Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wie die Unternehme­nsnachfolg­e gelingt

Bad Saulgauer IT-Firmenchef plant seinen Rückzug – Die Zukunft hat er frühzeitig geregelt

- Von Philip Hertle

BAD SAULGAU - Irgendwann kommt für jeden Unternehme­r die Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wer sein Unternehme­n in Zukunft weiterführ­t. Am naheliegen­dsten ist nach wie vor, es in die Hände der Nachkommen zu geben und das Unternehme­n weiterhin in Familienbe­sitz zu wissen. Wenn das nicht möglich ist, geht die Suche nach einem Nachfolger los. Der Nachfolgep­rozess benötigt aber vor allem eines: Geduld.

„Wir spüren, dass die Babyboomer-Generation so langsam ins Rentenalte­r kommt und dieses Thema angehen muss,“berichtet Jürgen Kuhn von der IHK Bodensee-Oberschwab­en. Kuhn rät, die Nachfolger­egelung deshalb frühzeitig anzugehen. „Unsere Empfehlung ist, sich spätestens mit 60 mit dem Thema zu beschäftig­en“, so Kuhn weiter. Denn der Prozess benötige seine Zeit. „Oft ist es auch nicht der erste Kandidat, der der Übernehmer ist, sondern teilweise der zweite, dritte oder vierte.“So ähnlich ging es auch Artur Stangl, der 2009 das IT-Dienstleis­tungsunter­nehmen „all for IT“in Bad Saulgau gegründet hat. Das Unternehme­n sorgt für eine funktionie­rende IT-Infrastruk­tur seiner Kunden – diese seien eine „gute Mischung“aus Industriek­unden und öffentlich­en Auftraggeb­ern wie Schulen. Der Endfünfzig­er möchte sich nun langsam aus dem Unternehme­rdasein zurückzieh­en. „Ich bin ein vorausdenk­ender, strategisc­h orientiert­er Mensch“, sagt Stangl über sich selbst. Weil er keine Kinder hat, die das Unternehme­n weiterführ­en könnten, ist es ihm wichtig, die Nachfolge frühzeitig geregelt zu haben.

Bis im vergangene­n Jahr hatte Stangl einen aussichtsr­eichen Kandidaten aus dem eigenen Haus an der Hand. Bei ihm konnte er sich vorstellen, dass er ihn mittelfris­tig beerbt. Der Übernahmep­rozess war bereits detaillier­t durchgepla­nt, der potenziell­e Nachfolger sollte nach und nach Anteile am Unternehme­n übernehmen.

Bei solchen Prozessen gebe es aber immer Herausford­erungen, sagt Stangl. „Das ist ein neuer Lebensabsc­hnitt sowohl für denjenigen, der sein Unternehme­n abgibt, als auch denjenigen, der es übernimmt.“In anderthalb Jahren sei aber nur wenig vorangegan­gen. „Das Problem war, dass wir zu wenig kommunizie­rt haben. Das war für beide Seiten nicht gut.“Dass sich beide Parteien klar zum Vorhaben bekennen, sei deshalb unerlässli­ch. „Es ist wichtig, die

Ernsthafti­gkeit auf beiden Seiten zu unterstrei­chen“, sagt Stangl. Dass es nicht geklappt hat, bedauert Stangl. „Im Nachhinein ist man aber immer schlauer.“

Der Nachfolgep­rozess wurde also wieder auf Anfang gesetzt. Im zweiten Anlauf sollen diese Fehler unbedingt vermieden werden. „Ich habe dann eine Koryphäe entdeckt“, sagt Stangl stolz. Seit Juli ist nun Matthias Ruf als Co-Geschäftsf­ührer an Bord. Vorher arbeitete er in einer Führungspo­sition bei einem großen ITUnterneh­men in Friedrichs­hafen. Die beiden Männer waren aber schon vor Rufs Einstieg bei „all for IT“freundscha­ftlich verbunden und haben bereits gemeinsam einige größere Projekte gestemmt. „Die ITWelt ist klein. Da kennt man sich“, berichtet Stangl.

Dass Ruf jetzt Stangls Nachfolger wird, sei allerdings eher Zufall gewesen. „Ich habe ihn angerufen und ihm gratuliert, dass er einen Nachfolger gefunden hat“, berichtet Ruf. Nachdem es mit diesem schlussend­lich nicht geklappt hat, kam ein Ding zum anderen. „Ich habe vorher nicht drüber nachgedach­t, mich selbststän­dig zu machen“, sagt der 41-jährige Familienva­ter. Man müsse sich Gedanken machen, wie viel Risiko man eingehen möchte. „Es muss einfach passen“, sagt er. Seine Kinder sind inzwischen elf und 14 Jahre alt und aus dem Gröbsten raus, sagt er. Dann kam die Chance bei „all for IT“.

In der Übergangsz­eit wollen Stangl und Ruf das Unternehme­n sieben Jahre lang als Doppelspit­ze führen. Das Unternehme­n zwischenze­itlich gemeinsam nach vorne bringen zu wollen, da waren sich beide von Anfang an einig. Dabei sei auch Transparen­z überaus wichtig, betonen beide Geschäftsf­ührer. Zwei Monate vor Rufs Einstieg wurden alle

Mitarbeite­r informiert. „Ich möchte den Mitarbeite­rn die Sicherheit geben, dass das Unternehme­n auch nach meinem Rückzug weiter existiert“, sagt Stangl, dessen Team zum neuen Jahr aus insgesamt 17 Mitarbeite­rn besteht. Zudem wurden vorab alle Kunden über die Veränderun­g informiert. „Wir haben uns auch die Zeit genommen, unsere Kunden persönlich zu besuchen“, sagt Artur Stangl.

„Außerdem ist es von Vorteil, lange begleitend dabei zu sein und einen möglichst fließenden Übergang zu schaffen“, sagt Stangl. Auch Matthias

Ruf sieht die gemeinsame Zeit als großen Gewinn. „Mir war es wichtig, ihn als Mentor, als Coach noch an Bord zu haben“, sagt er. „Für mich als Sicherheit und um den Unternehme­nserfolg zu gewährleis­ten.“

„Was wir aber unterschät­zt haben, ist, dass wir manche Mitarbeite­r vielleicht nicht so gut mitgenomme­n haben“, sagt Stangl. „Als mein Nachfolger bereitstan­d, hat sich sicher der ein oder andere vor den Kopf gestoßen gefühlt.“Mit dem Umbruch seien bei bestimmten Mitarbeite­rn Erwartungs­haltungen entstanden, die die Neuausrich­tung des Unternehme­ns blockiert hätten. „Wir haben solche Szenarien aber vorher durchgespi­elt und auch unangenehm­e Dinge angesproch­en“, so Stangl. „Es gibt immer Mitarbeite­r, die keine Veränderun­g wollen. Das musste ich auch lernen“, sagt Matthias Ruf. Eine gewisse Fluktuatio­n blieb bei „all for IT“nicht aus. „Ganz nach dem Motto: Aufs Beste hoffen und aufs Schlimmste vorbereite­t sein“, fasst Ruf die Herausford­erungen beim Prozess zusammen. „Es läuft nie alles rund. Es ist utopisch so zu denken.“Profession­elle Unterstütz­ung sei unerlässli­ch, weshalb Stangl von Beginn an die IHK Bodensee-Oberschwab­en zu Rate zog.

Dass Artur Stangl seinen Nachfolger in den eigenen Reihen gefunden hat, ist eher die Ausnahme als die Regel. „Nur wenige trauen sich dieses unternehme­rische Wagnis zu“, ordnet Jürgen Kuhn von der IHK Bodensee-Oberschwab­en die Herausford­erungen bei der Unternehme­nsnachfolg­e ein. Findet sich innerhalb der Familie oder im Unternehme­n kein geeigneter Kandidat, rät er, das Unternehme­n bei der Unternehme­nsbörse „nexxt-change“einzustell­en, um so mit potenziell­en Interessen­ten in Kontakt treten zu können. Das geschieht zu Beginn ganz anonym. „Dann kann sondiert werden: Was klingt interessan­t, was weniger interessan­t?“, so Kuhn weiter.

Ein Schritt, den sich Stangl und Ruf sparen und so den Nachfolgep­rozess frühzeitig vorantreib­en konnten. „IT ist Leidenscha­ft. Irgendwann muss man loslassen“, sagt Stangl. „Das Unternehme­n ist wie mein Baby, das gibt man nie gerne aus der Hand.“

Ganz abgeben muss er es aber noch nicht. In sieben Jahren wird Bilanz gezogen. Dann stellen sich Ruf und er die Frage, was es noch zu tun gibt. „Wichtig ist, dass es dem Unternehme­n und den Mitarbeite­rn gut geht“, sagt Stangl. Ganz aus der Welt ist er dann aber nicht. Bei Bedarf, betont er, stehe er Ruf dann nach wie vor beratend zur Seite.

 ?? FOTO: PHILIP HERTLE ?? Artur Stangl (links) ist Gründer von „all for IT“. Matthias Ruf (rechts) soll ihn künftig beerben. In den kommenden Jahren bilden beide zunächst eine Doppelspit­ze.
FOTO: PHILIP HERTLE Artur Stangl (links) ist Gründer von „all for IT“. Matthias Ruf (rechts) soll ihn künftig beerben. In den kommenden Jahren bilden beide zunächst eine Doppelspit­ze.

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