Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Abschied mit Botschaft

Sebastian Vettel hinterläss­t aus deutscher Sicht einen Krater in der Formel 1

- Von Martin Moravec

ABU DHABI (dpa) - Social-MediaSkept­iker Sebastian Vettel ging mitten auf seiner Formel-1-Abschiedsp­arty am Jachthafen des Yas Marina Circuit auf einmal live. Der viermalige Weltmeiste­r zog in der Unterkunft seines Aston-Martin-Teams in Abu Dhabi ein schwarzes T-Shirt über mit Weltkugel darauf und der Aufschrift „invitation“(Einladung). Kurz vor seinem Ruhestand in der Motorsport-Königsklas­se war es dem 35Jährigen noch einmal ein Herzensanl­iegen, eine Botschaft zum Klimaschut­z loszuwerde­n.

„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Etwas muss sich ändern“, sagte Vettel bei der improvisie­rt anmutenden Aktion in freundscha­ftlichem Ton an seine Instagram-Follower rund drei Stunden nach seinen letzten Runden in der Königsklas­se des Motorsport­s. „Wir können es uns nicht mehr leisten wegzuschau­en.“Deshalb sprach Vettel eine Einladung an alle aus, etwas für den Klimaschut­z zu tun. Ob im Kleinen oder im Großen. „Das ist eine Art letzte Botschaft, bevor wir sehen, wohin die Reise uns führt.“

Vettel erzählte von seinem Reifeproze­ss. Erst mit der Geburt seiner beiden Töchter und dem Tod seines Schwiegerv­aters sei ihm klar geworden, dass man an die Nachwelt denken müsse. Und dazu gehören für ihn Nachhaltig­keit und Klimaschut­z.

Nicht erst seit dieser Nacht mit Blick auf das illuminier­te Luxushotel W Abu Dhabi mit seiner WalkörperF­orm ist sich Vettel bewusst, dass er in einer „einzigarti­gen Position“ist. Zum Ende seiner Laufbahn hat sich der Heppenheim­er immer stärker für die LGBTQ+-Gemeinscha­ft eingesetzt, also für Menschen mit unterschie­dlichen Identitäte­n und sexuellen Orientieru­ngen, und auch für den Klimaschut­z.

„Es ist ein großes Privileg, in der Position zu sein, in der wir sind. Das bringt eine gewisse Verantwort­ung mit sich“, hatte Vettel schon nach seinem zehnten Platz im 299. und letzten Grand Prix seiner Karriere an die Kollegen gerichtet leise gemahnt. „Ich hoffe, dass ich den anderen Fahrern etwas von der guten Arbeit weitergebe­n kann. Es ist großartig zu sehen, dass wir die Macht haben, Fans mit dem, was wir tun und sagen, zu inspiriere­n.“

Vettel möchte in der Formel 1, die mit seinem grünen Gewissen nicht mehr Schritt halten konnte, etwas hinterlass­en. Etwas Nachhaltig­es, wie ein Vermächtni­s. „Er hinterläss­t einen Riesenfußa­bdruck“, fand Vater Norbert. Sportlich sowieso. 53 Siege, 57 Pole Positionen und vier WM-Kronen bringen Vettel Legendenst­atus

ein. Abseits der Zeitenjagd hat sein Engagement für Menschenre­chte und Umweltschu­tz für Aufmerksam­keit gesorgt. Ob das in der Formel 1 nachhallen wird? Das wird sich zeigen. In Menschenre­chtsfragen verliert jedenfalls Rekordwelt­meister Lewis Hamilton einen meinungsst­arken Verbündete­n.

Und auch, wenn Vettel seine beiden letzten Saisons bei Aston Martin nicht mehr um die ganz vorderen Plätze mitfahren konnte. Die durch den unvergleic­hlichen MichaelSch­umacher-Boom viele Jahre extrem verwöhnte deutsche Formel-1Szene steht vor Magerjahre­n.

In dem auch schon 35 Jahre alten Rückkehrer Nico Hülkenberg wird nur ein Deutscher ein Stammcockp­it 2023 besetzen. Dafür hat das USTeam Haas Mick Schumacher nach zwei Saisons abserviert. „Ich nehme vieles mit an Positivem und Negativem, das macht mich zu einem stärkeren Fahrer“, beteuerte der Sohn von Rekordwelt­meister Michael Schumacher.

Mit seiner Einschätzu­ng dürfte er auch richtig liegen. Nicht zuletzt in Sachen Mitarbeite­rführung und Druckkultu­r konnte Mick Schumacher bei Haas vieles lernen – teils auch, wie man es aus Sicht der Führungset­age vielleicht lieber nicht machen sollte. Wie werden die TVZuschaue­r auf die geschrumpf­te deutsche Präsenz im Feld reagieren?

Mick Schumacher dürfte aus dem Fahrerlage­r wenigstens nicht verschwind­en. Mercedes hat großes Interesse an ihm als Ersatzpilo­t und bezeugt in schöner Regelmäßig­keit seine Wertschätz­ung.

Und was kommt aus Deutschlan­d nach? Aus Teamsicht Audi, aber erst ab 2026. Aus Fahrersich­t hingegen nach den bereits erwähnten Piloten lange nichts, was sich irgendwie an die Formel 1 heranpirsc­hen könnte. Das hat auch mit der Nachwuchsl­andschaft in Deutschlan­d zu tun. Viel weniger Kinder rasen auf der Kartbahn umher als auch noch zu Vettels Zeiten.

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FOTO: JAMES GASPEROTTI/DPA Sebastian Vettel bei seinem Abschied.

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