Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kompromiss mit einem Sieger
Ampel und Union einigen sich beim Bürgergeld – Wo sich die CDU durchgesetzt hat und wie die Sozialreform jetzt aussieht
BERLIN - Vergangene Woche scheiterte das Bürgergeld vorerst im Bundesrat. Die Länder, in denen die Union mitregiert, stimmten gegen die geplante Sozialreform oder enthielten sich. Die Bundesregierung rief daraufhin den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag an. Dieser soll am Mittwochabend zusammenkommen, um die Möglichkeiten für einen Kompromiss abzustimmen. Am Dienstag wurden Details aus der vorbereitenden Einigung von Ampelparteien und Union bekannt. Antworten auf die wichtigsten Fragen:
An welcher Stelle zeigt sich eine Annäherung?
Bei den Hauptkritikpunkten der Union, Sanktionsfreiheit und Schonvermögen, zeichnet sich ein Kompromiss ab. Die Forderungen der Union seien „vollumfänglich erfüllt worden“, sagte Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am Dienstag. Sollte der Vermittlungsausschuss den Einigungen zustimmen, ist die ursprünglich geplante sechsmonatige sogenannte Vertrauenszeit im Bürgergeld nicht mehr vorgesehen. Dass es Sanktionen für Meldeverstöße und Pflichtverletzungen von Anfang an gebe, sei „ein wirklich wichtiger Erfolg“, sagte Stephan Stracke (CSU). „Der Geist des bedingungslosen Grundeinkommens wurde in der Flasche sicher verkorkt“, so der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der Union.
Weiter werde die Karenzzeit bei den Schonvermögen von 24 auf 12 Monate gesenkt. Die Union habe dies akzeptiert, weil die meisten Vermittlungen in diesem Zeitraum gelängen, betonte Gröhe. Die Schonvermögen an sich sollen bei Einzelpersonen von 60.000 auf 40.000 Euro abgesenkt und bei weiteren Haushaltsmitgliedern von 30.000 auf 15.000 Euro halbiert werden.
Wie bewertet die Ampel den Kompromiss?
Sowohl Union als auch SPD, Grüne und FDP betonten, dass die endgültige Entscheidung im Vermittlungsausschuss falle. Eine vermeintliche „Siegesstimmung“bei der Union wiesen die Ampel-Fraktionen zurück. Man habe sich im Interesse der Sache bewegt, sagte Katja Mast (SPD). „Demokraten müssen kompromissfähig sein“, so die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Sozialdemokraten. Dass die Union dem von ihr in vergangenen Jahren mitgetragenen Schonvermögen so nicht mehr im Bürgergeld zustimmen wollte, habe die Ampel akzeptiert und sei auf die Union einen Schritt zugegangen, sagte Mast. Der Kern des Bürgergeldes habe sich nicht verändert, betonte auch Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Regelsatz, Qualifizierung, Kooperation – all das sei nach wie vor gegeben, erklärte sie am
Dienstag. Sie bedauere, dass es die Vertrauenszeit nicht geben werde. Sanktionen fänden bisher nur bei drei Prozent der Leistungsbeziehenden Anwendung. Missverständnisse
in der öffentlichen Debatte konnten durch die Anpassungen ausgeräumt werden, sagte Johannes Vogel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP.
Welche Maßnahmen der Reform bleiben noch?
Unter anderem die Regelsatzerhöhung. Sie sieht für einen alleinstehenden Bezieher künftig statt des Hartz IV-Satzes von 449 Euro einen monatlichen Betrag von 502 Euro vor, für Paare 902 Euro. Über die Erhöhung waren sich Regierung und Opposition schon vor dem Streit einig. Darüber hinaus setzt das Bürgergeld auf Weiterbildung und Qualifizierung. Der Vermittlungsvorrang, also die Vermittlung in Arbeit vor allen anderen Maßnahmen, soll abgeschafft werden. „Gewinner sind die Betroffenen selbst, weil wir mit dieser Sozialreform erstmals ernsthaft in ihre Qualifizierung für den Arbeitsmarkt investieren und über mehr Leistungsgerechtigkeit durch fairere Zuverdienste das System motivierender machen“, sagte der sozialpolitische Sprecher der FDP, Pascal Kober. Das soziale Netz solle zum Sprungbrett in den Arbeitsmarkt werden. „Das wird auch die Kritik mancher Arbeitgeber verstummen lassen, die diesen Teil der Reform bisher übersehen haben und dringend auf Arbeitskräfte angewiesen sind“, so Kober. Auch die Anpassung der Hinzuverdienstgrenzen bleibe wie geplant, betonte Johannes Vogel, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP. Wenn junge Menschen künftig mehr von ihrem selbst verdienten Geld behalten könnten, mache das einen Unterschied, so Vogel. Schüler, Studierende und Auszubildende dürfen Verdienste aus Minijobs künftig behalten, ohne dass die Bezüge der Familie gekürzt werden, auch Einkommen aus Ferienjobs werden nicht mehr angerechnet.
Kann das Bürgergeld zeitlich wie ursprünglich geplant umgesetzt werden?
Der erste Teil der Reform, unter anderem die Regelsatzerhöhung, soll zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Damit die Arbeitsagenturen beziehungsweise Jobcenter die Anpassung umsetzen können, muss das Bürgergeld bis Ende November beschlossen werden. Sollte der Vermittlungsausschuss am Mittwochabend auch offiziell grünes Licht für die Reform geben, müssen der Bundestag und der Bundesrat noch einmal über das Gesetzesvorhaben abstimmen. Katja Mast erklärte dazu, dass der jetzt erreichte Vorschlag als Debattengrundlage für den Vermittlungsausschuss am Mittwoch fungiere. Mit einem Ergebnis könne gegen 22 Uhr gerechnet werden. Die erneuten Abstimmungen seien für den Bundestag und für den Bundesrat für Freitag angesetzt.