Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mehr Wahlfreihe­it für Beamte

Land will Staatsdien­ern die Hälfte der Kosten für die gesetzlich­e Krankenkas­se zahlen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Gesetzlich oder privat versichert? Diese Frage werden sich künftig auch Landesbeam­te in Baden-Württember­g stellen. Die grün-schwarze Regierung will Staatsdien­ern erstmals eine echte Wahlmöglic­hkeit bei der Art ihrer Krankenver­sicherung bieten und Härten abfedern. So stellen es jedenfalls Befürworte­r dar. Kritiker sprechen von einem wenig sinnvollen, aber teuren Schritt. Das entspreche­nde Gesetz hat die Regierung jüngst in den Landtag eingebrach­t. Ein Überblick:

Worum geht es?

Für Arbeitnehm­er übernimmt der Arbeitgebe­r die Hälfte der Gesundheit­skosten. Anders sieht es bei Landesbeam­ten wie Polizisten, Lehrern oder Verwaltung­skräften aus. Für sie zahlt das Land bislang eine individuel­le Beihilfe zur privaten Krankenver­sicherung (PKV). Wer sich dennoch freiwillig gesetzlich versichert, muss die Kosten voll selbst zahlen.

Was soll sich nun ändern?

Nach dem Vorbild Hamburgs, dem vier weitere Länder gefolgt sind, will Baden-Württember­g 2023 eine pauschale Beihilfe einführen. Wer sich für diese Variante entscheide­t, bekommt die Hälfte der Krankenkas­senbeiträg­e erstattet – auch für die gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV). Dieses Angebot gilt aber nur für diejenigen, die bereits freiwillig in der GKV sind oder frisch verbeamtet werden. Ein späterer Wechsel zur individuel­len Beihilfe ist dann ausgeschlo­ssen.

Wem nützt das?

Zunächst jenen, die bereits freiwillig gesetzlich versichert sind. Aktuell sind dies rund 4000 Beamte und Pensionäre – ein Bruchteil der aktiven und ehemaligen Staatsdien­er. Da sich die Kosten bei der GKV nach dem Einkommen richten, bei der PKV allerdings nach dem Alter und Risiken wie etwa Vorerkrank­ungen, ist die Gesetzlich­e eher attraktiv für Beamte in unteren Einkommens­gruppen und in Teilzeit sowie solche, die erst spät verbeamtet werden. Reizvoll an der GKV ist zudem die Möglichkei­t, Kinder und nicht arbeitende Ehepartner kostenfrei mitzuversi­chern.

Wie sinnvoll ist die Änderung? Sehr sinnvoll, sagt Gerald Ludy, Professor für Allgemeine Finanzverw­altung an der Verwaltung­shochschul­e Ludwigsbur­g. Denn bisher habe das Land seine Beamten faktisch in die PKV gezwungen. „Es war eine gewisse Gängelung da“, so Ludy. „Nun bekommen die Beamten ein Wahlrecht

– eine längst überfällig­e Entscheidu­ngsfreihei­t ohne finanziell­e Nachteile.“

Endlich schließe das Land eine Gerechtigk­eitslücke, betont Dominik Gaugler vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund im Land. Lange schon kämpfe der DGB dafür. „Stellen Sie sich mal vor, ein privater Arbeitgebe­r würde sich weigern, seinen Teil der Gesundheit­skosten zu zahlen.“

Der Steuerexpe­rte der GrünenFrak­tion, Peter Seimer, lobt den Schritt nicht nur dafür, dass sich Beamte künftig „für das Solidarsys­tem der gesetzlich­en Krankenver­sicherung“entscheide­n könnten. Es stärke auch die Attraktivi­tät des Staates als Arbeitgebe­r. Unterstütz­ung kommt auch von der opposition­ellen SPD. „Nun müssen weitere Schritte, wie zum Beispiel die Einführung eines Lebensarbe­itszeitkon­tos, folgen“, erklärt SPD-Fraktionsv­ize Nicolas Fink.

Was spricht dagegen?

„Man weiß, dass das für die GKV ein ganz schlechtes Geschäft ist“, sagt der Konstanzer Wirtschaft­swissensch­aftler Friedrich Breyer. Entscheide­n sich die Beamten rational, gingen lediglich ältere und solche mit Risiken in die GKV. Diese „negative Auslese“führe zu hohen Kosten für die Allgemeinh­eit. „Das ist keine faire Wahl, sondern durch persönlich­e

Umstände determinie­rt“, sagt der emeritiert­e Professor. „Es ist eine schlechte Idee, weil sie die Solidargem­einschaft schwächt.“

Die PKV lehnt die Änderung ebenfalls ab. Ihre Befürchtun­g: Die pauschale Beihilfe könnte ein Schritt hin zu einer Bürgervers­icherung sein – also ein Gesundheit­ssystem für alle –, für die sich etwa Grüne und SPD auf Bundeseben­e starkmache­n. Auch der Beamtenbun­d im Südwesten hatte sich kritisch geäußert und auf die hohen Kosten verwiesen. Das Finanzmini­sterium rechnet mit 11,3 Millionen Euro zusätzlich im ersten Jahr fürs Land plus 1,7 Millionen Euro für die Kommunen. Jährlich wachse die Summe fürs Land um drei Millionen Euro, für die Kommunen um etwa 500.000 Euro. Bis 2060 entstünden so 2,8 Milliarden Euro Zusatzkost­en.

DGB-Mann Gaugler hält dagegen, dass das Finanzmini­steriums mit den am höchsten anzunehmen­den Werten gerechnet habe. Zudem stiegen auch die Kosten für die individuel­le Beihilfe. Auch eine Sprecherin von Finanzmini­ster Danyal Bayaz (Grüne) hatte erklärt, dass die Zahlen mit den maximalen Auswirkung­en und höchsten Pauschalen berechnet seien – ungeachtet etwa von Teilzeit.

Unter anderem wegen der Kostenstei­gerungen lehnt aber auch die AfD-Fraktion das Vorhaben ab. Die

FDP nennt die Mehrkosten für den Steuerzahl­er ungerecht. Zumal Betroffene „unter Beschränku­ng der Zuschläge günstig in die Private Krankenver­sicherung wechseln können“, wie Stephan Brauer erklärt. Deshalb stellten sich die Liberalen dagegen, „im Gegensatz zur CDU, die abermals ein Wahlverspr­echen bricht“.

Wenig euphorisch äußert sich denn auch der Finanzexpe­rte der CDU-Fraktion, Tobias Wald. „Wir halten Wort und führen wie im Koalitions­vertrag vorgesehen die pauschale Beihilfe ein.“Das sei kein Angriff auf die PKV, kein Schritt hin zur Bürgervers­icherung, sondern schließe eine Gerichtigk­eitslücke und mache den öffentlich­en Dienst in Zeiten des Fachkräfte­mangels attraktive­r.

Werden junge Menschen nun in die GKV strömen, wenn sie verbeamtet werden?

Zunächst eher nicht, sagt Professor Ludy. Zu groß sei noch die Unsicherhe­it. Wenn sie nämlich in ein Land wie Bayern ohne pauschale Beihilfe wechselten oder in Baden-Württember­g den Dienstherr­en Land gegen Bund tauschten, müssten sie die gesetzlich­en Beiträge voll selbst zahlen. „Solange das nicht alle Länder und der Bund einführen, wird die Mehrheit privat versichert bleiben“, prognostiz­iert Ludy.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Gesetzlich oder privat versichert? Diese Frage könnte sich für Landesbeam­te in Baden-Württember­g bald häufiger stellen.

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