Schwäbische Zeitung (Tettnang)
In der Beweispflicht
Hansi Flick startet gegen Japan in sein erstes Turnier als Bundestrainer – Der Druck ist hoch
AL-SHAMAL - Es ging in den ersten Tagen dieser WM stets darum, Zeichen zu setzen. Die Menschenrechtsdiskussion um den Gastgeber Katar, das Verbot der FIFA gegenüber den europäischen Teilnehmern, die „One Love“-Armbinde zu tragen. Viel (Symbol-)Politik, wenig Fußball. Zu Recht. Aber trotzdem wird gekickt, am Mittwoch steigt Deutschland ins Turnier ein und möchte in Katar, anders als bei der WM 2018 in Russland (0:1 gegen Mexiko) und bei der EM im letzten Jahr (0:1 gegen Frankreich), sein erstes Gruppenspiel gewinnen. Aller schlechten Dinge sollen gegen Japan (14 Uhr/ ARD und MagentaTV) im Khalifa International Stadium nicht drei sein.
Natürlich wurde am Dienstagnachmittag auf der Pressekonferenz im Medienzentrum von Doha über das verbotene bunte Stück Stoff gesprochen – aber auch über Fußball. „Für das sind wir hier“, sagte Bundestrainer Hansi Flick und betonte: „Wir wissen, dass unsere Gruppe sehr stark ist. Da wollen wir gleich ein Zeichen setzen.“
Mit Flicks Spielstil: offensiv, aggressiv, mutig. Und voller Risiken, die er gerne in Kauf nimmt. Stichwort Konterabsicherung, Restverteidigung – gefährlich gegen Umschaltkünstler wie die Japaner. Aber: no risk, no fun. Wer nicht wagt, der nicht (Trophäen) gewinnt. Das weiß Flick aus Erfahrung. Als Assistent ins Trainerteam von Niko Kovac im Sommer 2019 zum FC Bayern geholt, holte Flick nach seiner Beförderung im November desselben Jahres mehr Titel als man für möglich gehalten hätte. Das historische, nie dagewesene Sextuple und am Ende seiner nur 19 Monate währenden Amtszeit im Mai 2021 noch zum zweiten Mal die Meisterschaft, der siebte Streich.
Da hatte der DFB längst gerufen. Wieder sollte er vom (einstigen) CoTrainer, damals unter Joachim Löw, aufsteigen – diesmal aber kam er nicht als Zuarbeiter, sondern wechselte lediglich den Thron der Trainerzunft. Vom gefeierten Bayern-Coach ins höchste Amt des Landes: Bundestrainer. Zum 1. August 2021 fing Flick beim DFB an, gewann acht Partien am Stück, sicherte nach der Enttäuschung der EM (Achtelfinal-Aus gegen England)
ganz souverän die Qualifikation für diese WM. Doch in der Nations League, gegen stärkere Gegner wie England, Italien und Ungarn, ruckelte es bedenklich – nur ein Sieg in sechs Partien. Vier Remis erinnerten hier und da an die am Ende zähe Ära von Weltmeister-Trainer Löw, der seit der EM 2008 sieben Turniere am Stück verantwortete.
Der ewige Löw, nun 62 Jahre alt, hat sich zurückgezogen, genießt seinen Vorruhestand und schickte via Interview im „Express“warme Worte an seinen Hansi: „Er hat es eingehend bewiesen, dass er das richtige Händchen hat. Und natürlich ist es ein Vorteil für ihn, dass er eine gewisse Turniererfahrung mitbringt. Er war acht Jahre an meiner Seite und weiß, was bei so einem Turnier wichtig ist und was vielleicht den Ausschlag geben kann.“Die beiden sind im Kontakt, telefonieren regelmäßig, waren kürzlich noch gemeinsam essen. Väterliche Ratschläge inklusive. „Für ihn ist es schließlich sein erstes Turnier als Cheftrainer“, so Löw, der Flick und dem DFB-Team den WM-Triumph zutraut. „Deutschland gehört auf jeden Fall zu den Mitfavoriten auf den Titel, so optimistisch bin ich.“
Flick, der von 2008 bis zum WMTriumph 2014 in Brasilien Löw zuarbeitete, ist mehr Analytiker als Bauchmensch Jogi, was seine Entscheidungsfindung bei Nominierung, Aufstellung und Taktik betrifft. Der gebürtige Heidelberger kommt mehr über die Empathie. Er sei immer fair zu seinen Spielern, ein Mutmacher und Tröster – das Bild vom Menschenfänger sei für ihn erfunden worden, heißt es aus dem engsten Kreis des DFB. Was er sonst noch anders macht? Während Löw am Ende seiner Amtszeit entrückt und stur wirkte, gilt Flick als totaler Teamplayer. Ein Klimawandel innerhalb der Nationalelf entfachte Euphorie, kurzfristig war das DFBTeam auch bei den Fans wieder in. Alles längst wieder verflogen.
Der Druck auf Flick ist hoch – gerade, weil er der absolute Wunschkandidat des DFB war. Mit dem JapanSpiel beginnt die Beweispflicht seines Schaffens und Könnens.