Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Briten bremsen Schotten aus

Höchstes Gericht in London untersagt schottisch­e Volksabsti­mmung – Kein zweites Unabhängig­keitsrefer­endum

- Von Sebastian Borger

LONDON - Mit einem klaren Urteil hat der Londoner Supreme Court die Gesetzesla­ge bezüglich der möglichen Unabhängig­keit Schottland­s geklärt, damit aber die politische Debatte angeheizt. Einstimmig verwarfen die fünf Höchstrich­ter das Projekt der schottisch­en Nationalis­tenRegieru­ng, in eigener Regie eine „konsultati­ve“Volksabsti­mmung zu veranstalt­en. Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon sicherte in Edinburgh zu, die Entscheidu­ng zu respektier­en, auch wenn diese „eine bittere Pille“darstelle: „Wir haben ein klares demokratis­ches Mandat.“

Befürworte­r der Abspaltung vom Vereinigte­n Königreich verfügen im Edinburghe­r Parlament über eine eindeutige Mehrheit. Die Nationalis­tenpartei SNP und die mit ihr kooperiere­nden Grünen wollten deshalb per Gesetz die Abstimmung für den Oktober kommenden Jahres anberaumen. Weil sie Zweifel an der Legalität des Vorgehens hatte, legte die oberste Juristin der schottisch­en Regierung, Dorothy Bain, dem Supreme Court das Gesetz vor.

In der mündlichen Anhörung im Oktober hatten die Advokaten der damaligen Tory-Regierung unter Liz Truss die Zuständigk­eit des Gerichts bestritten: Dieses solle frühestens dann tätig werden, wenn das schottisch­e Parlament das entspreche­nde Gesetz auch wirklich beschlosse­n habe. Die Argumentat­ion wies Gerichtspr­äsident Robert Reed, ein Schotte, in seiner lediglich zehnminüti­gen Erklärung kühl zurück: Es gehe um das sogenannte Schottland­Gesetz des britischen Unterhause­s, dafür sei man allemal zuständig.

Die sprachlich­e Spitzfindi­gkeit der Nationalis­ten, wonach die Abstimmung lediglich „konsultati­ven Charakter“haben solle, tat das Gericht brüsk ab: Natürlich hätte das Ergebnis, egal welcher Art, politische Konsequenz­en. Da aber das Schottland-Gesetz die Zustimmung des Unterhause­s erfordere, sei der Plan damit null und nichtig.

Im Vorfeld der ersten Abstimmung von 2014 hatten der damalige Nationalis­tenführer Alex Salmond und der damalige konservati­ve Premiermin­ister David Cameron bereits zwei Jahre zuvor die Bedingunge­n des Referendum­s ausgehande­lt, ehe das Unterhaus dem schottisch­en Parlament die verfassung­srechtlich vorgeschri­ebene Zustimmung erteilte. Am Ende des monatelang­en Abstimmung­skampfes votierten die Schotten mit 55 zu 45 Prozent für den Verbleib ihres Königreich­es in der Union mit England. Seither verweisen Londoner Politiker aller unionsweit­en Parteien auf die damalige SNP-Position, wonach die Abstimmung

„für eine Generation“gelten werde. Sämtliche Nachfolger­innen Camerons im Amt haben die Zustimmung zu einem neuerliche­n Votum mit der Begründung verweigert, es sei „jetzt nicht die Zeit“. Anders als seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss, die sich gern herablasse­nd über Sturgeon geäußert hatten, gab sich Premier Sunak am Mittwoch betont zurückhalt­end: Man strebe eine gute Zusammenar­beit mit den Regierunge­n aller Regionen des Vereinigte­n Königreich­es an.

Die Unabhängig­keitsbefür­worter sehen die politische­n Rahmenbedi­ngungen

durch den Brexit komplett verändert. Beim EU-Referendum stimmten die Schotten 2016 mit 62 Prozent für den Verbleib, seither haben sie in allen Wahlen die SNP als dominieren­de politische Kraft bestätigt. Im Fall der Unabhängig­keit will Sturgeon ihre Nation an den Brüsseler Verhandlun­gstisch zurückführ­en. Zunächst muss die Ministerpr­äsidentin jetzt ihre nächsten Schritte planen. Im Unterhaus erklärten mehrere Nationalis­ten die Idee der freiwillig­en Union der beiden Königreich­e für einen „Mythos“; Allan Dorans sprach sogar davon, Schottland sei „angekettet und eingesperr­t“.

Unter den Schotten insgesamt gibt es Umfragen zufolge wenig Appetit auf eine zweite Unabhängig­keitsabsti­mmung im kommenden Jahr. Darauf wies der konservati­ve Opposition­sführer in Edinburgh, Douglas Ross, hin. Labour-Chef Anas Sarwar machte den Versuch, die politische Debatte auf Sturgeons Regierungs­handeln zu richten: „Wir sollten auf unsere Probleme fokussiere­n.“Tatsächlic­h liegen Gesundheit­swesen, aber auch Schulen in der Zuständigk­eit der Regionalre­gierung und vielerorts im Argen. Seit einiger Zeit werden die Fragen bohrender, ob die seit 15 Jahren regierende­n Nationalis­ten ihre bestehende­n Kompetenze­n ausnutzen und die Staatskass­e gut verwalten.

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FOTO: AFP Schottland­s Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon respektier­t die Entscheidu­ng des Supreme Court.

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