Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Briten bremsen Schotten aus
Höchstes Gericht in London untersagt schottische Volksabstimmung – Kein zweites Unabhängigkeitsreferendum
LONDON - Mit einem klaren Urteil hat der Londoner Supreme Court die Gesetzeslage bezüglich der möglichen Unabhängigkeit Schottlands geklärt, damit aber die politische Debatte angeheizt. Einstimmig verwarfen die fünf Höchstrichter das Projekt der schottischen NationalistenRegierung, in eigener Regie eine „konsultative“Volksabstimmung zu veranstalten. Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sicherte in Edinburgh zu, die Entscheidung zu respektieren, auch wenn diese „eine bittere Pille“darstelle: „Wir haben ein klares demokratisches Mandat.“
Befürworter der Abspaltung vom Vereinigten Königreich verfügen im Edinburgher Parlament über eine eindeutige Mehrheit. Die Nationalistenpartei SNP und die mit ihr kooperierenden Grünen wollten deshalb per Gesetz die Abstimmung für den Oktober kommenden Jahres anberaumen. Weil sie Zweifel an der Legalität des Vorgehens hatte, legte die oberste Juristin der schottischen Regierung, Dorothy Bain, dem Supreme Court das Gesetz vor.
In der mündlichen Anhörung im Oktober hatten die Advokaten der damaligen Tory-Regierung unter Liz Truss die Zuständigkeit des Gerichts bestritten: Dieses solle frühestens dann tätig werden, wenn das schottische Parlament das entsprechende Gesetz auch wirklich beschlossen habe. Die Argumentation wies Gerichtspräsident Robert Reed, ein Schotte, in seiner lediglich zehnminütigen Erklärung kühl zurück: Es gehe um das sogenannte SchottlandGesetz des britischen Unterhauses, dafür sei man allemal zuständig.
Die sprachliche Spitzfindigkeit der Nationalisten, wonach die Abstimmung lediglich „konsultativen Charakter“haben solle, tat das Gericht brüsk ab: Natürlich hätte das Ergebnis, egal welcher Art, politische Konsequenzen. Da aber das Schottland-Gesetz die Zustimmung des Unterhauses erfordere, sei der Plan damit null und nichtig.
Im Vorfeld der ersten Abstimmung von 2014 hatten der damalige Nationalistenführer Alex Salmond und der damalige konservative Premierminister David Cameron bereits zwei Jahre zuvor die Bedingungen des Referendums ausgehandelt, ehe das Unterhaus dem schottischen Parlament die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Zustimmung erteilte. Am Ende des monatelangen Abstimmungskampfes votierten die Schotten mit 55 zu 45 Prozent für den Verbleib ihres Königreiches in der Union mit England. Seither verweisen Londoner Politiker aller unionsweiten Parteien auf die damalige SNP-Position, wonach die Abstimmung
„für eine Generation“gelten werde. Sämtliche Nachfolgerinnen Camerons im Amt haben die Zustimmung zu einem neuerlichen Votum mit der Begründung verweigert, es sei „jetzt nicht die Zeit“. Anders als seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss, die sich gern herablassend über Sturgeon geäußert hatten, gab sich Premier Sunak am Mittwoch betont zurückhaltend: Man strebe eine gute Zusammenarbeit mit den Regierungen aller Regionen des Vereinigten Königreiches an.
Die Unabhängigkeitsbefürworter sehen die politischen Rahmenbedingungen
durch den Brexit komplett verändert. Beim EU-Referendum stimmten die Schotten 2016 mit 62 Prozent für den Verbleib, seither haben sie in allen Wahlen die SNP als dominierende politische Kraft bestätigt. Im Fall der Unabhängigkeit will Sturgeon ihre Nation an den Brüsseler Verhandlungstisch zurückführen. Zunächst muss die Ministerpräsidentin jetzt ihre nächsten Schritte planen. Im Unterhaus erklärten mehrere Nationalisten die Idee der freiwilligen Union der beiden Königreiche für einen „Mythos“; Allan Dorans sprach sogar davon, Schottland sei „angekettet und eingesperrt“.
Unter den Schotten insgesamt gibt es Umfragen zufolge wenig Appetit auf eine zweite Unabhängigkeitsabstimmung im kommenden Jahr. Darauf wies der konservative Oppositionsführer in Edinburgh, Douglas Ross, hin. Labour-Chef Anas Sarwar machte den Versuch, die politische Debatte auf Sturgeons Regierungshandeln zu richten: „Wir sollten auf unsere Probleme fokussieren.“Tatsächlich liegen Gesundheitswesen, aber auch Schulen in der Zuständigkeit der Regionalregierung und vielerorts im Argen. Seit einiger Zeit werden die Fragen bohrender, ob die seit 15 Jahren regierenden Nationalisten ihre bestehenden Kompetenzen ausnutzen und die Staatskasse gut verwalten.