Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Heldenepos in Grün
Saudi-Arabien schlägt sensationell Mitfavorit Argentinien und löst große Euphorie aus
LUSAIL (SID) - Lionel Messi blickte ungläubig und fast flehentlich in den Himmel, doch auch die Hilfe von oben blieb aus. Während der Kapitän der Argentinier und seine entsetzten Mitspieler nach einer der größten Sensationen der WM-Geschichte vom Rasen des brodelnden Stadions in Lusail schlichen, flippten die „Grünen Falken“aus Saudi-Arabien und ihre Anhänger nach dem 2:1 (0:1) gegen einen der großen WM-Favoriten völlig aus – und mit ihnen ein ganzes Land.
Der Golfstaat erklärte den Mittwoch kurzerhand zum nationalen Feiertag, wie die offizielle saudische Nachrichtenagentur berichtete. „Alle Beschäftigten in allen Bereichen des Staates und der Privatwirtschaft sowie Studenten und Studentinnen aller Bildungsstufen“erhalten demnach einen freien Tag. Saudische Medien bejubelten einen „historischen Sieg“und ein „Heldenepos“. Und Sportminister Abdalasis bin Turki al-Faisal schickte über Twitter „tausend, tausend Glückwünsche, ihr Helden.“
Bei den Argentiniern herrschte dagegen pure Enttäuschung. Es gibt keine Entschuldigung“, sagte Messi: „Es ist eine Situation, in der wir schon lange nicht mehr waren. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir eine echte Mannschaft sind.“Es sei ein schwerer Schlag für sie alle, betonte Messi: „Wir hatten nicht erwartet, so zu starten.“
Dabei hatte alles nach Plan begonnen: Mit einem Foulelfmeter nach Videobeweis traf Messi zunächst noch zur frühen Führung für den Favoriten. Der 35-Jährige ist nun der erst fünfte Fußballer, der bei vier Weltmeisterschaften ein Tor erzielt. Doch das reichte nicht. Saleh Alsheri (48.) und Salem Aldawsari (53.) nahmen ihr
Herz in die Hand, drehten für den über sich hinauswachsenden Außenseiter die Partie und sorgten für die erste argentinische Auftaktniederlage seit 1990.
Mit dem unerwarteten Tiefschlag endete nach 1238 Tagen und 36 Partien unmittelbar vor Einstellung des Weltrekords von Italien (37) die Serie von Spielen ohne Niederlage – für Messi und die Albiceleste ein blamabler Fehlstart auf der Jagd nach dem dritten WM-Titel: Saudi Arabien ist nur die Nummer 51 der Weltrangliste. Argentinien
muss in der Gruppe C bereits um den Achtelfinal-Einzug bangen. Vor den Duellen mit Mexiko und Polen ist der Druck jedenfalls enorm.
Messi drehte vor 88.012 Zuschauern zunächst voll auf, bereits nach 95 Sekunden zwang er Torhüter Mohammed Alowais mit einem Schuss aus 14 Metern zu einer Glanzparade. Dann zeigte Schiedsrichter Slavko Vincic mit Hilfe des Videobeweises nach Halten von Saud Abdulhamid an Leandro Paredes auf den Punkt, Messi vollendete cool zum 92. Länderspieltor. Sein zweiter Treffer (22.) zählte ebenso nicht wie jene von Martinez (27., 35.) wegen knappen Abseits.
Stattdessen schlug nach dem Wechsel der Underdog eiskalt zu, Alsheri (48.) und Aldawsari (53.) trafen mit traumhaft platzierten Abschlüssen. Die Argentinier reagierten mit wütenden Angriffen, Nicolas Tagliafico (63.) scheiterte aus drei Metern an Torhüter Mohammed Alowais. Häufig fehlte es der Elf von Lionel Scaloni jedoch an Ideen, die Saudis schmissen sich im eigenen Strafraum aufopferungsvoll in jeden Ball. Und wenn sich doch Chancen ergaben, war der überragende Aloweis zur Stelle.