Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der Westen steht unter Druck
Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte sich die Hände reiben. Sein Krieg gegen die Ukraine hat Millionen Menschen aus dem Land und in die EU getrieben. Zigtausende flüchten zudem aus anderen Ländern nach Europa – aus Hunger, wegen Konflikten, vor Verfolgung. Hinzu kommen jene, die hier Arbeit suchen.
Nachdem es über Monate ruhig geblieben war, ist der Flüchtlingskrise zweiter Teil nun da. Mehr Menschen als 2015 sind bereits in Bayern und Baden-Württemberg angekommen. Die Kommunen verweisen mit zunehmender Verzweiflung auf die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit. Justizministerin Marion Gentges sendet einen Hilferuf nach Berlin und fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu auf, für eine bessere EU-weite Verteilung der Geflüchteten zu sorgen. Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann lädt zum Flüchtlingsgipfel ein. All das wirkt wie ein Déjà-vu.
Europas Staaten haben es in sieben Jahren nicht geschafft, aus dem damaligen Drama die richtigen Schlüsse zu ziehen und Taten folgen zu lassen. Eine solidarische Verteilung Geflüchteter: Fehlanzeige. Die Konsequenzen lassen sich etwa daran ablesen, dass eine Post-Faschistin nun Ministerpräsidentin von Italien ist – eins der Länder, in dem traditionell die meisten Asylsuchenden über das Mittelmeer anlanden. Derweil gibt es in Deutschland bis heute keinen wirksamen Mechanismus, um Arbeitsmigration zu steuern – weshalb viele zunächst den Weg über das Asylsystem suchen.
Während sich also Land mit Bund und Bund mit EU streiten, erreicht Putin sein Ziel: den verhassten Westen unter Druck zu setzen. Mit Menschen, wohlgemerkt! Er weiß um die ausgeprägten Egoismen der EU-Länder. Deshalb nun, wie von Gentges gefordert, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanen einzufrieren, wäre zynisch. Ihr CDU-Landeschef Thomas Strobl hatte ein solches Programm vor einem Jahr in der „Schwäbischen Zeitung“gefordert. Man erinnere sich an die Szenen beim Abzug der Streitkräfte aus Afghanistan – und die Hilfsversprechen danach.