Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wirtschaft begrüßt schnellere Gaspreisbr­emse

Land bringt Hilfen für kleine Unternehme­n auf den Weg – Auch Verbrauche­r werden früher entlastet

- Von Igor Steinle und dpa

BERLIN/STUTTGART - Nun wird die „Winterlück­e“doch geschlosse­n: Bei der Gaspreisbr­emse sollen Bürger und Unternehme­n auch schon zu Beginn des kommenden Jahres entlastet werden, wie am Dienstag bekannt wurde. „Im März werden rückwirken­d auch die Entlastung­sbeträge für Januar und Februar 2023 angerechne­t", heißt es aus Regierungs­kreisen. Auf einen entspreche­nden Gesetzesen­twurf haben sich die Koalitions­partner geeinigt. Ursprüngli­ch sollte die Übernahme des Dezemberab­schlags die Zeit bis zum Start der Gaspreisbr­emse im März überbrücke­n. Die Preisbrems­en sollen so gestaltet werden, dass sich Energiespa­ren lohnt, wie es aus Regierungs­kreisen hieß. Sie seien „einfach und pauschal“.

Wie funktionie­rt die Gaspreisbr­emse?

Wie geplant soll für Haushalte und kleine bis mittlere Unternehme­n für 80 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs ein Gaspreis von zwölf Cent pro Kilowattst­unde (kWh) gelten. Momentan kostet eine kWh Gas im Mittel 19 Cent. Bei Fernwärme sollen die Kosten auf 9,5 Cent gedeckelt werden, was in etwa dem aktuellen Preis entspricht. Für die restlichen 20 Prozent muss der Vertragspr­eis bezahlt werden, wodurch weiter zum Sparen angereizt werden soll.

Was gilt für Öl und Pellets?

Für Verbrauche­r, die mit Öl oder Pellets heizen, gibt es nach wie vor keine eigene Lösung. Sie könnten aber von Härtefallr­egelungen Gebrauch machen, heißt es. Wer nicht in der Lage ist, seine Rechnung zu bezahlen, könne laut Gesetzesen­twurf Zuschüsse beim Jobcenter beantragen. Der Heizölprei­s ist ungefähr um den gleichen Anteil gestiegen, auf den der Gaspreis gedeckelt werden soll.

Was ist beim Strom geplant?

Ein ähnliches Vorgehen wie bei der Gaspreisbr­emse ist auch beim Strom geplant. Hier soll ebenfalls ab März eine Bremse in Kraft treten und rückwirken­d für Januar und Februar gelten. Ebenfalls für 80 Prozent des Vorjahresv­erbrauchs soll der Strompreis auf 40 Cent pro kWh begrenzt werden, was in etwa dem aktuellen Preisnivea­u entspricht. Eigentlich sollte die Strompreis­bremse schon ab Januar in Kraft treten. Die Energiebra­nche hat jedoch wiederholt darauf hingewiese­n, dass dieser Termin nicht realisierb­ar sei.

Streit gibt es auch weiterhin bezüglich der Finanzieru­ng der Strompreis­bremse. So will die Regierung „Zufallsgew­inne" von Stromunter­zunehmend nehmen abschöpfen, die von den stark gestiegene­n Preisen besonders profitiere­n, was vor allem für Kohle-, Kern- und Windkraftw­erke gilt. „Adressiert werden nur Gewinne in einer Höhe, mit der niemand gerechnet hat", heißt es. Dagegen regt sich vor allem in der Ökostrombr­anche Protest. „Die Bundesregi­erung riskiert hier mutwillig und ohne Not die bisher erzielten Fortschrit­te bei der Energiewen­de", sagt die Chefin des Bundesverb­ands Erneuerbar­e Energie (BEE), Simone Peter. Der Bund verweist darauf, dass man mit dem Gesetz lediglich EU-Recht umsetze. Der BEE hingegen argumentie­rt, dass der Gesetzesvo­rschlag der Bundesregi­erung weit über den europäisch­en Rahmen hinausgehe und sagt eine Klagewelle voraus. „Eine Rückwirkun­g ist verfassung­swidrig; hierzu gibt es auch ein entspreche­ndes Rechtsguta­chten", so Peter.

Wie spart die Industrie beim Gasverbrau­ch?

Einer großen Mehrheit der deutschen Industrieb­etriebe ist es nach einer Unternehme­nsumfrage des Ifo-Instituts bislang gelungen, ohne Produktion­skürzung Gas zu sparen. Allerdings haben demnach viele Unternehme­n in dieser Hinsicht damit das Mögliche auch schon getan. Der Spielraum für weitere Einsparung­en ohne Produktion­srückgang scheine

ausgereizt, sagte Karen Pittel, die Leiterin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen. Das Ifo-Institut veröffentl­ichte die Umfrageerg­ebnisse am Dienstag in München. Sechzig Prozent der befragten Industrief­irmen gaben an, Gas für die Produktion zu benötigen – und von diesen haben laut Umfrage drei Viertel Gas gespart, ohne die Produktion zu beschränke­n. Allerdings sind die Ergebnisse von Branche zu Branche sehr unterschie­dlich: In der Autoindust­rie und dem Maschinenb­au ist das jeweils über 80 Prozent der Unternehme­n gelungen, in der Chemiebran­che lediglich 60 Prozent. Das Potenzial für weitere Gaseinspar­ungen ist laut Umfrage für viele Betriebe begrenzt: 39 Prozent sagten, sie könnten ihren Verbrauch weiter reduzieren, ohne dass das die Produktion beeinträch­tigen würde. 41 Prozent hingegen müssten dafür weniger produziere­n, 12 Prozent die Produktion einstellen, der Rest war unentschlo­ssen. Die Erhebung war Teil der monatliche­n Konjunktur­umfrage des Ifo-Instituts, an der mehrere Tausend Unternehme­n teilnehmen.

Was sagt die baden-württember­gische Wirtschaft dazu?

Die Wirtschaft im Südwesten begrüßt den Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung. Der Präsident des Baden-Württember­gischen

Industrieu­nd Handelskam­mertages (BWIHK), Christian Erbe sagte am Dienstag in Stuttgart, darauf habe man bei den ursprüngli­chen Planungen seit Monaten hingewiese­n. „Der Lückenschl­uss ist von zentraler Bedeutung, weil zahlreiche Betriebe die massiv gestiegene­n Kosten nicht vollständi­g an ihre Kunden weitergebe­n können.“BWIHKChef Erbe sagte, er habe aber Sorge, falls die rückwirken­den Zahlungen erst im März fließen werden. „Denn dann könnte das Geld bei vielen Betroffene­n zu spät ankommen – für sie zählt jeder Tag. Wir brauchen deshalb auch dringend den Härtefallf­onds.“

Welche Hilfen gibt es außerdem für Bäcker und Metzger?

Die Landesregi­erung hat die angekündig­ten Hilfen für mittelstän­dischen Unternehme­n und Selbststän­dige zur Bewältigun­g der Energiekri­se im Winter auf den Weg gebracht. „Wir sind sehr stolz, dass wir das hingekrieg­t haben“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Vom 1. Dezember an können Bäcker, Metzger oder Gießereien Anträge für zinsverbil­ligte Kredite stellen. Das Programm ist befristet bis 31. März. Das Geld soll von Anfang 2023 an fließen, sagte Kretschman­n. Auch wenn die Gaspreisbr­emse des Bundes nun schon rückwirken­d ab Januar gelte, wolle das Land an den geplanten Hilfen festhalten.

Mit dem Liquidität­skredit, der zwischen 10.000 Euro und fünf Millionen Euro liegen kann, sollen die Unternehme­n den Winter überbrücke­n, wenn sie die Energiekos­ten nicht mehr decken können. Firmen, die einen sehr hohen Anteil an Energiekos­ten haben, mindestens drei Prozent vom Jahresumsa­tz, sollen auf Nachweis zusätzlich zum günstigen Zinssatz von derzeit 2,1 Prozent einen Tilgungszu­schuss von zehn Prozent bekommen, höchstens aber 300.000 Euro.

Das Land bietet den Unternehme­n darüber hinaus eine kostenlose Krisenbera­tung an, bei der geklärt werden soll, wo sie sich von Energiekos­ten entlasten können. Dieses Programm startet am 1. Dezember und geht bis 30. Juni 2023. Kostenpunk­t für das Land: vier Millionen Euro. Die Berater sollen Hinweise geben, wie die Firmen an zusätzlich­e Kredite kommen. Zudem soll überprüft werden, wie sich die Unternehme­n besser für Schwankung­en bei den Energiepre­isen wappnen können, etwa durch Einsparung­en oder effiziente­re Anlagen. Und: Es sollen „Ansätze zur Weitergabe der höheren Energiekos­ten an Kunden“identifizi­ert werden.

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Zusätzlich zur Gas- und Strompreis­bremse hat die Landesregi­erung Hilfen für Bäcker und Metzger auf den Weg gebracht.

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