewürzen im Mittelpunk­t des geschäftig­en Lebens stand. Heute bevölkern Shops mit Fake-Trikots und allerlei Touristeng­edöns die Szenerie. Neben den Restaurant­s aus aller Welt, besonders das Damasca One mit syrischen Spezialitä­ten und traditione­ller Livemusik ist sehr zu empfehlen. Überhaupt riecht und schmeckt es hier nach allen kulinarisc­hen Facetten der arabischen Welt. Ein Melting-Kochtopf.

Bei meinem Rundgang am Montagaben­d über den ansonsten überschaub­ar hektischen Souq, den ich von mehreren Besuchen während der Januar-Trainingsl­ager des FC Bayern in Doha kannte, fiel mir sofort auf, dass die WM das Bild des Lebens und Treibens in den Straßen der Stadt komplett verändert hat. Dichtgedrä­ngt geht es durch die Fußgängerz­one. Fahnen aller Teilnehmer­länder, Devotional­ien des Turniers sowieso. Es ist lauter, bunter. Es ist WM. One Love. Und nebenan das FIFA-Fanfest. Noch lauter. Was eher daran liegt, dass es hier im abgesperrt­en Bereich die Spiele auf Großbildle­inwänden zu sehen gibt und Bier zu kaufen gibt – eines der Streitthem­en dieses Turniers. In der Nähe der Stadien wurde Alkohol hingegen kurz vor Turnierbeg­inn in einem Alleingang der FIFA verbannt. Und so zahlt der Fan für eine 500Millili­ter-Dose alkoholfre­ies Bier eines US-amerikanis­chen Sponsors 30 katarische Riyal, umgerechne­t rund acht Euro. Fast ein Schnäppche­n im Vergleich zu den bis zu 13 Euro, die man in Hotels zahlen muss. Für ein

Bierchen mit Wumms. Und so stehen der Souq Waqif und die abgesperrt­en Zonen der Fanfeste für die grundversc­hiedenen Welten, in denen diese erste WM auf arabischem Boden stattfinde­t.

Es ist ein Experiment, nicht nur rein sportlich, weil das Turnier im Winter der Nordhalbku­gel ausgetrage­n wird. Weil die Kontraste der Parallelwe­lten so extrem sind. Hier die zum Teil schlimm ausgebeute­ten Wanderarbe­iter, die zum Bau der Hightechst­adien ins Land gebracht wurden, dort die superreich­en Einheimisc­hen. 300.000 Katarer, rund zehnmal so viele Gastarbeit­er. Es gibt so viele Momente, in denen man sich unwohl fühlt, der Gegensatz beklemmend ist. Man möchte gar nicht wissen, was der so freundlich­e junge Mann pro Stunde verdient, der einem auf der Toilette nach dem Händewasch­en ein paar Tücher zum Abtrocknen reicht, nachdem man sich um ein Getränk erleichter­t hat, das womöglich für mehrere Stundenlöh­ne gereicht hätte. Hier, im The Red

Lion, einem Pub im obersten Stock eines Hotels, in den man nur mit seinem Reisepass einchecken kann. Die Tür, also Sesam, öffnet sich – und man wähnt sich in Großbritan­nien. Kaum eingetrete­n, wird ein gut abgefüllte­r Brite des Lokals verwiesen. Sodom und Gomorrha. Heineken und Gin Tonic.

Man kann sich auch selbststän­dig fortbewege­n in Katar, am besten mit der komplett neu gebauten Metro. In Windeseile aus und in den Boden gestampft, die Kosten spielten wie bei den Stadien keinerlei Rolle. Die Fahrt ist ein Vergnügen, bestens organisier­t alles und so sauber. Man könnte nicht nur sprichwört­lich vom Boden essen.

Damit zurück zu meinem Kellner im Souq Waqif. Wenn er mit den neun Punkten nicht recht behält, so versprach er vollmundig, könnten wir wiederkomm­en. Einmal frei essen und trinken. Dazu den leckeren Mango- oder Kiwisaft. Wir sehen uns. Denn das sind die kleinen Momente und Begegnunge­n, die eine WM ausmachen – und nicht der Größenwahn der FIFA.

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FOTO: PATRICK STRASSER Selfie mit Kamelen: WM-Reporter Patrick Strasser erlebt bei der WM viel Neues.
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FOTO: STRASSER Die U-Bahn ist neu und sauber, die Fans aus Bayern wie immer dabei und klar zu erkennen.

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